Anzeige

Diabetes mellitus erhöht endodontischen Behandlungsbedarf

Diabetes mellitus ist eine weit verbreitete chronische Krankheit, die neben schwerwiegenden Konsequenzen für die Allgemeingesundheit auch Einfluss auf die zahnärztliche Behandlung haben kann. Mit Blick auf endodontische Behandlungen ist vor allem von einer höheren Prävalenz periradikulärer Läsionen und einer schlechteren Prognose endodontischer Maßnahmen auszugehen. Prof. Dr. Edgar Schäfer, Präsident der DGET, erläutert die aktuelle Studienlage zum Zusammenhang zwischen apikaler Parodontitis und Diabetes mellitus und unterstreicht die wichtige Bedeutung von Prävention und Aufklärung, um diese Wechselwirkungen stärker ins Bewusstsein zu rücken und damit die Entstehung und Progression einer AP langfristig zu verhindern.

vectorfusionart/Adobe Stock
Getting your Trinity Audio player ready...

Prof. Dr. Schäfer, in Deutschland leben aktuell rund 11 Mio. Menschen mit einem Diabetes [1]. Welche speziellen Herausforderungen gibt es bei der endodontischen Behandlung von Patienten/-innen mit Diabetes?

Schäfer
Prof. Dr. Edgar Schäfer,
Präsident der DGET.

Prof. Dr. Schäfer: Als Folge des Diabetes mellitus kommt es zu einer verminderten Durchblutung aller Organe und im Gewebe. Dadurch nimmt in diesen Geweben die körpereigene Immunabwehr ab, was in einer generell erhöhten Infektanfälligkeit resultiert. Davon sind auch die Mundhöhle und das Pulpagewebe, also das Gewebe im Zahninneren, betroffen. Folglich weisen Diabetiker/-innen häufiger Pulpaerkrankungen oder aufgrund der Minderdurchblutung sogar Pulpanekrosen auf. Gleichzeitig kommt es bei Diabetikern/-innen deutlich häufiger zum Auftreten endodontisch bedingter periradikulärer Läsionen (apikale Parodontitis bzw. AP) im Vergleich zu gesunden Patienten/-innen. Insgesamt kann man also sagen, dass der endodontische Therapiebedarf bei Diabetikern/-innen erheblich erhöht ist.

Zudem gibt es aber noch weitere Herausforderungen: Die Erfolgsaussichten von pulpa-vitalerhaltenden Maßnahmen im Sinne von direkten Überkappungen sind erheblich reduziert. Sofern ein Zahn bereits mit einer AP assoziiert ist, nimmt die Wahrscheinlichkeit, diesen Zahn durch eine Wurzelkanalbehandlung zu erhalten, dramatisch ab. Das Risiko, dass ein Zahn mit AP nach einer Wurzelkanalbehandlung extrahiert werden muss, ist im Vergleich zu gesunden Patienten/-innen etwa um den Faktor 2,5 erhöht.
Neben diesen primär endodontischen Herausforderungen ist aber zudem noch zu beachten, dass Diabetiker/-innen im Verlauf ihrer Grunderkrankung eine Reihe von relevanten Folge- und Begleiterkrankungen entwickeln, u.a. Hypertonie, Herzerkrankungen, Neuropathien, Schlaganfall und Nephropathien. Diesen muss selbstverständlich bei der zahnärztlichen Behandlung ebenfalls größte Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Wie sieht die aktuelle Studienlage aus? Gibt es einen Zusammenhang zwischen apikaler Parodontitis und Diabetes?

Prof. Dr. Schäfer: Wie bereits gerade angedeutet, gilt in der Literatur eine Assoziation dieser beiden Erkrankungen als belegt. Aktuell liegen Meta-Analysen, also die höchste verfügbare Evidenz, zu dieser Fragestellung vor. Demnach weisen zum einen wurzelkanalbehandelte Zähne bei Diabetikern/-innen etwa 1,4-fach häufiger eine AP auf als bei gesunden Patienten/-innen.

Zum andern erhöht Diabetes mellitus auf der Patientenebene die Wahrscheinlichkeit der Ausbildung einer AP um den Faktor 3,38. Diese kurze Darstellung der verfügbaren Zahlen belegt meines Erachtens nachvollziehbar, dass ein Zusammenhang vorliegt. Daraus darf und kann indes auf keinen Fall gefolgert werden, dass Erkrankungen endodontischen Ursprungs einen Diabetes verursachen können. Das trifft nämlich eindeutig nicht zu.

Welche Präventionsmaßnahmen werden Diabetikern empfohlen, um eine apikale Parodontitis zu vermeiden?

Prof. Dr. Schäfer: Die bereits angesprochenen und bei Diabetikern/-innen häufiger vorliegenden Pulpaerkrankungen führen unbehandelt im Laufe der Zeit zu einer AP. Daher kann man diesen Patienten/-innen mit Nachdruck empfehlen, regelmäßig und engmaschig den behandelnden Zahnarzt bzw. Zahnärztin zur Kontrolluntersuchung aufzusuchen. Dabei sollten routinemäßig Sensibilitätstests aller Zähne und bei Bedarf eine röntgenologische Abklärung des periradikulären Zustands der Zähne durchgeführt werden.

Die effizientesten und mit großem Abstand selbstverständlich einfachsten Präventivmaßnahmen sind und bleiben natürlich die individuelle Mundhygiene und ggf. die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten. Dies hat jeder/jede Diabetiker/-in selbst in der Hand und daher können diese Empfehlungen gar nicht oft genug betont werden. Auch sollten die Patienten/-innen darüber aufgeklärt werden, dass u.a. Rauchen und fettreiche Ernährung nicht nur den Verlauf des Diabetes ungünstig beeinflussen, sondern auch als Risikofaktoren für die Entstehung einer AP anzusehen sind.

Was können Endodontologen/-innen tun, um das Bewusstsein ihrer Patienten/-innen für die Risiken von Zahninfektionen bei Diabetes zu stärken?

Prof. Dr. Schäfer: Die Patienten/-innen sollten vom behandelnden Zahnarzt bzw. ihrer Zahnärztin nachdrücklich und wiederkehrend darüber aufgeklärt werden, dass es auch für die Mund- und Zahngesundheit von größter Bedeutung ist, dass ihr Blutzuckerwert sehr gut eingestellt ist. Die zuvor genannten Zahlen zum Risiko der Ausbildung einer AP und zum möglichen Risiko eines Zahnverlustes nach Wurzelkanalbehandlung verschlechtern sich für nicht optimal eingestellte Diabetiker/-innen nochmal erheblich.

Nach einer Wurzelkanalbehandlung sollte den Patienten/-innen auch angeraten werden, die klinischen und röntgenologischen Verlaufskontrollen engmaschiger und bereits früher durchführen zu lassen als sonst gemeinhin üblich. Die Patienten/-innen sollten verstehen, wie wichtig für sie ein Recall ist, denn nur so kann eine Neuentstehung einer AP beziehungsweise eine Progression einer bereits vorliegenden AP rechtzeitig erkannt und geeignete Maßnahmen eingeleitet werden.

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der Forschung im Bereich Diabetes und apikale Parodontitis? Welche Fragen müssen Ihrer Meinung nach noch beantwortet werden?

Prof. Dr. Schäfer: Die Pathomechanismen der Entstehung pulpaler Erkrankungen und auch der Hintergrund, warum eine vorliegende AP nach Wurzelkanalbehandlung häufig nicht ausheilt, nicht selten sich sogar progredient vergrößert, sind mittlerweile gut erforscht und weitgehend geklärt.
Anders sieht es mit der Frage aus, warum Diabetiker/-innen häufiger als gesunde Patienten/-innen eine AP entwickeln. Es deutet sich nämlich an, dass bei Diabetikern/-innen ein verändertes intrakanaläres Mikrobiom für die erhöhte Prävalenz von apikalen Parodontitiden verantwortlich sein könnte.

Anzeige

Der Pilz Candida albicans wurde im Vergleich zu einer Kontrollgruppe etwa doppelt so häufig bei Diabetikern/-innen im Wurzelkanal nachgewiesen. Je länger dabei die Patienten/-innen an Diabetes erkrankt waren, desto wahrscheinlicher lag eine Infektion mit Candida albicans vor. Weiterführende Studien sollten hier anknüpfen, um das im Wurzelkanal vorliegende Mikrobiom weiter zu entschlüsseln.
Vielleicht können solche Grundlagenstudien in absehbarer Zeit dazu beitragen, dass für die Wurzelkanalbehandlung bei Diabetikern/-innen ein spezielles, auf das zu erwartende Keimspektrum besser angepasstes Desinfektionsprotokoll entwickelt wird. Zu wünschen wäre das unseren Patienten/-innen mit Diabetes mellitus ohne Zweifel.

Herr Professor Dr. Schäfer, vielen Dank für das Gespräch.

Kommentare

Keine Kommentare.

Anzeige