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Inklusion

Hilfe für Gehörlose in der zahnärztlichen Praxis

Das neue Fachgebärdenlexikon Sign4All.Info macht Fachgebärden für zahnmedizinische Begriffe einfach und zentral zugänglich, um echte Barrierefreiheit für taube Mitarbeitende sowie für Patientinnen und Patienten zu schaffen. Die Verwendung der Gebärdensprache reduziert die Gefahr von Missverständnissen und entlasten das Praxispersonal in der Kommunikation mit stark hörgeschädigten Menschen. Zudem stärkt die klare Kommunikation das Vertrauen bei Patientinnen und Patienten, reduziert Ängste und trägt zu selbstbestimmten Entscheidungen bei.

Zwei Menschen unterhalten sich mit der Gehörlosensprache. Freepik
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Eine Patientin sitzt in einer Zahnarztpraxis im Behandlungsstuhl, während die Zahnärztin und ihre Assistenz die nächsten Arbeitsschritte vorbereiten. Die Kommunikation zwischen den Anwesenden erfolgt in Deutscher Gebärdensprache (DGS). Über zahnmedizinische Fachgebärden können sowohl Behandlungsschritte und Instrumente klar und eindeutig besprochen und benannt als auch Rückfragen direkt gestellt werden. Das macht den Ablauf der Behandlung für die Patientin klar nachvollziehbar. Die zahnmedizinischen Fachgebärden für eine solche barrierefreie Kommunikation stellt das digitale Fachgebärdenlexikon Sign4All.Info [1] (S4A) (s. Abb.1) bereit.

Landingpage des Sign4All-LexikonsBritta Illmer
Abb. 1: Landingpage des Sign4All-Lexikons

Fachkommunikation als Schlüssel zur Teilhabe

Fachbegriffe sind von zentraler Bedeutung, weil sie eine präzise und eindeutige Kommunikation innerhalb eines Fachbereichs ermöglichen. Sie reduzieren Missverständnisse und gewährleisten ein einheitliches Sachverständnis. Mit Fachgebieten wie der Medizin und Zahnmedizin wird jeder Mensch im Laufe seines Lebens konfrontiert. Sowohl im kollegialen Arbeits- als auch im Arzt-Patienten-Behandlungskontext sind beide Seiten auf eine unmissverständliche, effiziente und zugängliche Kommunikation angewiesen. Doch wie verhält es sich, wenn eine davon nicht die Deutsche oder überhaupt eine Lautsprache verwendet, sondern eine andere Sprachmodalität?

An dieser Stelle leistet das Fachgebärdenlexikon Sign4All.Info einen Beitrag zur Verbesserung der Kommunikation und beruflichen Teilhabe von Menschen, die auf Grund ihrer Hörschädigung in Deutscher Gebärdensprache kommunizieren (Abb. 2.). Es wurde im Rahmen des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten und aus dem Ausgleichsfonds finanzierten Projektes Digitale Unterstützung der beruflichen Eingliederung gehörloser Menschen [2] entwickelt. Dessen Ziel ist es, Menschen mit einer Hörschädigung bzw. jenen die die Deutsche Gebärdensprache (DGS) nutzen, die berufliche Eingliederung zu erleichtern. Dabei geht es nicht allein darum, Fachgebärden sichtbar und nutzbar zu machen, sondern vor allem auch darum, eine überregionale, barrierefreie berufliche Teilhabe zu ermöglichen.

Detailseite aus dem Bereich Zahnmedizin für den Fachbegriff Anamnesebogen Britta Illmer
Abb. 2: Detailseite aus dem Bereich Zahnmedizin für den Fachbegriff Anamnesebogen.

Digitale Unterstützung für zahnmedizinische Fachkräfte

Viele Arbeitsbereiche scheinen für stark hörgeschädigte Menschen nicht oder nur eingeschränkt zugänglich zu sein, besonders Berufsfelder, die im Zusammenhang mit Kunden oder Patientenkontakten stehen. Die Sprachbarriere durch die Nutzergruppen zweier verschiedener Modalitäten steht der sprachlichen Minorität der Gehörlosen bei der Auswahl eines Berufes häufig im Weg. (vgl. Illmer 2024, S. 4 ff) [3]. Hinzu kommt, möglicherweise bedingt durch die späte Anerkennung und Historie der Deutschen Gebärdensprache und ihrer Nutzerinnen und Nutzer, dass es noch nicht für jeden Fachbegriff eine adäquate Fachgebärde gibt. Zwar sind einige Gebärdenwörterbücher, die Fachgebärden für einzelne Berufsfelder dokumentiert haben, online vorhanden, jedoch gab es bisher kein zentralisiertes Fachgebärdenlexikon. Sign4All.Info stellt nun mehr als 15.000 Fachgebärden aus über 30 Berufsbereichen bereit. Insgesamt waren an der Sammlung und Entwicklung der Fachgebärden ungefähr 100 gehörlosen Fachkräfte aus den einzelnen Berufsbereichen beteiligt.

Entwicklung und Dokumentation der Fachgebärden

Frau steht vor einem grünen Hintergrund.Britta Illmer
Abb. 3: Studioarbeit für Zahnmedizinische Fachgebärden der Praxis von Schuler Alarcón.

Für die Lexikoneinträge dienten zwei Quellen: zum einen die Integration bereits vorhandener Online-Lexika, wie das Fachgebärdenlexikon der Berufsbildungswerke (BBWs) [4] und das Fachlexikon für naturwissenschaftliche Gebärden Sign2MINT (S2M) [5], zum anderen die im Arbeitsalltag von Betrieben und Praxen entstandene Fachgebärden. Über die Hälfte der weiteren Fachgebärden wurde während der Projektlaufzeit entwickelt. Die Erhebung bzw. die Entwicklung der Fachgebärden lief folgedermaßen ab: Zunächst wurden Listen mit den Fachbegriffen aus den Berufsfeldern, Lehrbüchern und Rahmenlehrplänen erstellt. Diese wurden abgeglichen mit dem Bestand von vorhandenen Fachgebärden. Es erfolgte die professionelle Aufnahme von Fachgebärden in Videostudios an den einzelnen Standorten bzw. direkt während der Workshops (Abb. 3).

Parallel dazu wurden auf den Workshops neue Gebärden für noch fehlende Fachbegriffe entwickelt und zum Teil vorerst mit der Gebärdenvorschlags-App (dazu unten Genaueres) aufgenommen. Im Nachgang konnte eine größere Anzahl an Fachkräften, unter der Nutzung der genannten App, über die Fachgebärden abstimmen.

Zahnmedizinische Fachgebärden für gelebte Inklusion

Das Beispiel der Hamburger Zahnarztpraxis von Schuler Alarcón zeigt, dass es für taube Menschen möglich ist, in einem Beruf erfolgreich zu sein, bei dem ein enger Kontakt und Austausch mit Patienten unvermeidlich ist (Abb. 4).

Alltagssituation zwischen zwei Mitarbeiterinnen.Britta Illmer
Abb. 4: Alltag in der Praxis von Schuler Alarcón.

Von den dreizehn festangestellten Praxismitarbeitenden sind sieben taub. Die Arbeitssprache in der Praxis ist die Deutsche Gebärdensprache. Insgesamt entwickelte die Kollegenschaft gemeinsam über 800 Fachgebärden. Diese uns zur Verfügung gestellte Sammlung beinhaltet u. a. Fachgebärden zu verschiedenen Behandlungsverfahren, Mundhygiene, Instrumentenbezeichnungen, etc. Der Nutzen für die Praxis und die Ausbildung sind, neben einer präzisen Kommunikation vor, während und nach der Behandlung, mehr Sicherheit und Verständnis bei den Patientinnen und Patienten. Die Verwendung der Deutschen Gebärdensprache, insbesondere die von Fachgebärden, reduziert die Gefahr von Missverständnissen und entlasten das Praxispersonal. Zudem stärkt die klare Kommunikation das Vertrauen bei Patientinnen und Patienten, reduziert Ängste und trägt zu selbstbestimmten Entscheidungen bei. Auszubildende und Studierende erfahren eine frühe Sensibilisierung für eine barrierefreie Kommunikation.

Information und Schulung

Über den Kestner Verlag [6] werden sowohl die Online-Version [7], als auch verschiedene Offline-Versionen [8] des Fachgebärdenlexikon bereitgestellt (Abb. 5). Auf der Homepage des Kestner Verlages gelangt man im Menü über den Reiter „Gebärdensprache“ zu dem Gebärdenwörterbuch „Der Kestner“ [9], in das die Sign4All-Fachgebärden integriert wurden, und zum „Sign4All – das Fachgebärdenlexikon“ selbst. Alle Versionen des Sign4All-Lexikons und die S4A-Fachgebärden im Kestner-Wörterbuch sind zeitlich unbegrenzt kostenlos nutzbar. Ein weiteres Produkt, das im Rahmen des Projektes entstand, ist die Sign4All-App [10]. Die bereits oben erwähnte Gebärdenvorschlags-App wurde ursprünglich zur Unterstützung bei der Gebärdensammlung entwickelt. Die App kann kostenlos in den einschlägigen Stores runtergeladen werden, funktioniert jedoch nicht offline.

Detailseite des Verlag Karin Kestner die zu den zwei Sign4All-Versionen führt Britta Illmer
Abb. 5: Detailseite des Verlag Karin Kestner die zu den zwei Sign4All-Versionen führt.

Darüber hinaus finden bis zum 01.03.2026 an drei Werktagen in der Zeit von 10 bis 12 Uhr Online-Webinare statt. In diesem Webinar werden neben den Funktionen des S4A-Lexikons auch offene Fragen geklärt. Weitere Informationen zu dem Webinar werden unter https://digitale-unterstuetzung-gehoerloser-menschen.de bekanntgegeben.

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Zukunftsperspektiven und Fazit

Das S4A-Lexikon steht als Open-Source-Projekt öffentlich zur Verfügung – inklusive des zugrundeliegenden Quellcodes. Dadurch eröffnet sich für zukünftige Projekte oder Initiativen die Option, das Lexikon um weitere medizinische oder therapeutische Fachbereiche zu erweitern. Darüber hinaus ist es denkbar das Sign4All.Info-Lexikon in die jeweiligen digitalen Anwendungen von Praxen und Einrichtungen zu integrieren, etwa in interne Informationssysteme oder Intranets.

Auf diese Weise kann das Lexikon einen wichtigen Beitrag zu einer inklusiven und barrierefreien Gesundheitsversorgung leisten. Denn der Kerngedanken des Projektes liegt darin, unter anderem zahnmedizinische Fachgebärden sichtbar und nutzbar zu machen – und so echte Barrierefreiheit nicht nur für taube Mitarbeitende, sondern auch für Patientinnen und Patienten zu schaffen, die die Deutsche Gebärdensprache verwenden. Wir möchten an die Zahnärzteschaft, Ausbildungseinrichtungen sowie Patientinnen und Patienten appellieren, das Sign4All.Info-Lexikon aktiv zu nutzen und weiterzuverbreiten.

Zum Fachgebärdenlexikon

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