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Interview

Auswirkungen der digitalen Zahnheilkunde auf die Zukunft der Patientenversorgung

Dr. Miguel Stanley, Gründer und klinischer Leiter der White Clinic in Lissabon, Portugal, ist Experte für das Konzept der Slow Dentistry und der ganzheitlichen Zahngesundheit. Im Rahmen der exocad Insights 2024 hat er über das Thema „Die Macht der Avatare in der Zahnmedizin“ und die Entwicklung der digitalen Transformation gesprochen. In einem Interview auf der Veranstaltung hat uns Dr. Stanley einen Einblick gegeben, wie digitale Werkzeuge die Diagnose- und Behandlungsplanungsprozesse in der Zahnmedizin verändern können, und unterstrich zudem die wichtige Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Zahn- und Allgemeinmedizinern/-innen.

Tippapatt/AdobeStock

Dr. Stanley, wie beurteilen Sie den Einfluss und die Chancen des Einsatzes von KI in der Zahnmedizin?

M. Stanley
Miguel Stanley DDS, Gründer und klinischer Leiter der White Clinic, Lissabon.

Dr. Stanley: Wenn wir über KI und Zahnmedizin sprechen, geht es nicht um die eine KI, sondern um viele verschiedene. Einige werden versteckt, einige sichtbar sein, einige werden zu den Unternehmen gehören, die die von uns verwendeten Technologien herstellen, z.B. in einem IO-Scanner oder einem CBCT-Röntgengerät.

Patienten/-innen werden mithilfe von KI – sozusagen im Sinne einer Qualitätskontrolle – überprüfen können, ob der Behandlungsplan mit ihren Grundsätzen und ihrer Philosophie übereinstimmt. Je nach Programmierung wird es verschieden KIs geben, die entsprechend nach unterschiedlichen Parametern ausgerichtet sind, Daten durchsuchen oder bewerten.

Wenn allerdings eine KI von einem Unternehmen kommt, dessen Aufgabe es ist, unabhängig vom Ergebnis Geld zu verdienen, dann ist das ein Problem. Eine KI ist also nicht einfach nur erstaunlich, sie muss programmiert, erforscht und getestet werden und hängt davon ab, was ihr aufgetragen wird.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Zukunft der zahnmedizinischen Behandlung?

Dr. Stanley: Ich denke, die Zukunft der Zahnmedizin wird unbestreitbar interessant sein. Wir werden eine Technologie haben, die Zahnärzte/-innen, Unternehmen und Verbraucher/-innen miteinander verbindet. Bisher mussten neben den Patienten/-innen auch die Unternehmen und Versicherungsgesellschaften den Entscheidungen der Ärzte/-innen vertrauen. Für meinen Geschmack ist das ist ein bisschen zu viel Vertrauen. Denn man muss in Betracht ziehen, dass nicht jeder die Wahrheit sagt. Selbst wenn es nur 5% oder sogar nur 1% sind, sollte das nicht passieren. Denn die Patienten/-innen haben das Beste verdient. Ich bin daher überaus fasziniert von der Diskussion darüber, wie künstliche Intelligenz und Technologie dazu beitragen können, etwas mehr Transparenz in der Zahnmedizin und in der zahnärztlichen Gemeinschaft zu schaffen.

Grundsätzlich können wir davon ausgehen, dass es sich um eine verbrauchergesteuerte Revolution handeln wird von Zahnärzten/-innen, die Technologie und Materialien kaufen, um bestmöglich behandeln zu können. Ich gehe zudem davon aus, dass das veränderte Kauf- und Konsumverhalten der Verbraucher/-innen – die immer mehr auf Inhaltsstoffe achten – in der Zahnmedizin Einzug halten wird. Dann wird es nicht mehr nur darum gehen, ein Implantat zu haben, sondern auch darum, welche Marke es hat, welche Zertifizierung, wie es hergestellt wurde und welche Werte das Unternehmen vertritt, das es verkauft.

Vor allem die jüngere Generation, also Generation Z, will immer mehr über die Produkte wissen. Vieles wird daher vom Verständnis der Verbraucher/-innen abhängen, und die Technologie kann helfen, die gesamte Lieferkette in der Zahnmedizin zu verstehen. Es kommt also nicht nur darauf an, gute Arbeit mit der Technologie zu leisten. Wichtig ist auch, wie und womit wir sie einsetzen.

Wie sieht Ihrer Ansicht nach die Zukunft der Zahnmedizin unter dem Aspekt der ganzheitlichen Betrachtung aus?

Dr. Stanley: Ich glaube, dass das goldene Zeitalter der Zahnmedizin noch vor uns liegt. Denn viele Menschen haben systemisch bedingte gesundheitliche Probleme wie Autoimmunerkrankungen, Hautprobleme oder chronische Müdigkeit. So gibt es mehr als 23 nicht übertragbare Krankheiten (NCDs), die heute für fast 70% aller Todesfälle verantwortlich sind*. Viele dieser 23 nicht übertragbaren Krankheiten lassen sich auf orale Entzündungen zurückführen. Wir sollten also den Mund nicht nur als statisch oder funktionell betrachten, sondern den Mund, die Zähne und alte, insuffiziente Versorgungen oder Restaurationen als Quellen für geringgradige chronische Entzündungen ansehen.

So sollte beispielsweise der Stiftaufbau in einem vor 40 Jahren endodontisch behandelten Zahn durch ein biologisch verträglicheres Material ersetzt werden. Das nenne ich dann „immune dentistry“, die sich nicht nur auf Funktion, Ästhetik und Rehabilitation konzentriert, sondern auch auf das Immunsystem der Patienten/-innen. Denn im Rahmen der Behandlung haben Zahnärzte/-innen die einmalige Gelegenheit, nicht nur den Mund von Entzündungen zu befreien, sondern die Mundhöhle im Allgemeinen zu inspizieren und auf mögliche krankhafte Veränderungen zu untersuchen.

Es scheint aber so, als wäre das Wissen über die Wechselwirkungen zwischen Mund- und Allgemeingesundheit unter den „Allgemeinmedizinern/-innen“ immer noch nicht weit verbreitet. Bisher wird nur in der zahnärztlichen Gemeinschaft darüber gesprochen.

Dr. Stanley: Ja, das ist das Problem. Im Rahmen des Medizinstudiums werden Zähne oder Ernährung nicht thematisiert. Wenn man also Krebs oder eine Autoimmunerkrankung hat, wird nicht wirklich über Diät, Ernährung, Nahrungsergänzungsmittel oder Zahnmedizin gesprochen. Es dient als Vorschlag, aber Ärzte/-innen wissen nicht wirklich darüber Bescheid. Dies ist eine Gelegenheit für Zahnärzte/-innen zu sagen: „Nehmen Sie viel Vitamin D zu sich, denn das ist gut für Ihre Knochen.“

Und warum spreche ich über Knochen? Weil ich Zähne aus dem Knochen ziehe, Implantate in den Knochen setze und Parodontitis den Knochen betrifft. Also wissen wir, dass die Patient/-innen bei Parodontitis Vitamin C, Vitamin D und auch Vitamin K einnehmen sollten. Wir haben die Beweise, die das belegen. Zahnärzte/-innen können also auch Gesundheitsdienstleister sein, und ich denke, das ist eine große Chance für die Zahnärzteschaft.

Bringen Sie selbst diese Botschaft auch in das Gesundheitssystem ein?

Dr. Stanley: Ja, denn wir müssen uns einer Sache bewusst werden: Was Zahnärzte/-innen und Ärzte/-innen verbindet, ist die Entzündung. Ich habe eine KI mit dem Namen Missing Link (https://missinglink.ai) entwickelt. Sie nutzt KI, um Panoramaröntgenbilder zu scannen und nach versteckten Entzündungen zu suchen. Und nicht zuletzt informiert sie die Patienten/-innen.

Wir wenden uns damit an Versicherungsgesellschaften, Krankenhäuser und Ärzte (Allgemeinmediziner/-innen, nicht Zahnärzte/-innen), um ihnen zu sagen: „Wenn Ihre Patienten krank sind, bitten Sie neben all den anderen Untersuchungen, die Sie durchführen, auch um einen Missing-Link-Scan. Und wenn dort etwas zu finden ist, empfehlen Sie Ihren Patienten/-innen, zu einem/einer guten Zahnarzt/-ärztin zu gehen, um ein CBCT zu machen, um die Diagnose zu bestätigen und vielleicht die Entzündung zu beseitigen. Es handelt sich also um eine Technologie, die die Kluft zwischen Ärzten/-innen und Zahnärzten/-innen überbrückt.

Dr. Stanley, vielen Dank für das interessante Gespräch!

Das Interview führte Barbara Bitzer

*www.bmz.de/de/themen/nicht-uebertragbare-krankheiten

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