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ZMK: Frau Milde, wie lange im Vorfeld kündigen Ämter und Behörden eine Praxisbegehung in der Regel an?
Milde: In der Regel melden sich die Behörden bundesweit mit etwa 4 bis 12 Wochen Vorlauf an. Es ist tatsächlich eine so weite Spanne. Mit der Ankündigung werden Unterlagen eingefordert, damit sich die Behörde anhand dieser Unterlagen bereits auf die Praxis vorbereiten kann. So bekommt sie ein Bild von der Praxis und davon, wie dort gearbeitet wird.
Man hört immer wieder von sogenannten Spontanbegehungen. Kommt es häufig vor, dass Behördenvertreter unangekündigt vor der Praxistür stehen?
Milde: Tatsächlich gibt es heute viel mehr Spontanbegehungen als noch vor Corona. Mir fällt auf, dass ich noch nie so viele Anrufe von Zahnärzten und Zahnärztinnen bekommen habe wie im vergangenen Jahr, die mir berichteten, dass die Behörde plötzlich einfach in der Tür stand. Vor Corona hat die Behörde solche Spontanbegehungen nur dann durchgeführt, wenn ein Anlass bestand. Das heißt, wenn der Behörde eine Anzeige gegen die Praxis vorlag, zum Beispiel von einer Person, die behauptet, dass etwas in dieser Praxis hygienisch nicht korrekt abläuft. Solche Meldungen stammen hauptsächlich von unzufriedenen ehemaligen Mitarbeitern oder Patienten, die der Praxis schaden wollen. Jetzt kommt es aber zu spontanen Begehungen ohne Anlass. Manchmal sagen die Mitarbeiter der Behörde: „Wir waren drei Straßen weiter bei einer Zahnarztpraxis und sind jetzt schneller durch als gedacht, also kommen wir einfach mal zu Ihnen.“
Haben Sie eine Idee, weshalb sich die Gepflogenheiten geändert haben könnten?
Milde: Behördenvertreter haben gemerkt, dass des Öfteren zwischen Ankündigung und ihrem Erscheinen alle Dinge nachgeholt werden, die eigentlich schon überfällig waren. Deshalb haben sie intern beschlossen, öfter den Spontanzustand von Praxen zu überprüfen und nicht den vorbereiteten Zustand.
Ist eine spontane Begehung tatsächlich rechtens oder kann man das unter bestimmten Umständen ablehnen?
Milde: Nein, eine spontane Begehung ist tatsächlich rechtens. Es steht nirgends geschrieben, dass die Behörde sich ankündigen muss, und laut Infektionsschutzgesetz ist es nun mal die Aufgabe der Behörde, medizinische Einrichtungen zu überwachen.
Was tun in diesem Fall?
Milde: Der beste Tipp in diesem Fall ist, nicht zu argumentieren, warum das gerade überhaupt nicht geht, oder den Zutritt zu verweigern. Letzteres wäre eine schlechte Idee, denn dann ist die Behörde natürlich nicht besonders gut auf den Praxisinhaber gestimmt und darf sich zur Not sogar Zutritt verschaffen, rein theoretisch sogar mit Polizeigewalt. Möchte der Praxisinhaber den Besuch verschieben, kann er höflich darauf hinweisen, dass es gerade sehr ungünstig ist, da für den ganzen Tag Patienten einbestellt sind, und einen positiven, konstruktiven Vorschlag für eine Verschiebung machen.
Gibt es hinsichtlich der Beurteilung der Hygienesituation gegenwärtige Trends? Wird heute auf bestimmte Aspekte mehr Wert gelegt als noch vor 5 oder 10 Jahren?
Milde: Durchaus. Wir haben zwar schon seit Langem die Auflage, mit validierten Prozessen zu arbeiten, aber erst seit etwa 2017 fangen die Behörden an durchzugreifen und Ordnungsgelder zu verhängen. Zunächst gab es noch Ausnahmen: Manche Behörde verzichtete auf das Ordnungsgeld, wenn die Zahnarztpraxis die Forderungen direkt umsetzte. Das ist heute komplett anders. Ich kenne keine Behörde mehr, die nicht sofort Ordnungsgelder verhängt und auch noch viel krassere Maßnahmen ergreift, wenn eine Praxis mit nicht validierten Aufbereitungsprozessen arbeitet. Das ist kein Kavaliersdelikt! Wenn ein Praxisbetreiber behauptet, dass er das nicht gewusst habe, zeigt er damit, dass er sich nicht an die Medizinproduktebetreiberverordnung [1] hält – dort steht nämlich, dass mit validierten Prozessen gearbeitet werden muss. Die Ausrede, „Ich habe es nicht gewusst“, ist also ganz schlecht.
Gibt es weitere Trends?
Milde: Ja, die Akzeptanz manueller Prozesse ist stark gesunken. Eine rein manuelle Aufbereitung von Medizinprodukten im Wannenbad wird kaum mehr geduldet, wenn es sich um Instrumente handelt, die nach Herstellerangaben in ein maschinelles Aufbereitungsverfahren gegeben werden dürfen. Zu der geringeren Akzeptanz kommen viel höhere Auflagen für manuelle Aufbereitungsprozesse hinzu [2]. Ich muss also viel fettere Kröten schlucken, wenn ich das unbedingt machen möchte. Ganz ehrlich, dieser ganze Aufwand für die manuelle Aufbereitung, verbunden mit hohen Kosten, lohnt nicht.
Welche Hygienedefizite beziehungsweise andere Mängel werden im Zuge einer Begehung derzeit am häufigsten festgestellt?
Milde: Am häufigsten betreffen Mängel tatsächlich die Aufbereitung von Winkelstücken und anderen Instrumenten, wie zum Beispiel Ultraschallspitzen und Wurzelkanalinstrumente, die nach jedem Patienten notwendig ist.
Weshalb ist die Aufbereitung von Wurzelkanalinstrumenten und Winkelstücken ein so heikles Thema?
Milde: Die Aufbereitung von Wurzelkanalinstrumenten ist komplex, weil diese Instrumente erstens der höchsten Sicherheitskategorie angehören, also kritisch B, und damit die höchsten Auflagen verbunden sind. Zum Beispiel müssen sie steril verpackt gelagert werden, bis sie wieder zur Anwendung kommen. Wenn der Behördenvertreter in einer Praxis eine unverpackte Box nur mit Deckel findet, weiß er schon, dass diese Instrumente nicht steril im Einsatz sind – und das gibt richtig Ärger. Weitere Herausforderungen bei Wurzelkanalinstrumenten sind die Überwachung der Aufbereitungshäufigkeit und die Entsorgung nach einer vom Hersteller vorgegebenen maximalen Häufigkeit. Auch wenn die Instrumente noch gut aussehen, müssen sie entsorgt werden. Die Aufbereitung selbst ist nach den Herstellerangaben durchzuführen.
Die Aufbereitung der Winkelstücke nach jedem Patienten ist schwierig, weil Behandler große Stückzahlen brauchen und manchmal wenig Kapazität im Aufbereitungsgerät der Praxis vorhanden ist. Das bedeutet, entweder die Aufnahmekapazität zu erhöhen oder das Gerät häufiger laufen zu lassen. Ich werde oft gefragt: „Reicht es, wenn ich Winkelstücke und Ultraschallspitzen nach jedem vierten oder fünften Patienten aufbereite?“ Dann antworte ich mit der Gegenfrage: „Was glauben Sie, würde die Behörde jetzt antworten?“
Dem Prüfer oder der Prüferin muss es wohl plausibel vermittelbar sein, dass die Anzahl der Behandlungen mit den Kapazitäten der Aufbereitung bzw. Instrumentenmenge korreliert, oder?
Milde: Absolut korrekt! Die Behörde macht eine Plausibilitätsprüfung. Wenn mir Praxismitarbeiter bei Probebegehungen sagen, dass ihre Winkelstücke nach jedem Patienten in das RDG gehen, und ich sehe nur 2 Aufnahmehalterungen für Winkelstücke und das RDG läuft nur zweimal am Tag, weiß ich Bescheid. Bei einer behördlichen Begehung ist die Plausibilitätsprüfung in einer solchen Situation gescheitert. Der Prüfer merkt, dass diese Praxis ihn an der Nase herumführen möchte, um es nett zu formulieren, und ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gut auf sie zu sprechen.
Welche Mängel schlagen am teuersten zu Buche?
Milde: Ganz klar, das sind die nicht vorhandenen oder zu spät oder nicht ordnungsgemäß durchgeführten Validierungsprozesse, sicherheitstechnische Kontrollen oder generell notwendige Prüfungen. Besonders teuer wird es, wenn sicherheitsrelevante Kontrollen nicht durchgeführt wurden, weil es um die Sicherheit der Praxis geht. Bei den Unterlagen werden zum Beispiel ein gar nicht vorhandener oder veralteter Hygieneplan oder das Fehlen einer Risikoklassifizierung der Instrumente geahndet. Auch das kann teuer werden. Manche Behörden lassen solche Dokumente nachliefern, wenn sie Goodwill von der Praxis sehen, und verzichten dann vielleicht auf Strafen bei den Dokumenten.
Wie kann sich die Zahnarztpraxis auf den Besuch der Prüfer vorbereiten?
Milde: Vor dem Besuch kommt es darauf an, mich als Praxisbetreiber und Hygienebeauftragte einzuschätzen: Bin ich fit in den Themen, die ich hier repräsentiere, zeigen und erklären muss? Idealerweise haben Praxisbetreiber und Hygienebeauftragte schon mal bei ihrer Zahnärztekammer oder einer geeigneten Stelle ein Seminar zur Hygienebegehung absolviert. So sieht der Praxisinhaber bei einem Behördenbrief keinen Tsunami auf die Praxis zurollen, sondern vielleicht nur ein paar kleine Wellen. Ein klarer Tipp: Wenn Sie Defizite in der Praxis entdecken, gehen Sie diese bitte sofort an und warten Sie nicht bis zum Eintreffen des Behördenbriefes. Absolut abzuraten ist, etwas vorzuführen, was man sonst nicht tut. Es geht schief, wenn die Praxis schauspielert, weil die Behörden tatsächlich alles schon einmal erlebt haben. Und das schafft unnötigen Stress bei der Mitarbeiterin, die bei der Begehung dabei ist. Die kompetente Durchführung der Praxishygiene ist nicht nur für die Begehung wichtig, sondern für die tagtägliche Sicherheit in der Praxis.
Was sollte ich am Vortag des Besuchs der Prüfer tun?
Milde: Ich sollte die Praxis noch mal ordentlich aufräumen, zusehen, dass auf den Schränken, Hängeschränken und Oberschränken nichts steht. Denn sonst ist klar, dass nicht richtig sauber gemacht wird. Natürlich schaue ich vorher alles noch einmal durch.
Welche Dokumente möchten die Prüfer sehen?
Milde: Es gibt Dokumente, die immer vom Gesundheitsamt und andere, die immer von der Gewerbeaufsicht gefordert werden. Das ist tatsächlich unterschiedlich, weil auch die Schwerpunkte der begehenden Behörden komplett unterschiedlich sind. Das Gesundheitsamt* legt den Schwerpunkt auf alle reinigenden und desinfizierenden Prozesse, also alles, was mit Keimen zu tun hat. Flächenhygiene, Instrumentenhygiene, Personalhygiene, persönliche Schutzausrüstung bis hin zur Wäscheaufbereitung. Das Gesundheitsamt kontrolliert auch den Umgang mit Haltbarkeiten von Sterilgut oder Arzneimitteln. Ganz wichtiger Tipp: Es darf nichts Abgelaufenes in der Praxis sein.
Und die Gewerbeaufsicht?
Milde: Die Gewerbeaufsicht* hat mehr den Sicherheitsaspekt im Blick, also Geräte und Medizinprodukte. Sind Wartungen, sicherheitstechnische und messtechnische Kontrollen korrekt durchgeführt worden? Sind Elektroprüfungen durchgeführt worden? Mitarbeiter der Gewerbeaufsicht schauen nicht nur, ob mit validierten Prozessen gearbeitet wird, sondern auch ins Protokoll. Daher ist es wichtig, das Protokoll auf Änderungsbedarf hin durchzulesen. Man muss nicht alle 20 Seiten des Validierungsprotokolls lesen, sondern es kommt auf Seite 1 bis maximal Seite 4 an. Und Achtung, fiese Falle: Ein Protokoll ist nur mit der Unterschrift des Praxisbetreibers gültig. Daher bitte auf Seite 2 oder 3 des Validierungsprotokolls unterschreiben. Grundsätzlich dürfen beide Behörden alles ansehen, mitnehmen, fragen und begehen. Sie sind nicht an ihre Hauptschwerpunkte gebunden.
Wenn der Ernstfall eintritt und Prüferin oder Prüfer vor der Tür stehen, was ist dann zu beachten?
Milde: Ideal wäre es, keine Patienten einbestellt zu haben. Auch wenn Behördenvertreter manchmal sagen: „Sie dürfen gerne weiter behandeln, wir brauchen nur eine hygieneverantwortliche Person zur Hand“, ist es besser als Praxisbetreiber keine Patienten einzubestellen und gemeinsam nur mit der hygieneverantwortlichen Person vor Ort zu sein. Ich rate, allen anderen Mitarbeitenden freizugeben, denn alle Anwesenden sind nervös und jeder kann befragt werden. Mit den Besuchern vom Amt setzt man sich erst mal zusammen, trinkt einen Kaffee und bespricht den Ablauf. Man schaut gemeinsam die Unterlagen durch, die schon eingeschickt wurden. Gegebenenfalls möchten die Prüfer weitere Unterlagen vor Ort einsehen. Dann folgt die Begehung.
Wie lange dauert eine Begehung in der Regel?
Milde: Das ist unterschiedlich: von 30 Minuten bis 3 Stunden, je nach Größe und Schwerpunkten der Zahnarztpraxis. Es ist ein Unterschied, ob es sich um eine Einbehandlerpraxis mit kleinem Behandlungsspektrum handelt oder um eine Gemeinschaftspraxis mit sieben Behandlern, die routinemäßig Implantationen durchführen.
Wie sehen Ihre Erfahrungen mit Prüferinnen und Prüfern aus?
Milde: Behördenvertreter sind ganz normale Menschen, die ihren Job genauso ernst nehmen wie Sie und ich. Sie freuen sich, wenn man ihnen auf Augenhöhe begegnet. Wenn bei der Begehung etwas unverständlich ist, hinterfragen Sie es konstruktiv. Fragen Sie die Behördenvertreter bitte um Rat: „Haben Sie eine Idee, wie ich das umsetzen kann?“ Wenn der Behördenvertreter dann einen Rat weiß, ist doch allen geholfen. Es ist wirklich ein Märchen, dass „die vom Amt einem nur Böses wollen und so lange suchen, bis sie etwas finden“. Ich erlebe das komplett anders!
Vielen Dank für das Interview!
Tipp: Darauf sollte bei der Renovierung des Aufbereitungsraums geachtet werden |
Es kommt leider vor: Der Aufbereitungsraum wird komplett umgebaut, aber aus Unwissenheit werden nicht alle aktuellen Auflagen umgesetzt. Dies kann zur Folge haben, dass der frisch renovierte Raum noch einmal zur Baustelle wird, wenn die Behörde die Abstellung von Mängeln fordert. Vorgeschrieben sind die folgenden Hygienevorkehrungen [3]: – Alle Spender und Wasserhähne müssen handberührungsfrei bedienbar sein; entweder mittels eines langen Hebels, mit dem Ellenbogen, mit dem Fuß oder per Sensor. – Waschbecken dürfen keine Überläufe haben. Diese sind zwar im Bestand geduldet, dürfen aber nicht bei einem Umbau neu eingebaut werden, sondern müssen ersetzt werden. – Eingangs der unreinen Seite muss ein (idealerweise tiefes) Handwaschbecken angebracht sein. Auch dieser Punkt unterliegt einer Duldung, solange kein Umbau erfolgt. So ist man auf der sicheren Seite: Pläne für den Umbau des Aufbereitungsraums können zum Check an das zuständige Gesundheitsamt geschickt werden. Ist ein Praxisplaner für den Umbau verantwortlich, kann er oder sie zuvor die Pläne anonymisieren, so dass die Praxisdaten dem Amt nicht bekannt werden. Gerade wenn für bestimmte Anforderungen kein Raum vorhanden ist, kann das Amt hierzu befragt werden. Gibt das Amt sein Okay, ist die Praxis abgesichert. |
Unterlagen zur behördlichen Begehung: Wen interessiert was? |
Gesundheitsamt: – aktueller und individualisierter Hygieneplan in Anlehnung an den der Bundeszahnärztekammer – Praxisreinigungs- und Desinfektionsplan – Regelung zur Schutzkleidung – Umgang mit MRE-Patienten (MRE = multiresistente Erreger) Gewerbeaufsicht: – Risikoklassifizierung der Medizinprodukte (Einteilung der Instrumente) – Umgang mit Vorkommnissen nach der Medizinprodukte-Anwendermelde- und -Informationsverordnung (MPAMIV) – Bestandsverzeichnis §13 MPBetreibV – Dokumentation der Prozesse und periodischer Prüfungen – Personen mit Freigabeberechtigung – Ausbildungs- und Schulungsnachweise des Personals – Nachweise sämtlicher Prüfungen, z.B. Sicherheitstechnische Kontrolle (STK) nach §11 MPBetreibV, messtechnische Kontrolle §14 MP-BetreibV (MTK), Elektrische Prüfungen an elektrischen Betriebsmitteln und elektromedizinischen Geräten (DGUV V3/VDE0751 Prüfungen) – Wartungsverträge, Wartungsprotokolle Beide interessiert: – Organigramm (Zuständigkeiten) – Arbeitsanweisungen und Verfahrensanweisungen – Nachweis arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen beim Betriebsarzt – Validierungsunterlagen – korrekt verpacktes, beschriftetes, gelagertes Sterilgut Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aufgeführt ist lediglich ein Auszug der wichtigsten Dokumente. |
Das Interview führte Dagmar Kromer-Busch.
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