Die Häufigkeit der medizinischen Notfälle erhöht sich zunehmend durch längere und komplexere Zahnbehandlungen, das steigende Durchschnittsalter der Patienten und die damit verbundene Polymorbidität (viele Krankheiten) und Polymedikation (viele Medikamente). Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, die individuellen Risiken der Patienten zu erfahren: durch die allgemein-medizinische Anamnese! Wird ein Risikopatient nicht erkannt, besteht die Möglichkeit, diesen durch „falsche“ Behandlungen oder Empfehlungen gesundheitlich, ganz selten sogar lebensbedrohlich zu gefährden. Daher ist vor jeder zahnmedizinischen Behandlung sowie vor einer Prophylaxe-Sitzung die ausführliche und regelmäßig aktualisierte Anamnese ein absolutes „Muss“, um die richtigen Konsequenzen aus den individuellen Risikofaktoren ziehen zu können.
Anamnese: Was?
Die Anamnese (altgriechisch für Erinnerung) ist die systematische Befragung der Patienten, um deren gesundheitliche Vorgeschichte, insbesondere Krankheiten, Dispositionen (Allergien), Behinderungen und Lebensumstände, zu erfahren. Da der Patient (zahn-)medizinischer Laie ist, ist es unumgänglich, ihn konkret zu den für die zahnmedizinische Behandlung relevanten Informationen zu befragen. Der Patient wird von sich aus kaum alles Wichtige erzählen! So könnte er etwa denken: „Eine Spritze beim Orthopäden (Bisphosphonate) muss ich doch nicht sagen. Was geht das den Zahnarzt oder die Mitarbeiterin an – die putzt doch nur?“ Leider wissen die Patienten einfach nicht, dass Vorerkrankungen und Medikamente sehr wohl entscheidend für die Art und Weise der Behandlungen in einer Prophylaxe-Sitzung sein können. Daher sind alle Mitarbeiter einer Zahnarztpraxis bereits bei der Anamneseerhebung gefordert: Mitdenken, Nachfragen und Hilfeanbieten, insbesondere beim Ausfüllen des Anamnesebogens, sind oft erforderlich, um möglichst genaue Daten und Informationen zu erhalten.
Anamnese: Wann?
Nur wenn die Anamnesedaten aktuell sind, machen sie auch Sinn! Alte Angaben können irrelevant und neue übersehen werden, wenn die Anamnese nicht immer „im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung“ aktualisiert wird, wie es im Patientenrechtegesetz (2013) gefordert wird. Daher muss die Anamnese jedes Mal aktualisiert und unbedingt dokumentiert werden. Rein rechtlich gesehen kann die Anamneseerhebung auch ausschließlich mündlich erfolgen, wobei die Ergebnisse unbedingt dokumentiert werden müssen.
Anamnese: Wie?
PP-Folie Dr. C. Kempf 2019
Der Anamnesebogen
Der Anamnesebogen ist die Basis jeder Anamneseerhebung, da er alle relevanten Fragen als Hilfestellung für den Patienten auflistet und daher – gegenüber einer rein mündlichen Anamnese – den Zeitaufwand deutlich reduziert. Zudem ist damit schon eine schriftliche Dokumentation garantiert. Neben den Fragen sollte auch die Notwendigkeit der Anamneseerhebung patientenfreundlich erklärt und auf die Vertraulichkeit und Datenschutz-Richtlinien hingewiesen werden. Unmissverständliche Fragestellungen, Verzicht auf Fremdwörter und Abkürzungen, ausreichende Schriftgröße und klar gegliederter Aufbau (Themenblöcke) mit systematisch angeordneten Antwortfeldern erleichtern sowohl dem Patienten das Ausfüllen als auch dem Praxisteam das Übertragen der Informationen in die Patientenakte (Abb. 2). C. Kempf
C. Kempf
Oft wird für einen kurzen, knappen Bogen Informationsverslust in Kauf genommen, wobei der Umfang eines Fragebogens keine negativen Einflüsse auf das Ausfüllen hat. Die Alternative digitaler Anamnesebögen (z.B. Tablets) wird sich immer mehr durchsetzen, da damit sowohl die Speicherung und Wiederaufrufbarkeit erleichtert als auch Übertragungsfehler vermieden werden. Um den Anamnesebogen sorgfältig auszufüllen, muss der Patient genügend Zeit zur Verfügung haben. Idealerweise wird der Bogen, unabhängig von der Behandlung, im Wartezimmer (nicht im Behandlungsraum!) ausgefüllt. Die Alternative, den Anamnesebogen über Ihre Homepage anzubieten, ist für die Patienten eine gute Möglichkeit, die Bögen in Ruhe daheim schon durchzuarbeiten und die Aufenthaltsdauer in der Praxis zu verkürzen.
Die Anamnese nur mündlich zu erheben, ist ein absolutes „NO GO“, da der Informationsverlust an wesentlichen Daten durch „Vergessen abzufragen oder zu erzählen“ vorprogrammiert ist. Aber als Unterstützung der schriftlichen Anamnese, zum detailierten Nachfragen bei „Risiko-Angaben“ und v.a. für die Patientenzuwendung, Bildung des Vertrauens und den Angstabbau ist die mündliche Anamnese ein absolutes „Muss“! Auch Informationen, welche mit allen anderen Sinnen aufgenommen werden können, wie z.B. das biologische Alter, Behinderungen, Unsicherheit, Angst, Schwangerschaften, Hautveränderungen bei Nieren- und Lebererkrankungen, Herpes-Erkrankungen, Nikotinabusus, Mundgeruch (Halitosis-Diagnostik), Husten und vieles mehr, helfen das Patientenrisiko besser einzuschätzen.
Anamnese: Konsequenz?
C. Kempf
Fazit
Am Anfang steht immer die allgemein-medizinische Anamnese als Basis jeder zahnärztlichen Therapie, Beratung und Prophylaxe-Behandlung. Um den Patienten in seiner Gesamtheit zu erfassen, bedarf es einer umfangreichen Anamneseerhebung, deren Basis, der Anamnesebogen, durch mündliches Nachfragen und weitere sensorische Beobachtungen komplettiert werden muss. C. Kempf
Mit dem Motto „Anamnese bekannt – Gefahr gebannt“ wird jede Prophylaxe-Sitzung nicht nur zur VOR-, sondern auch zur FÜR-Sorge für Mund- und Patientengesundheit!
Bildquellen sofern nicht anders deklariert: Unternehmen, Quelle oder Autor/-in des Artikels
Keine Kommentare.