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Herr Tanz, im Jahr 2015 – zu einer Zeit, als KI für viele von uns noch ein Begriff aus Science-Fiction-Romanen war – haben Sie mit der Entwicklung von Second Opinion begonnen. Es folgte die Gründung von Pearl im Jahr 2019. Wie kam es zu Ihrem Interesse an der Kombination aus Zahnmedizin und KI?
Ich beschäftige mich seit etwa 20 Jahren mit Computer Vision – einem Grenzbereich zwischen Informatik und Ingenieurwissenschaften, bei dem sich alles um die Verarbeitung und Analyse von Bildern dreht. 2015 hatte ich dann die Idee, dies auf die Radiografie anzuwenden, da ich hier großes Potenzial sah. Die Entscheidung den Fokus auf die Zahnmedizin zu legen, rührt vor allem daher, dass Röntgenbilder in der Zahnmedizin verstärkt genutzt werden. Zudem ist mein Vater selbst Zahnarzt im Ruhestand, was sicher auch ein grundlegendes Interesse an dieser Branche in mir geweckt hat. Als wir dann das Marktpotenzial für entsprechende Computer-Vision-Lösungen analysierten, stellten wir schnell fest, dass die Interpretation von Röntgenbildern innerhalb der Ärzteschaft einen signifikanten Mangel an Übereinstimmung aufwies und somit auch eine Menge Pathologie übersehen wird. Eine Anwendung zu entwickeln, die dabei hilft, die Konsistenz der zahnmedizinischen Befundung zu verbessern, war die logische Konsequenz daraus.
Gibt es hierzu auch Zahlen? Ich meine mich zu erinnern, dass Sie einmal Studienergebnisse über die diagnostische Genauigkeit in Bezug auf Röntgenbilder zitiert haben.
Ja, Pearl hat eine klinische Studie durchgeführt, bei der Second Opinion pro Röntgenbild 37% mehr Krankheiten aufgedeckt hat als durch eine konventionelle Begutachtung festgestellt werden konnten. Die ist z.B. für die frühzeitige Erkennung von Karies oder Anzeichen einer periapikalen Radioluzenz sehr interessant.
Die Qualität einer KI hängt stark von der Qualität und Menge der verwendeten Daten ab. Wie sind Sie bei der Entwicklung vorgegangen?
Beim Training eines maschinellen Lernmodells geht es darum, große Mengen an Daten zu sammeln und die Dinge, die man erkennen will, sorgfältig zu beschriften und zu kennzeichnen – und das immer und immer wieder. Es ist also ein ständiges Sammeln und Trainieren. Wir haben mit Millionen von Bildern trainiert, aber wir haben Zugang zu Milliarden von Bildern. Und das ist der eigentliche Prozess der Verfeinerung. Die Herausforderung in der Zahnmedizin besteht darin, dass die Menschen sich nicht grundsätzlich einig sind. Man muss also sehr genau darauf achten, wie man die erfassten Daten trainiert und validiert.
Ich meine gelesen zu haben, dass Pearl derzeit über die größte Datensammlung in Bezug auf die KI-gestützte Kariesdetektion verfügt. Ist das richtig?
Wir sind das größte Unternehmen, das diese Art von Arbeit macht – und ja, wir haben daher auch die meisten Daten gesammelt. Tatsächlich werden wir aber die große Mehrheit der Daten, die wir sammeln, nie verwenden, weil wir einfach bereits genug davon haben. In Europa sind unsere Kunden Eigentümer ihrer Daten, sodass sie diese nach Belieben verwalten und löschen können. Damit gehen wir absolut konform mit der GDPR (General Data Protection Regulation).
Neben Pearl waren in diesem Jahr auf der IDS auch einige weitere KI-Anwendungen zur zahnmedizinischen Röntgenbilddiagnoseunterstützung zu sehen. Haben Sie hier überhaupt noch ein Alleinstellungsmerkmal?
Ich denke, der große Unterschied liegt vor allem in der Qualität und in der Anzahl der Modalitäten, die wir abdecken. Wir sind in dieser Hinsicht sehr fortschrittlich. Wenn man Second Opinion einsetzt, erzielt man in der Regel genauere Ergebnisse und etabliert somit einen höheren Standard. Zudem konzentrieren wir uns stark darauf, mit unseren Anwendungen den zahnärztlichen Arbeitsablauf nicht zu verändern, sondern lediglich schneller und konsistenter zu machen. Darin sind wir meiner Meinung nach sehr gut, was uns zusätzlich abhebt.
Inwieweit kann der Einsatz von KI Zahnärztinnen und Zahnärzten dabei helfen, ihre Patientenversorgung zu verbessern?
Tools wie unseres werden in Zukunft weltweit zum neuen Standard in der Versorgung avancieren – davon bin ich überzeugt. Dreh- und Angelpunkt dabei sind eine einfache Integration in den Arbeitsablauf und eine hohe Benutzerfreundlichkeit. Ist das gegeben, liegen die Vorteile auf der Hand. Mit guten KI-basierten Anwendungen zur Diagnoseunterstützung wird der Befundung konsistenter und es ist möglich, viele Krankheiten in einem sehr frühen Stadium zu erfassen, so dass man sich intensiver mit der präventiven Zahnmedizin befassen kann.
Auf der anderen Seite ist der Einbezug von KI-Tools auch für die Patientenkommunikation sehr effektiv. Beispielsweise sind bei uns Defekte und die verschiedenen Bereiche der Zähne unterschiedlich eingefärbt. Man kann Patienten damit auf sehr eindrückliche Weise über ihre Mundgesundheit aufklären, wodurch unserer Erfahrung nach auch die Behandlungsakzeptanz deutlich steigt. Denn wenn wir ehrlich sind, hat doch zuvor kaum ein Patient erkannt, was man ihm anhand der Röntgenbilder zeigen wollte.
Außerdem können KI-Tools auch in der Lehre und Weiterbildung eine gute Unterstützung sein. Wir bieten mit Pearl Calibrate eine Anwendung, die sich dieser Thematik widmet.

Können Sie das genauer erläutern?
Gerne. Pearl Calibrate ist im Prinzip eine KI-gestützte klinische Bewertungs-, Kalibrierungs- und Schulungssoftware für zahnmedizinische Fakultäten und Kliniken. Es ist bereits an sieben US-Universitäten im Einsatz und wird hier nicht nur für die Bewertung der Studenten in Bezug auf das Lesen und Interpretieren von Röntgenbildern genutzt, sondern auch für die der Dozenten selbst. Pearl Calibrate bietet ein Testszenarium, dass die reale Welt simuliert. Anhand der Ergebnisse kann man die eigene Leistung besser bewerten.
An welchen weiteren KI-Anwendungen arbeiten Sie derzeit?
Wir stehen kurz vor der Einführung unserer CBCT-Anwendung, die in der Lage ist, in einer 3D-Umgebung zu arbeiten. Und ich denke, sie wird die Fortschrittlichste am Markt sein. Wir automatisieren zudem die Erstellung von klinischen Berichten, denn es ist sehr zeitaufwändig, ein CBCT eine halbe Stunde lang zu prüfen und dann einen umfassenden Bericht zu schreiben. Mit unserer Anwendung wird das in einer Minute erledigt sein. Wir sind daher sehr gespannt, wie diese Neuentwicklung von der Zahnärzteschaft aufgenommen wird.

Wann wird diese CBCT-Anwendung verfügbar sein?
In den nächsten Wochen (Stand 24.03.2025) werden wir die FDA-Genehmigung dafür erhalten, die dann auch in Europa bekannt gegeben wird.
Ein weiterer Schwerpunkt innerhalb unserer Entwicklungen widmet sich der erhöhten Automatisierung in den Praxisverwaltungssystemen. Aktuell wird viel Zeit mit der Erstellung und Aufzeichnung von klinischen Notizen verbracht. In Amerika beispielsweise ist zudem eine Fülle an Versicherungsnachweisen nötig. Ein Teil dessen, was wir in den nächsten Jahren tun werden, ist daher die Automatisierung dieser Eingaben, so dass Behandler und Praxisteams wieder mehr Zeit für die eigentliche Arbeit in der Praxis zurückzugewinnen. Ich denke, dass dies angesichts des hohen Bürokratieaufkommens auch in deutschen Zahnarztpraxen sehr hilfreich sein wird.
Wie ist die Resonanz der deutschen Zahnärzteschaft auf Ihre Anwendungen?
Die Resonanz ist großartig – nicht nur in Deutschland. Trotzdem gibt es noch viele Fragezeichen, wenn es um KI in der Zahnmedizin geht. Um hier Unsicherheiten zu begegnen und die Möglichkeiten der Anwendungen aufzuzeigen, nehmen wir an mehr als 200 Veranstaltungen pro Jahr teil und halten Hunderte von Webinaren ab. Das ist im Endeffekt auch die Art und Weise, wie wir unsere Produkte verkaufen – durch Aufklärung mittels Fallbeispielen, Webinare, Universitätsbeziehungen und Studien.
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