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Wie sieht der aktuelle Forschungsstand zur Kausalität zwischen apikaler Parodontitis (AP) und koronarer Herzerkrankung (KHK) aus? Besteht ein belegter Zusammenhang?

Prof. Schäfer: Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass für einen kausalen Zusammenhang dieser beiden Erkrankungen derzeit keine Evidenz vorliegt. Anders sieht es mit einer Assoziation aus. Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit kommt zu dem Ergebnis, dass Patienten mit AP ein 1,4- bis 5-fach erhöhtes Risiko aufweisen, eine kardiovaskuläre Erkrankung zu entwickeln. Eine Assoziation zwischen AP und KHK ist also eindeutig evidenzbasiert.
Welche Rolle spielen Lebensstilfaktoren wie Rauchen und Ernährung bei der Entwicklung von AP und deren Einfluss auf kardiovaskuläre Erkrankungen? Wie sollten Zahnärzt/-innen diese Faktoren bei der Behandlung ihrer Patienten und Patientinnen berücksichtigen?
Prof. Schäfer: Bemerkenswerterweise teilen AP und KHK einige gemeinsame Risikofaktoren, wie beispielsweise das Lebensalter, die Ernährung sowie den Alkohol- und Nikotinkonsum. Es ist nachgewiesen, dass Alkoholkonsum wie auch eine fettreiche Ernährung die Ausbildung einer AP fördern können. Weiterhin belegt eine Metaanalyse, also das höchste verfügbare Evidenzlevel, dass Raucher knapp 2,8-mal häufiger eine AP sowie 2,7-mal häufiger einen wurzelkanalbehandelten Zahn aufweisen als Nichtraucher.
Bei der Aufklärung unserer Patienten sollten diese Risikofaktoren benannt und dezidiert darauf hingewiesen werden, dass präventive Maßnahmen zur Verbesserung der Mundgesundheit auch in einem gewissen Umfang einen Beitrag zur Herzgesundheit leisten. Gleichzeitig sollten routinemäßig bei jedem Patienten eine sorgfältige und detaillierte Diagnostik möglicher endodontischer Erkrankungen durchgeführt und – sofern derartige Erkrankungen vorliegen – diese durch adäquate endodontische Maßnahmen therapiert werden.
Wie könnte die Integration endodontischer Behandlungen in die kardiovaskuläre Prävention aussehen?
Prof. Schäfer: Zunächst sollte nochmal in Erinnerung gerufen werden, dass in Deutschland etwa 3,7% der Frauen und 6,0% der Männer an einer KHK leiden, also rund 5 Mio. Menschen. Mit etwa 34% waren Krankheiten des Kreislaufsystems im Jahr 2023 die häufigste Todesursache in Deutschland. Besorgniserregende Zahlen – und deshalb sollte nach meinem Empfinden, wo und auch immer möglich, eine kardiovaskuläre Prävention in der gesamten Medizin oberste Bedeutung haben. Die Endodontie kann dazu einen Beitrag liefern.
Es ist bekannt, dass eine AP zu erhöhten Serumkonzentrationen von Entzündungsmarkern führt. Diese Marker begünstigen die Entstehung einer KHK, da sie zu arteriosklerotischen Gefäßveränderungen führen können. Es ist jedoch auch bekannt, dass durch eine erfolgreiche Wurzelkanalbehandlung die erhöhten Serumkonzentrationen wieder auf die Normwerte reduziert werden können. Daher sollten unter dem Aspekt einer kardiovaskulären Prävention vermehrt Anstrengungen zur rechtzeitigen Diagnose einer AP unternommen sowie, wenn erforderlich, konsequent eine effiziente Therapiestrategie zur Behandlung endodontischer Infektionen eingeleitet werden.
Wie schätzen Sie die zukünftige Rolle der Endodontie in der Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen ein?
Prof. Schäfer: Fraglos zunehmend. Mit dem ständigen Erkenntnisgewinn um Assoziationen zwischen odontogenen Infektionen, wie einer AP, und verschiedenen Allgemeinerkrankungen kommt der Zahnmedizin und damit insbesondere auch der Endodontie eine große Bedeutung zu. So gehen beispielsweise Hypertonie, Typ-1-Diabetes mellitus, entzündliche Darmerkrankungen, terminale Niereninsuffizienz Stadium 5 und Lebererkrankungen mit einem um die Faktoren 1,4 bis 5,7 gehäuften Auftreten einer AP einher.
Zur Verdeutlichung dieser Bedeutung kann vielleicht auch eine retrospektive Studie aus Finnland dienen. Diese hat nämlich aufgezeigt, dass das Risiko, eine KHK zu entwickeln bei Patienten mit abgeschlossener Wurzelkanalbehandlung um 84% reduziert war. Sogar das Risiko an einer KHK zu versterben, war um 49% verringert. Ich denke, diese Zahlen sprechen für sich und belegen eindrucksvoll die zunehmende Relevanz der Endodontie zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen.
Gleichzeitig wird die zukünftige Bedeutung der Endodontie auch noch durch eine andere Zahl bekräftigt. Eine aktuelle Metaanalyse belegt, dass weltweit jeder zweite Erwachsene eine AP aufweist. Es gibt also noch viel zu tun!
Die DGET hat sich in ihrer Amtszeit auf die Verknüpfung allgemeinmedizinischer Aspekte mit der Endodontie fokussiert. Welche Projekte und welche Fragestellungen stehen dort im Mittelpunkt?
Prof. Schäfer: Wie ich versucht habe aufzuzeigen, wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der Endodontie und verschiedenen Fachgebieten der Allgemeinmedizin in den kommenden Jahren sicherlich zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dies hat die DGET erkannt und erste Projekte initiiert.
So ist die DGET bereits vor einigen Monaten eine Kooperation mit der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), dem Arbeitskreis für Mund- und Gesichtsschmerzen (DGSS) sowie der Deutschen Gesellschaft Zahnärztliche Schlafmedizin (DGZS) eingegangen. Ziel ist es, den Kollegen konkrete Unterstützung zum komplexen und sehr diffizilen Thema „Unklare Zahn- und Kieferschmerzen: Diagnostik und Handlungsempfehlungen“ an die Hand zu geben. Dieses Projekt ist bereits erfreulich weit fortgeschritten.
Eine weitere interdisziplinäre Kooperation hat die DGET mit der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik zum Thema „Antibiotikaprophylaxe bei Patienten mit Gelenkprothesen bei zahnmedizinischen Eingriffen“ etabliert.
Kooperationspartner zu finden ist kein leichtes, aber ein sehr wichtiges Unterfangen. Wir bleiben am Ball!
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