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Korrekte Okklusion vorteilhaft für Athleten – funktionelle Interferenzen bei allen Patienten
Für Prof. Dr. Dr. Daniela Ohlendorf-Trapp (Frankfurt) findet in der Körperhaltung jede Bewegung ihren Anfang und ihr Ende. Dabei gebe es keine optimale Körperhaltung, nur eine individuell günstige Normhaltung. Gleich ob Leistungssportler oder Nichtathlet, bei jedem hängen Muskelketten durch funktionelle Interferenzen zusammen und auch eine CMD und trigeminale Verschaltungen gehören zu den neurophysiologischen Mechanismen funktionaler Interdependenzen. Und weil mit einer zahnärztlichen Schiene und damit einhergehenden okklusalen Veränderungen Gangmuster verändert werden können, können auch – insbesondere bei Sportarten mit stärkerer Einbindung des Haltungssystems und Personen mit CMD – Interventionen auf die dentale Okklusion durch Schiene/Mundschutz funktionale Interdependenzen verändern und damit die sportliche Leistung verbessern [1,2].
Ohlendorfs eigenen Untersuchungen zufolge scheinen im Kontext der Interdependenzen zwischen Kieferlage und motorischer Kontrolle von Haltung und Bewegung bei Sportlern nicht nur die Unterschiede in der Schiene bzw. in der UK-Position (Interkuspidalposition, Zentrikschiene/Performanceschiene, Dental Power Splint und Maximale Interkuspidation) unterschiedliche Effekte hervorzurufen, auch die klinische Relevanz zeigte sich – von gering und moderat bis hoch – individuell sehr variabel, und vorgefertigte Schienen schneiden allgemein schlechter ab als individuell angepasste Schienen. Ihre Ergebnisse, dass eine Schiene bei jedem sportmotorischen Test eine Leistungssteigerung nach sich zog, reihen sich ein in die internationalen Forschungsergebnisse, die trotz heterogener Forschungslage ein Verbesserungspotenzial für die athletische Leistung – wenn auch nur marginal – durch die Schiene sehen.
Schiene als legales „Dopingmittel“
Auch Sportzahnmediziner Dr. Siegfried Marquardt (Tegernsee) beschäftigt sich mit der Funktionstherapie, verwies zusätzlich auf das Zahntrauma als Notfall und die Relevanz von Kopfverletzungen nicht nur in den deutschen Eishockey-Profiligen. Aufklärung über und Schulung/Fortbildung zu diesem Risiko sieht er hier als Schlüssel zum Erfolg [3,4].
Individuelle Performanceschienen oder andere Arten nichtkonfektionierter Schienen werden gebraucht, um Prävention und Leistungssteigerung zu berücksichtigen. Etabliert habe sich in diesem Zusammenhang das PRO-Konzept (Prevention, Retention, Occlusion) nach dem ONE 4 All Mundschutzkonzept der Gesellschaft für Sportzahnmedizin e.V. (DGSZM). Marquardt appellierte, an die Elimination von Störfaktoren in der Sportzahnmedizin zu denken, wie z.B. verlagerte 8er (Herdproblematik), elongierte 8er oder apikal beherdete wurzelkanalbehandelte Zähne.
Ergebnisse zur Mundgesundheit bei Fußballspielern im Zeitraum von 2010 bis 2016 hätten eine sehr hohe Gingivitis- und Parodontitisrate (55%), eine hohe Kariesrate (61%) und eine große Zahl an Funktionsproblemen (66%) bei den Studienteilnehmern weit über dem Durchschnitt der normalen Bevölkerung gezeigt [5]. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie von Needleman et al., in der 46% der untersuchten Sportler ihre orale Gesundheit in Zusammenhang mit ihrer Leistungsfähigkeit brachten [6]. Laut Marquardt muss man Sportler darüber aufklären, dass sich Parodontose-Bakterien in Muskeln und Sehnen ansammeln können und deshalb parodontalpathogene Bakterien einen direkten Einfluss auf ihre Leistungsfähigkeit haben. Hierin sieht Marquardt eine hohe klinische Relevanz, auch wenn die wissenschaftliche Studienlage oft nicht vollständig sei.
Leistungstuning durch Sportzahnmedizin in Form einer Schiene sei erlaubtes Doping und er schätzt dieses ebenso wie Ohlendorf als erfolgreich ein. Eine Studie um Herzog et al. beobachtete, dass sich die Beweglichkeit der Halswirbelsäule durch das Tragen einer maßgeschneiderten UK-Schiene deutlich hinsichtlich der Rotation nach links (plus 3,9%) und rechts (plus 2,7%) erhöhte. Außerdem reduzierte sich der Bereich der Schwankungsauslenkungen im Zweibeinstand um etwa 31,5%, im Einbandstand um 28,2% nach rechts [7].
Eine Herausforderung bei der sportzahnmedizinischen Rehabilitation sei der psychosoziale Stress von Sportlern, da dieser einen Zusammenhang zu muskulären Beschwerden haben könne. „Deutschland hat Rücken“ entstehe auch durch nicht passende Bisssituationen. Deshalb müsse man „den Menschen als Ganzheit betrachten, weil alle Ebenen miteinander zusammenhängen“.
Entscheidend bei der Herstellung einer Leistungs-, Präventions- und Schutzschiene für den Spitzen-, aber auch Breitensportler sei eine ästhetische und funktionelle Analyse, die auf anatomischen Referenzen basiert und abhängig von der skelettalen Klasse ist. Weil der Zahntechniker die anatomisch reale Situation des Patienten mit seiner natürlichen Kopfposition (NKP) und den skelettalen Aspekten übertragen bekommen muss, werde dafür die Ala-Tragus-Ebene herangezogen, die aus der KFO bekannt ist und zu einem hohen Prozentsatz parallel zur Okklusionsebene verläuft [8]. Damit verzichte man auf die Anwendung von Bezugsebenen, die wir noch aus der Uni kennen, wie z.B. die Campersche Ebene oder eine Übertragung mit dem Übertragungsbogen. Stattdessen erfolge in seiner Praxis die Übertragung der NKP mit dem PlaneSystem®.
Marquardt betonte die Bedeutung der Diagnostik von aufsteigenden und absteigenden Ketten durch den Zahnarzt (z.B. durch den Test von Blockaden im Vergleich Stehen und Sitzen sowie Tests mit unterschiedlichen Bisshöhen unter Zuhilfenahme von Bausch Fleximeter Strips), die aus seinem Verständnis heraus Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Physiotherapeut, Orthopäde und Zahnarzt bildet. Rotationszentren des gesamten Athleten müssten beachtet werden, wobei der Zahnarzt nur die absteigenden Ketten therapieren müsse und könne. Funktionsschienen auf Basis einer nicht manipulierten und zuvor relaxierten Registratur seien bei absteigenden Ketten eine einfache Möglichkeit, um funktionelle Störfaktoren beim Sportler zu eliminieren.
Leistungssportler ist Risikopatient für orale Entzündungen
Prof. Dr. Dirk Ziebolz (Brandenburg)stellte die Leistungsfähigkeit im (Spitzen-)Sport unter dem Aspekt der oralen Inflammation vor. Bei nur beschränkter Datenlage scheint die Prävalenz entzündlicher Erkrankungen bei Sportlern hoch zu sein (Gingivitis bis zu 76%, Paradontitis bis zu 15%, Perikoronitis bis zu 40%) [9]. Eine aktuelle Studie zum Mundgesundheitszustand deutscher Spitzensportler zeige, dass diese im Vergleich zu Amateuren mehr Entzündungszeichen des Parodonts aufweisen, gleichzeitig nehmen sie Symptome wie z.B. Blutungen weniger wahr als die Gruppe der Nicht-Leistungssportler und schätzen ihre Mundgesundheit selbst besser ein als sie tatsächlich ist [10]. Als (potenzielle) Ursachen gelten eine mangelhafte Inanspruchnahme präventiv-zahnmedizinischer Angebote (regelmäßige PZR nur bei 47%) und eine mangelhafte mechanische Biofilmkontrolle (Zahnzwischenraumpflege nur bei 44%). Dagegen verwendete ein hoher Prozentsatz der Sportler (41%) eine fluoridhaltige Mundspüllösung – vielleicht, so Ziebolz’ Überlegungen –, um das eigene Mundhygieneverhalten zu kompensieren. Im Umkehrschluss bedeute das eine hohe Aufklärungspflicht seitens der Zahnärzte bezüglich der Bedeutung von Zahnhygiene, der Rolle der Ernährung (Sportdrinks) und der Host Response (Immunsystem). Athleten müsse bewusst gemacht werden, dass Präventionsangebote vorhanden sind und genutzt werden sollten.
Ein Erklärungsmodell für die genannten Mundgesundheitsdaten könne das weniger gute Präventionsverhalten bei gleichzeitiger körperlicher Belastung und immunologischem Stress, vor allem bei Ausdauersportlern, sein. So wurde nachgewiesen, dass verschiedene systemische Inflammationsmarker wie z.B. Troponin, Interleukine, TNF-α (Tumornekrosefaktor) und CRP (C-reaktives Protein) unmittelbar nach einem Marathonlauf signifikant erhöht sind und auch noch 24 Stunden später auf einem höheren Level liegen [11]. Die systemische Inflammation zeigt sich ebenfalls im Anstieg systemischer Entzündungs-/Blutparameter wie Leukozyten und Lymphozyten nach dem Lauf/Belastung, was eine erhöhte Anfälligkeit für bestimmte Entzündungen darstellt [12]. Zum immunologischen Stress gesellt sich messbarer Stress: Auch Cortisol und Adrenalin steigen nach dem Marathonlauf an [13]. Dabei passiere auch etwas im Mund: Borchers et al. [14] konnten nachweisen, dass Blut und Speichel ähnliche Mechanismen bei Extrembelastung zeigen – im Speichel stiegen u.a. Interleukine, Amylase und aMMP-8 an.
Das Fazit des Referenten: Körperliche Belastung beim Ausdauer- und Spitzensportler sind Stressoren des Immunsystems mit einer systemischen Inflammation, die relativ lange anhält. „Sport ist gesund“ konstatierte Ziebolz, „die Dosis macht das Gift“. Der Stressor Sport schaffe eine Immunaktivierung und „möglicherweise bewirken wir damit eine erworbene/adaptive Immunität – möglicherweise wird man dadurch weniger krank“. Gleichzeitig zeige sich eine höhere Infektanfälligkeit von Sportlern je intensiver und häufiger der Sport ist – ein Zeichen für die Komplexität des Themas. In diesem Zusammenhang spiele auch die Theorie des „offenen Fensters“ eine Rolle, die durch eine kurzfristige Unterdrückung des Immunsystems nach einer akuten Ausdauereinheit gekennzeichnet ist. In diesem Zeitfenster kann es zu einer erhöhten Anfälligkeit für Erkrankungen insbesondere der oberen Atemwege kommen [15].
Ob die orale Inflammation die Leistungsfähigkeit beeinflussen kann? Nach Ziebolz wird eine gingivale Entzündung die Leistungsfähigkeit eher nicht negativ beeinflussen. Dafür brauche es eine etablierte Parodontitis, die Sportler in dieser Altersgruppe (in der Regel) nicht haben. Aber wenn Entzündungen wie eine Perikoronitis in der Mundhöhle vorliegen, dann sind systemisch inflammatorische Einflüsse vorhanden, die dazu führen, dass Sportler eher verletzungsanfällig sind, dass sie länger ausfallen, weil die Regeneration in Mitleidenschaft gezogen werden kann und die Rehabilitation von Verletzungen länger dauert. Deshalb sei eine adäquate Prävention wichtig, und akute Probleme wie Zahnschmerzen aufgrund einer Pulpitis/Parodontitis apicale oder eine mit Schmerzen und ggf. Fieber einhergehende Perikoronitis gelte es zu vermeiden bzw. zu beseitigen, da diese die Leistungsfähigkeit einschränken.
Eine chronische Parodontitis dagegen ist keine Entzündung der Mundhöhle, sondern ist eine multifaktorielle systemische Entzündung und ein Symptom einer systemischen immunologischen Dysregulation, die natürlich die Leistungsfähigkeit beeinflussen kann [16]. Ziebolz brachte seine Konsequenz auf den Punkt: Der Spitzensportler ist ein Patient mit speziellem Bedarf und ein potenzieller Risikopatient für orale Entzündungen. Deshalb muss in der Zahnarztpraxis seine individual-präventive Betreuung erfolgen.
Erosionsprävention: Verzicht auf stark saure, an Kalzium-ungesättigte Nahrung

Kongressleiter Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Attin (Zürich) zeigte auf, dass Ausdauersportler ein erhöhtes Risiko für Erosion und ein trainingsabhängiges Kariesrisiko aufweisen [17].
Gleichzeitig schärfte er den Blick der Kongressteilnehmer für die Diagnose erosiver Zahnhartsubstanzverlust anhand klinischer Bilder. Was zu diesen Verlusten führt? Sportler haben einen verminderten Speichelfluss, eine erhöhte Refluxprävalenz, viele nehmen Asthmamittel ein. Eine gesunde, vitaminreiche Ernährung, Essstörungen/Hungerkuren, saure Getränke zur Erfrischung und saure Medikamente wie z.B. Vitamin-C- und Magnesium-Kautabletten wirken erosiv. Attin betonte die besondere Verantwortung des Zahnarztes hinsichtlich der Erkrankungen Reflux und Bulimie/Anorexie und der notwendigen Überweisung an andere Fachdisziplinen in diesen Fällen, um z.B. durch die Gastroenterologie ein Ösophaguskarzinom infolge Refluxes auszuschließen.
Wie wichtig es ist, Patienten und Sportler über Ernährung aufzuklären, zeigt eine Studie zum erosiven Potenzial von in der Schweiz erhältlichen Flaschen-Salatdressings im Vergleich zu dem von Orangensaft: Italienisches Dressing auf Balsamico-Essig-Basis hat ein statistisch signifikant höheres Erosionspotenzial als Orangensaft, das dem eines Dressings französischen Typs gleicht [18]. Wird dagegen 20% Naturjoghurt in das italienische Dressing eingemischt, reduziert dieses das Erosionspotenzial statistisch signifikant [19]. Im Kontext der Ernährung spielen auch die Konsumgewohnheiten eine Rolle: Mehr als 3-mal täglich und länger als 10 Minuten saure Getränke, Obst oder Zwischenmahlzeiten zu sich zu nehmen beeinflussen das Erosionsrisiko ebenso wie das Umherspülen, schluckweises Trinken und die lange Verweildauer vor dem Schlucken [20,21]. Laut Attin ist der Kalziumanteil in den Flüssigkeiten entscheidend: Bei einem höheren Anteil von Kalzium kommt es zu weniger Härteverlust, selbst wenn ein kritischer pH-Wert vorliegt. So konnte ein erosiver/abrasiver Zahnschmelzverschleiß durch Orangensaft und Zähneputzen durch eine Modifikation mit frei verfügbaren Nahrungsergänzungsmitteln (Kalzium-Brausetablette oder das Säure-Basen-regulierende Pulver Probase) deutlich reduziert werden [22] und z.B. verursache das Getränk Hohes C plus Calcium 17-fach weniger Erosion als normales Hohes C.
Zur Prävention von Erosionen diene zum einen die entsprechende Patientenaufklärung und zum anderen (nach Bedeutung in absteigender Reihenfolge) die
- Vermeidung stark saurer, an Kalzium-ungesättigter Nahrung,
- Veränderung des Ernährungsverhaltens,
- Verwendung (Zinn-)Fluorid-haltiger MH-Produkte.
Außerdem setzt Attin bei betroffenen Patienten auf Versiegelungen zur Verhinderung des erosiven Substanzverlustes [23] undverwendet dazu nach sorgfältiger Reinigung der Oberfläche ein Ein- oder Zweit-Schritt-Adhäsiv.
Um im Bild des Sportes zu bleiben: Vor dem Spiel ist nach dem Spiel oder andersherum – der nächste ZKN-Winterkongress findet vom 05.–07.02.2026 statt.
Im Bericht genannte behandlungsbezogene Empfehlungen beruhen auf Informationen aus den Vorträgen und unterliegen möglichen Irrtümern bei der Wiedergabe. Deshalb besteht keine Haftung.
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