Unter Biomaterial versteht man in der Medizin natürliche oder synthetisch hergestellte Werkstoffe, die bei ihrem Einsatz im menschlichen Körper direkt mit biologischem Gewebe in Kontakt kommen. Interessant sind hierbei vor allem die auftretenden Wechselwirkungen zwischen körpereigenen Strukturen und dem jeweils verwendeten Material. Die beobachtbaren Prozesse können chemischer, physikalischer oder biologischer Natur sein – spannend ist vor allem, ob sie spontan und damit eher zufällig auftreten oder sogar für den Therapieerfolg gezielt genutzt werden können. Bei der Vielzahl der heute am Markt erhältlichen Füllungsmaterialien ist es wichtiger denn je, den Unterschied zwischen biokompatibel und bioaktiv zu kennen und zu verstehen, welche Verbindungen die gewünschten katalytischen Effekte auslösen bzw. warum.
Biokompatibel vs. bioaktiv
Biokompatibilität ist in der Zahnmedizin quasi die Grundvoraussetzung für die Verwendung eines Werkstoffes, der über lange Zeit im Körper verbleibt. Das Auftreten von Vergiftungserscheinungen oder sonstiger toxischer Nebenwirkungen wäre mehr als kontraproduktiv. Bioinert sind Stoffe, die keine nennenswerte Reaktion des umgebenden Gewebes hervorrufen.
In der Praxis operiert man häufig mit bestimmten Grenzwerten, die bei bioinerten Stoffen unterschritten werden müssen, da zum Beispiel innenliegende Implantate zumindest eine Art Verkapselung im Körper hervorrufen können, wenn sie schon keine direkte Wechselwirkung provozieren. Korrosionsbeständigkeit und thermische Stabilität werden bei bioinerten Werkstoffen selbstverständlich vorausgesetzt. Ein gutes Beispiel im Dentalbereich für bioinertes Material wären Composite-Veneering-Systeme, bei denen Kunststoffschalen mit einem identischen Hochleistungskomposit auf dem Dentin fixiert werden, ohne ein Nachwachsen des abgebrochenen oder geschädigten Zahnes auszulösen. Das Gegenteil sind quasi bioresorbierbare Dentalwerkstoffe wie zum Beispiel biologisch vollständig abbaubare Wundeinlagen aus Gelatine und kolloidalem Silber. Bioaktivität hingegen fördert die körpereigenen Regenerationsmöglichkeiten. Bereits seit den 1960er-Jahren beschäftigt sich die Materialforschung intensiv mit Stoffen, welche die natürliche Regeneration aktiv unterstützen und die Neubildung von Dentingewebe zusätzlich anregen. Dabei müssen solche Prozesse selbstverständlich in überschaubarem Rahmen stattfinden und selbst unter Nichtlaborbedingungen wohldefinierte Auswirkungen haben. Echte Bioaktivität spielt im Zusammenhang mit endodontischen Obturationsmaterialien eine neue praktische Rolle und ergänzt somit die eigentlichen Funktionen des Materials.
MTA aus dem Baumarkt?
Der Klassiker unter den biokeramischen Materialien im Wurzelkanal ist eindeutig Mineral- Trioxid-Aggregat (MTA). Seit den 1990er-Jahren ist die Mischung aus verschiedenen Kalziumsilikaten und -sulfaten in der Zahnheilkunde erfolgreich im Einsatz. Zur Erhöhung der Radioopazität wurden Bismuthoxide hinzugefügt. Das Ergebnis war ein reproduktives Material, welches sich u. a. zur Reparatur kleinerer Defekte eignete, da es die Bildung von Tertiärdentin förderte.
Quelle: georgi mironi/fotolia.com
Bioglas zur Reparatur von Knochendefekten
Ein weiterer Lösungsansatz im Bereich der endodontischen Füllungstherapie heißt Bioglas. Es besteht prinzipiell aus Siliziumoxid, Kalziumoxid, Natriumoxid und Phosphoroxid. Bereits 1969 entdeckte der amerikanische Professor Dr. Larry L. Hench, dass das allgemein gut verträgliche Material die Fähigkeit besitzt, sich mit lebendem Knochenmaterial zu verbinden. Seine osteoinduktive Wirkung wird heute gezielt zur Reparatur kleinerer Knochendefekte eingesetzt. Unter den richtigen Bedingungen induziert der Werkstoff zunächst einen hohen pH-Wert. Dadurch lässt sich potenziell die Ansiedelung bzw. das erneute Wachstum von Mikroorganismen eindämmen. Auf der Suche nach einem vielseitigen Obturationsmaterial lag die Idee nahe, das Reparaturpotenzial von Bioglas in einem geschickt zusammengesetzten Werkstoff zu nutzen, welcher regenerative Fähigkeiten hat und natürlich auch seiner Hauptaufgabe nachgeht: dem wirkungsvollen Ausfüllen und sicheren Abdichten des gesäuberten Hohlraums im Wurzelkanal, um so zu einer nachhaltigen Patientenversorgung zu führen.
Guttapercha als unausweichliche Basis
- Es ist gut verträglich und in erster Linie bioinert,
- kann den Wurzelkanal sowohl in lateraler als auch vertikaler Richtung effizient abdichten,
- ist volumenbeständig und
- hält über viele Jahre im Wurzelkanal den Bedingungen stand.
Das Obturationsmaterial GuttaFlow von COLTENE wird mit Guttapercha in Pulverform mit einem silikonbasierten Sealer hergestellt. Verschiedene Vitalitätsstudien zeigen u. a. die hohe Biokompatibilität von GuttaFlow. So wurde an parodontalen Stammzellen (hPDLSC) die Zytotoxizität verschiedener handelsüblicher Obturationsmaterialien nachgewiesen. Das Kombipräparat GuttaFlow bioseal wies eine signifikant bessere Gewebeverträglichkeit mit deutlich höheren Proliferationsraten auf. Das Vorgängermodell sowie der traditionelle Sealer „RoekoSeal“ (COLTENE) laufen mittlerweile bei internationalen Untersuchungen oft als Nullstandard mit, da sich bislang keinerlei negative Auswirkungen des Werkstoffes im Labor und im klinischen Einsatz zeigten.
Hydroxylapatitkristalle – Bauteile der Regeneration
Dank seiner bioaktiven Eigenschaft kann der einfach zu applizierende Werkstoff in situ entsprechende biochemische Prozesse in Gang setzen, welche die Regeneration im Wurzelkanal zusätzlich unterstützen. Im Detail funktioniert dies folgendermaßen: Nach dem Aushärten stellt GuttaFlow bioseal unter bestimmten Bedingungen natürliche Reparaturbausteine wie Kalzium und Silikate zur Verfügung. Beim Kontakt mit Körperflüssigkeit bilden sich Hydroxylapatitkristalle an der Oberfläche. Diese Kristalle regen als natürliche Trigger den Wiederaufbau von Knochen- und Dentingewebe an (Abb. 4). Die Nutzung dieses katalytischen Effekts kann neben der wirksamen Versiegelung des Kanals als „Fall- Back“ für kritische Situationen dienen.
Die optimale Röntgensichtbarkeit ist bei dem dentalmedizinischen Produkt selbstverständlich (Abb. 5a u. b). Zudem besticht das gut fließende Füllungsmaterial durch sein im Vergleich zu MTA unkompliziertes Handling. Appliziert wird das Obturationsmaterial aus einer 5-ml-Automix-Spritze, wobei die Verarbeitungszeit nur ca. 5 Minuten und die Aushärtungszeit ca. 12 bis 16 Minuten beträgt.
Löslichkeiten
Ein weiterer Vorteil, der eindeutig für die Verwendung einer solchen Sealer-Kombination spricht, ist die wissenschaftlich nachgewiesene Beständigkeit des Materials. Die Aktivierung der bioaktiven Komponenten erfolgt bei GuttaFlow bioseal allein an der Oberfläche und mit körpereigenen Flüssigkeiten. Reines Wasser hingegen kann die Kristallbildung nicht fördern. Guttapercha und der silikonbasierte Sealer sind von Natur aus nicht löslich und bremsen daher automatisch einen möglichen Löslichkeitsprozess.
Hier stellt sich nicht die Frage, ob bei höherem Flüssigkeitseinschluss die Löslichkeit schneller voranschreitet als die Reparatur von Dentin.
Obturationsmaterial mit tierischem Erfolg
Ausblick
Zentrale Aufgabe eines zuverlässigen endodontischen Obturationsmaterials bleibt weiterhin die sichere, dreidimensionale Versiegelung des gesamten Wurzelkanalsystems. Guttapercha-basierte Werkstoffe zeigen hier langjährig sehr gute, reproduzierbare Ergebnisse. Bioaktive 3-in-1- Füllsysteme unterstützen zusätzlich die Regeneration im Wurzelkanal durch Bildung von Hydroxylapatitkristallen bei Kontakt mit Körperflüssigkeiten. Aktuelle Produkte mit Bioglas sind hierbei eine kostengünstige Alternative und überzeugen sowohl in ihrer guten Gewebeverträglichkeit als auch dem einfachen Handling. Langfristig bleibt in der Endodontie der Wunsch nach einer chairside erstellten individuellen 3D-Ausfüllung jedes einzelnen Wurzelkanals.
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