|
Getting your Trinity Audio player ready...
|
- Teil 1
- Wann ist ein Zungenband zu kurz?
- Ankyloglossie
- Die physiologische Zungenfunktion beim Stillen mit frei beweglicher Zunge
- Die mangelhafte Zungenfunktion beim Stillen mit Ankyloglossie
- Symptome bei Frenulum linguae breve [9,10]
- Manuelle Untersuchung des Frenulum linguae breve [9,10]
- Funktionsprüfung der Zunge auf Beweglichkeit
- Teil 2
- Vorbereitung der Frenotomie
- Therapie – die Frenotomie
- Nachsorge der Frenotomie
- Die 4–6 Regel
- Zusammenfassung
- Danksagung
- Weitere Informationen
Teil 1
Das Zungenband (Frenulum linguae) ist eine von Mundschleimhaut überzogene Muskel und Bindegewebsfalte an der Unterseite der Zunge. Es verbindet die kaudale Fläche, d.h. die Unterseite der Zunge mit dem Mundboden. Ist es zu kurz und behindert dadurch die Zungenbeweglichkeit und Funktion, spricht man von Frenulum linguae breve (einem kurzen Zungenband) (Abb. 1).
Wann ist ein Zungenband zu kurz?
Das Zungenband wird dann als zu kurz bezeichnet, wenn es die Funktion der Zunge beim Essen, Trinken, Sprechen, Schlucken behindert oder durch die nicht physiologische Zungenruhelage zu Verformungen des Gesichtsschädels und zu Fehlfunktionen der Muskulatur mit daraus resultierenden Verspannungen der Gesichts- und Skelettmuskulatur führt. Die oft verbreitete Definition, nach der eine ausreichende Länge des Zungenbandes dann gewährleistet ist, wenn beim Baby die Zunge beim Weinen bei weit geöffnetem Mund bis zur Hälfte der Mundöffnung nach oben geht, ist ungenau, weil keine Aussage über die Beweglichkeit des mittleren und hinteren Anteils der Zunge getroffen wird und oft Babys mit zu kurzem Zungenband den Mund nur wenig öffnen. Abbildung 2 zeigt ein Baby beim Weinen mit guter Beweglichkeit des anterioren (vorderen) Zungenanteils und mangelhafter Beweglichkeit des medianen (mittleren) und posterioren (hinteren) Zungenanteils.
Darius MoghtaderNach der oben genannten Definition wäre das Zungenband ausreichend lang, sodass das Problem der mangelhaften Beweglichkeit des mittleren und hinteren Anteils des Zungenbandes nicht erkannt würde. Bei der Beurteilung muss auch im Rahmen der Start-Ziel Betrachtung die Entfernung zum Ziel mit einbezogen werden.
Ist der Gaumen hoch ausgeformt, was häufig bei Säuglingen mit einer eingeschränkten Zungenfunktion beobachtet werden kann, ist das Ziel weiter entfernt. Es werden dann höhere Anforderungen an die Zungenbeweglichkeit gestellt, um physiologisch zu stillen.
Eine bessere Möglichkeit ist es, die physiologische Zungenruhelage beim schlafenden Säugling mit dem „Sleeping Tongue Posture“ Hold von Michelle Emanuel [1] zu testen. Dazu wird der Mund des Babys beim Schlafen mit sanftem Druck mit der Längsseite des Zeigefingers nach kranial, d.h. nach oben auf das zwischen Kinn und Hals gelegene Weichgewebe geschlossen und für einige Sekunden gehalten. Dann wird der Mund durch sanften Zug am Kinn mit Daumen und Zeigefinger nach kaudal geöffnet.
Jetzt sollte die Zunge flächig am Gaumen anliegen und sich nach kurzer Zeit bei weit geöffnetem Mund vom Gaumen lösen. Diese Vorgehensweise wird in einem Video unter www.youtube. com/watch?v=Qb-TO-ZvNEM demonstriert.
Bis heute gibt es noch keine Möglichkeit, die ausreichende Länge eines Zungenbandes für eine gute Zungenfunktion metrisch zu erfassen und damit eine verlässliche Aussage über die Zungenfunktion zu treffen. Geeignet zur Beurteilung einer guten Zungenfunktion und damit auch einer ausreichenden Länge des Zungenbandes sind z.B. das Ingram BTAT Bristol Tongue Assessment Tool [2] (oder die neue mit Bildern versehene Version TABBY [3]), das Frenotomy Decision Tool for Breastfeeding Dyads [4] und der genauere HATLFF-Screening-Bogen [5]. Der BTAT/TABBY ist einfacher, schneller und grobrastriger und liegt jetzt auch in einer deutsprachigen Version vor, die hier kostenfrei heruntergeladen werden kann.
Ankyloglossie
Im Mutterleib entwickeln sich Zunge und Mundboden aus den ersten 4 Pharyngealbögen. In der 12. Schwangerschaftswoche trennen sich Mundboden und Zunge voneinander durch Apoptose, einem gesteuerten Zelltod der verbindenden Zellstruktur.
Ist die Apoptose unvollständig, führt das zu einem zu kurzen Zungenband. Es entsteht die Ankyloglossie, eine angeborene Entwicklungsstörung, bei der die Zunge durch das zu kurze, straffe und/oder zu weit nach vorne reichende Frenulum linguae (Zungenband) am Mundboden fixiert ist. Die Bewegung in allen 3 Dimensionen nach ventral (vorne), lateral (seitlich) und kranial (oben) kann eingeschränkt sein.
Histologisch konnte Martinelli [6] bei allen Typen der Ankyloglossien Kollagen Typ 1 nachweisen, das nur zu 3% dehnbar ist. Dehnübungen führen deswegen meist nur zur Anhebung des Mundbodens oder Veränderung der Zungenform. Klinisch sehen wir, dass Zungenbänder anterior (vorne) meist nur aus Kollagen und median und posterior aus Schleimhaut, Faszien und Muskeln bestehen können.
Die frei bewegliche Zunge ist wichtig
- für schmerzfreies und effektives Stillen
- für eine gute Sprachbildung: Nur wenn die Zunge frei bewegt werden kann, lassen sich Konsonanten korrekt aussprechen.
- zur Ausformung des Gaumens, der Kiefer und der Atemwege: Liegt die Zunge am Gaumen, formt sie diesen flach und verhindert, dass er hochgewölbt wird. Ein hoher, „gotisch“ geformter Gaumen schränkt die Nebenhöhlen in der Größe ein, kann zu einem Schmalkiefer führen und dadurch bedingt zu einem Platzmangel für die Zähne in Zahnfehlstellungen resultieren.
- für eine gute Nasenatmung. Menschen, deren Zunge in Ruhe nicht am Gaumen liegt, atmen meist durch den Mund und schlafen oft mit offenem Mund. Das kann zu erhöhter Infektanfälligkeit, Rhonchopathie (Schnarchen) und zu erhöhtem Allergierisiko führen.
- für eine Selbstreinigung der Zunge am Gaumen
- für ein entspanntes Kind durch Stimulation des N. glossopharyngeus in der Zunge, der als IX. Hirnnerv zur Vagus-Gruppe gehörend parasympathische (aktivierungshemmende) Anteile enthält, die durch ihre Wirkung für Ruhe und Entspannung im Körper sorgen
- für einen physiologischen Schluckvorgang
- für einen physiologischen Kauvorgang
- für eine entspannte Nacken- und Halsmuskulatur.
Die physiologische Zungenfunktion beim Stillen mit frei beweglicher Zunge
Der Mund öffnet sich, Lippen und Zunge suchen und finden den Kontakt zur Brust, die Zungenspitze bewegt sich zum Stillen nach vorne. Mit weit geöffnetem Mund und aufgestülpten Lippen zieht der Säugling die gesamte Mamille mit Brustgewebe in den Mund ein. Der vordere Anteil der Zunge umfasst löffelförmig das Brustgewebe, liegt schützend auf der Kauleiste und hält die Mamille im Mundraum.
Der anteriore Zungenanteil, der zwischen Unterlippe und Unterkiefer relativ unbeweglich eingekeilt ist, und die Unterlippe bewegen sich wie in einer fest verbundenen Einheit bei der Auf- und Abwärtsbewegung des Unterkiefers mit, ohne die Abdichtung zu verlieren. Bei jeder Saugbewegung geht die Zungenmitte in einer peristaltischen Wellenbewegung nach oben, presst das Brustgewebe gegen den harten Gaumen und erzeugt das Vakuum. Die Mamille liegt dabei weit im Mundraum am Übergang vom weichen zum harten Gaumen.
Weder die Zungenspitze noch eine wellenförmige Bewegung der Zunge von vorne nach hinten, sondern die Pumpbewegung der Zungenmitte ist essenziell für den Milchtransfer. Der mittlere und posteriore Anteil der Zunge steuern also den Schluckakt [7]. Deshalb ist eine vollständige Trennung auch des posterioren Anteils des Zungenbandes für den nachhaltigen Behandlungserfolg wichtig.
Dadurch wird der Milchspendereflex ausgelöst und die Muttermilch fließt in den Mund des Säuglings. Da kein Druck von Lippen oder Kauleiste auf die Mamille übertragen wird und sie geschützt im Cavum orum (Mundhöhle) liegt, ist effektives schmerzfreies Stillen möglich. Der mittlere und posteriore Zungenanteil kontrollieren den Milchfluss für einen gut ablaufenden Schluckakt und zum Schutz der Luftwege, da der weiche Gaumen und die Zunge zusammenarbeiten, um die Speiseröhre und die Luftwege während des Saugens, Schluckens und Atmens voneinander zu trennen [8].
Die mangelhafte Zungenfunktion beim Stillen mit Ankyloglossie
Beim Säugling mit Ankyloglossie wird die Mamille nicht oder nur teilweise in den Mund eingezogen. Da der gesamte mittlere oder hintere Anteil der Zunge auf dem Mundboden fixiert ist und deshalb meist kein ausreichend wirkendes Vakuum produzieren kann, setzt eine Kompensation ein. Der Säugling verliert den Halt und rutscht auf die Mamille ab.
Dann presst er mit der Lippe und den Kauleisten, um zu trinken. Dieser starke Druck kann die Mamille verformen und verletzen. So entstehen Schmerzen beim Stillen und Saugbläschen beim Säugling. Die Schmerzen beim Stillen können nach einiger Zeit der Kompensation besser werden, da sich die untere Kauleiste durch den Druck plateauartig abflacht und die Kräfte, die auf die Mamille wirken, sich auf eine größere Fläche verteilen (Abb. 3).
Darius MoghtaderDie Versiegelung der Brust durch Lippen und Zunge geht immer wieder zeitweise verloren. Der Säugling schluckt Luft beim Trinken. Koliken, Blähungen und luftbedingter Reflux können die Folge sein.
Da der mediane und posteriore Anteil der Zunge nicht beweglich sind, können sie die notwendige Abdichtung der Luftwege im Zusammenspiel mit dem weichen Gaumen nicht sicher gewährleisten, sodass sich der Säugling häufiger verschlucken kann und Milch in die Luftwege gelangt. Durch das unphysiologische Saugen wird die Brust nicht ausreichend entleert, um die Milchbildung anzuregen und aufrechtzuerhalten. Als Folge davon geht die Milchproduktion zurück, der Säugling schluckt Luft, verhält sich unruhig an der Brust, nimmt nicht perzentilenparallel zu, Milchgänge können verstopfen und zu einer Mastitis führen.
Symptome bei Frenulum linguae breve [9,10]
Bei Stillproblemen muss neben der sorgfältigen Stillberatung und Optimierung des Stillmanagements die Beweglichkeit und Funktion des Zungenbands geprüft werden. Mögliche Symptome beim Stillkind mit kurzem Zungenband:
- Der Säugling hat Schwierigkeiten, die Brust zu erfassen.
- Der Säugling hat Schwierigkeiten, die Brust im Mund zu halten: Er verliert das Vakuum, dockt immer wieder an und ab.
- sehr häufiges Stillen oder Dauerstillen
- ineffektives Stillen: Das Baby trinkt lange und muss häufig, in kurzen Zeitabständen wieder an die Brust.
- langes Beruhigungssaugen
- Der Säugling ist frustriert oder erschöpft vom Stillen und verweigert die Brust, weil das Saugen extrem anstrengt, aber nicht sättigt.
- Der Säugling schläft schnell an der Brust ein.
- Der Säugling kann keinen Schnuller halten.
- Der Säugling entwickelt einen pathophysiologischen Zungenstoß (hat nichts mit dem physiologischen Zungenstreckreflex zu tun).
- Der Säugling nimmt nach der Geburt außergewöhnlich stark ab.
- schlechte Gewichtszunahme des Babys, trotz häufiger Stillmahlzeiten
- Ein weißer Milchbelag der Zunge, der als Soor fehlgedeutet werden kann, deutet auf die eingeschränkte Reinigungsfunktion über den Gaumen hin, den die Zunge nicht erreicht.
- Der Säugling liegt ungern auf dem Rücken, da die Gravitation die Zunge weiter nach dorsal zieht und die Luftwege dadurch eingeengt werden.
- Der Säugling schläft nur getragen in aufrechter Position, im Autositz oder auf dem Bauch.
- Beim Saugen läuft dem Säugling die Milch aus den Mundwinkeln.
- Der Säugling schläft mit und atmet durch den offenen Mund.
- Der Säugling macht starke Atemgeräusche: „Röcheln“ oder „Babyschnarchen“.
- Beim Saugen entstehen Klick und/oder Schnalzgeräusche.
- Luftbedingte Koliken und Reflux belasten den Säugling.
- Der Säugling hat einen hohen „gotischen“ Gaumen und im Lippenbereich eine plateauartige abgeflachte untere Kauleiste.
Die genannten Symptome sind zum Teil unspezifisch und können auch andere Ursachen haben, die zuvor in der Stillberatung abzuklären sind. Trotz Ankyloglossie lassen sich einige Säuglinge in den ersten Wochen gut stillen. Dann steigt der Bedarf des Säuglings an bzw. die Milchbildung wird zunehmend autokrin, statt wie bislang hormonell gesteuert.
Ab diesem Zeitpunkt wird die Milchmenge aufgrund des ineffektiven und unphysiologischen Saugens herunterreguliert. Die Säuglinge haben dann Hunger und können ihren Bedarf mit ihrer kompensierten Saugtechnik nicht decken. Das Zungenband sollte also auch dann unbedingt auf Ankyloglossie geprüft werden, wenn das Stillen (noch) klappt.
Mögliche Symptome der Mutter beim Stillkind mit kurzem Zungenband:
- schmerzende, verletzte oder sogar blutende Mamillen
- lippenstiftartig verformte Mamillen
- Schmerzen in der Brust
- verstopfte Milchgänge
- Mastitis
- wenig Milch
Auch diese Symptome sind zum Teil unspezifisch und können auch andere Ursachen haben, die zuvor in der Stillberatung abzuklären sind.
Emotionale Folgen der Mutter beim Stillkind mit kurzem Zungenband:
- Bondingprobleme
- Frustration
- Depression
Blickuntersuchung des Frenulum linguae breve [9,10] Um den Verdacht auf ein kurzes Zungenband abzuklären, gibt es folgende typische Anzeichen, die meist beim Blick in den geöffneten Mund des Säuglings zu sehen sind:
- Das kurze Zungenband setzt anterior (vorne) an und ist direkt oder beim Weinen sichtbar (Abb. 4).
- Die angehobene Zunge ist herz- oder v-förmig (Abb. 1 und 5).
- Die Zunge sieht quadratisch oder flachrund aus (Abb. 6).
- Der Säugling streckt die Zunge nicht über die Unterlippe oder nicht aus dem Mund.
- Der Säugling hebt die Zunge im Ruhezustand und beim Schlafen nicht zum Gaumen an.
- Beim Schreien sieht die Zunge löffelförmig aus, oft ist das straff gezogene Zungenband unter der Zunge sichtbar (Abb. 7).
- Die Zunge zeigt eine Rutschbahnform, eine Längsrille oder Kerbe an der Zungenspitze.
- Die Unterseite der Zunge ist beim Schreien nicht angehoben (Abb. 8).
- Die Zunge zeigt 2 Farben: anterior (vorne) rosa und median (mittig) und/oder posterior (hinten) weiß (Abb. 9).
- Auf der Oberlippe zeigt sich ein stark ausgeprägtes Saugbläschen.
- Die Lippen zeigen Impressionen und sind durch den Druck zweifarbig.
- Die Mundöffnung ist gering.
Manuelle Untersuchung des Frenulum linguae breve [9,10]
Oft ist das kurze Zungenband nicht offensichtlich erkennbar.
- Das median ansetzende Zungenband kann bei der Blickuntersuchung nicht sichtbar sein.
- Das posterior ansetzende zu kurze Zungenband ist weit hinten liegend, beginnt hinten an der Unterseite der Zunge.
- Das submuköse kurze Zungenband ist unter der Schleimhaut verborgen und kann in einigen Fällen auch durch Manipulation nicht dargestellt werden.
Darius MoghtaderZur Darstellung des kurzen Zungenbandes eignet sich der 4–6-Finger-Griff oder auch Gabelstaplergriff (Abb. 10). Nach Kotlov [11] und Ghaheri [12] sitzt der Untersuchende hinter dem Kopf des Säuglings. Der Untersuchende und ein Elternteil sitzen sich Knie an Knie gegenüber.
Die Beine der Erwachsenen bilden ein „Bett“. Dann wird der Säugling mit dem Kopf in Richtung des Untersuchenden in dessen Schoß gelegt. Dabei ist der Säugling ständig beidseits mit den Händen des Elternteils zu sichern und zu stabilisieren.
Das Gesicht des Säuglings zeigt also in die gleiche Richtung wie das des Untersuchenden. Dann bringt man zuerst den einen, dann den anderen Zeigefinger unter die Zunge des Säuglings, bis beide Fingerspitzen sich berühren. Dann zuerst mit den Mittelfingern das Kinn nach unten drücken und dann mit den Zeigefingern die Zunge nach oben und hinten zum Untersucher hinziehen.
Es ist darauf zu achten, dass die Daumen des Untersuchenden nicht in Augennähe des Säuglings gelangen. Die Handflächen oder Daumen können bei Bedarf den Kopf des Säuglings stabilisieren.
Die Vorgehensweise wird in einem Video illustriert.
Folgende Techniken eignen sich zur manuellen Untersuchung:
- Prüfung des Saugreflexes mit dem Zeigefinger
- Prüfung der Beweglichkeit der Zunge nach ventral, lateral und kranial: Die Zunge sollte beim Überstreichen der Kauleiste mit dem Finger diesem folgen und sich nicht verdrehen.
- Murphy-Manöver: mit dem kleinen Finger unterhalb der Zunge entlangfahren. Ist dabei ein Widerstand spürbar, ist das ein Hinweis auf ein kurzes Zungenband.
- zusätzlich Austasten der Gaumenform
Die Stillberaterin oder Hebamme sind eine der ersten Ansprechpartnerinnen zum Thema Stillen. Sie hat die Chance, ein zu kurzes Zungenband zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu entdecken. Sie kann das Stillpaar schon in den ersten Lebenswochen des Säuglings vorbereiten und einem fortgebildeten und spezialisierten Zahnarzt/Zahnärztin oder Arzt/Ärztin zuweisen, der die Diagnostik und Therapie durchführt.
Idealerweise wird eine Zusammenfassung der Beobachtungen und die Dokumentation der Gewichtsentwicklung an den Arzt weitergegeben. Damit die Säuglinge flächendeckend versorgt werden können, ist eine gute Vernetzung zwischen Hebammen, Stillberaterinnen, Zahnärzten und Ärztinnen/Ärzten, die eine Frenotomie durchführen, notwendig [13].
Funktionsprüfung der Zunge auf Beweglichkeit
Um feststellen zu können, ob wirklich ein zu kurzes Zungenband vorliegt, sind immer alle Symptome beim Stillpaar (Mutter und Kind) sorgfältig zu beobachten und zu dokumentieren sowie eine Überprüfung der Funktion und Beweglichkeit der Zunge durchzuführen. Der Ingram BTAT Bristol Tongue Assessment Tool [ 2,3] das Frenotomy Decision Tool for Breastfeeding Dyads [4] und der datailliertere HATLFF-Screening-Bogen (Hazelbaker Assessment Tool for Lingual Frenulum Function) [5] sind Möglichkeiten, die Zungenbeweglichkeit und -funktion zu beurteilen. Für den fachgerechten Umgang mit dem HATLFF-Screening-Bogen ist eine Fortbildung notwendig, er ist nicht selbsterklärend.
Er steht in einer autorisierten deutschen Übersetzung von Márta Guóth-Gumberger, IBCLC, kostenfrei mit Anmeldung auf ihrer Website zum Download bereit.
Im 2. Teil des Artikels werden die Vor- und Nachsorge der Frenotomie aufgegriffen und die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit für den Therapieerfolg aufgezeigt.
Teil 2
Darius MoghtaderDie Zunge ist ein vielfältiges Sinnesorgan, das zahlreiche Funktionen zu erfüllen hat. Insbesondere der Säugling braucht eine frei bewegliche Zunge, um physiologisch und effektiv saugen, schlucken und frei atmen zu können. Während im 1. Teil dieser Artikelserie der Weg zu einer sicheren Diagnosestellung eines zu kurzen Zungenbandes aufgezeigt wurde, stehen im vorliegenden 2. Teil* die Vor- und Nachsorge der Frenotomie sowie die wichtige Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit für den Therapieerfolg im Fokus.
Eine Trennung des Zungenbandes (Frenotomie) sollte nur durchgeführt werden, wenn die Diagnose des zu kurzen Zungenbandes nach klinischer Untersuchung gesichert ist und bei der obligaten vorangegangen Stillberatung das Anlegen optimiert und weitere Ursachen für die Stillprobleme evaluiert und behoben wurden.
Vorbereitung der Frenotomie
Die Laktationsberaterinnen, Hebammen oder Logogopäden*innen können zum Erfolg der Maßnahme beitragen, indem sie die Patienteneltern zusätzlich zur Zungenfunktionsuntersuchung und Stillberatung durch Aufklärung auf die Frenotomie vorbereiten und begleiten. Folgende Informationen sind für die Eltern hilfreich:
- Wie läuft die Untersuchung beim Arzt ab?
- Welche Folgen für das ganze Leben hat es, wenn das zu kurze Zungenband unbehandelt bleibt?
- Wie läuft die Trennung ab?
- Welche Schmerzen und Nachschmerzen sind zu erwarten?
- Wie sieht das Schmerzmanagement aus?
- Warum, wann und wie wird das aktive Wundmanagement durchgeführt?
- Was bedeutet die 4–6-Regel?
- Warum sind Stillberatung und Körperarbeit vor und nach der Trennung wichtig?
Ein Termin zur Stillberatung und Nachsorge ist möglichst innerhalb der ersten 3–5 Tage nach der Trennung zu vereinbaren.
Therapie – die Frenotomie
Die vollständige Frenotomie ist ein minimalinvasiver Eingriff, der so früh wie möglich erfolgen sollte und bei dem der klinisch erreichbare Anteil des Zungenbandes vollständig durchtrennt wird. Er wird vom fortgebildeten und spezialisierten Zahnarzt/Zahnärztin oder Arzt/Ärztin in örtlicher Oberflächen- oder Lokalanästhesie durchgeführt. Bei unkooperativen Kindern ist unter Umständen eine Sedierung möglich.
Darauf sollte jedoch aufgrund der Sedationsrisiken bei Säuglingen verzichtet werden. Vor der Trennung übt der Arzt das bereits zuvor in der Stillberatung besprochene und bestenfalls auch durchgeführte aktive Wundmanagement (siehe unter Nachsorge der Frenotomie) mit den Eltern ein. Er zeigt zunächst die notwendigen Dehnübungen und lässt diese von den Eltern unter seiner Kontrolle und Anleitung einüben, bis sie korrekt durchgeführt werden.
Die Behandlung kann mit einem Scherenschnitt, einem Skalpell, einem Diodenlaser, einem Elektrotom oder minimalinvasiv mit dem CO2-Laser durchgeführt werden. Typisch für eine vollständige Trennung ist eine rautenförmige Wunde, die durch die anatomische Zeltform des Zungenbandes bei der horizontalen Trennung automatisch entsteht.
Idealerweise ist der vertikale Winkel α dabei kleiner als 90° und der horizontale Winkel β größer als 90° (Abb. 11). Die Collage in Abbildung 12 zeigt im unteren Bild eine unvollständige Trennung des Zungenbandes.
2 Wochen zuvor wurde in der Klinik nur der anteriore Anteil des Zungenbandes getrennt. Das obere Bild der Collage zeigt den Zustand nach minimalinvasiver vollständiger Nachtrennung nach internationalem Standard des posterioren Anteils des Zungenbandes mit CO2-Laser mit der rautenförmigen Wunde als ein Zeichen für die vollständige Trennung.
Die Trennung mit dem CO2-Laser dauert nur wenige Sekunden. Die Temperatur im Gewebe bleibt mit 90 °C niedrig. Dadurch ist die Trennung schmerzarm und gewebeschonend möglich.
Die Nervenfasern und die Gefäße werden durch den Laser „verschweißt“. Die Wundfläche ist keimarm, blutungsfrei und desensibilisiert. Diese „versiegelte“ Wundoberfläche erleichtert den Eltern das aktive Wundmanagement erheblich, da das Dehnen nicht oder weniger zu Schmerzen oder Nachblutungen führt.
Durch den Laserschnitt ist durch die reduzierte Anzahl der Myofibroblasten in der Wunde die Narbenbildung reduziert. Der CO2-Laser desinfiziert während des Schneidens und wird im Abstand ohne direkten Gewebekontakt eingesetzt. Die Technik ist komplex, technik- und personalintensiv und benötigt obligat ein vorbereitendes Training.
Da mit dem CO2-Laser im Superpuls Zellschicht für Zellschicht abgetragen werden kann und durch die spezielle Eigenschaft dieser Wellenlänge Schnitte mit einer Präzision von 0,1 mm (entspricht in etwa dem Durchmesser eines menschlichen Haares) durchgeführt werden können, kann ganz gezielt minimalinvasiv nur so viel Gewebe entfernt werden, bis die Zunge frei beweglich ist. Ist die letzte limitierende Zellschicht getrennt, schnellt die Zunge manchmal mit einem deutlich hörbaren Geräusch nach oben. Wir vergleichen diesen Moment gerne bildlich mit dem Öffnen einer Tür.
Direkt nach der Trennung wird vom Behandler eine „Dehnübung“ durchgeführt (Abb. 13). Diese wird idealerweise fotodokumentiert und den Eltern und Mittherapeuten zur weiteren Behandlung zur Verfügung gestellt. Sie dient auch zur Kontrolle einer vollständigen Trennung und zur Beurteilung der Zungenbeweglichkeit.
Darius MoghtaderDer Säugling wird zur Vorbereitung auf die Frenotomie gepuckt, er darf noch bis zur Trennung gestillt werden, wenn er nicht zu starkem Reflux neigt. Die Eltern dürfen in unserer Praxis bei der Trennung im Behandlungszimmer dabei sein und mit Körperkontakt und Stimme ihr Kind beim Eingriff unterstützen, wenn sie sich dazu in der Lage sehen. Die Augen des Säuglings werden mit Laserschutzpads versiegelt.
Alle anwesenden Personen im Raum tragen eine Laserschutzbrille. Eine für Säuglinge geeignete anästhesierende Creme wird auf das Zungenband aufgetragen.
Der Kopf des Kindes wird von hinten stabilisiert und ausgerichtet. Dann wird mit einer Hohlsonde oder einem Pflasterspatel die Zunge angehoben und das gesamte Zungenband dargestellt (Abb. 14).
Dabei werden oft die Speicheldrüsenausgänge und die Caruncula sublingualis mitangehoben (Abb. 15 und 16). Die beiden Carunculae sind 2 kleine Papillen mit gemeinsamer Öffnung für den Speichel der Glandula submandibularis (Unterkieferspeicheldrüse) und Glandula sublingualis (Unterzungenspeicheldrüse).
Unter ständigem Zug der Zunge nach oben wird das Zungenband an der dünnsten, im Bild grün markierten Stelle horizontal mittig zwischen den Carunculae sublingualis und Zungenunterseite in Richtung Hohlsondenende getrennt (Abb. 17). Ist das Zungenband vollständig getrennt, schnellt oftmals die Zunge nach oben. Abbildung 18 zeigt die physiologische Ruheposition der Zunge am Gaumen direkt nach der Trennung mit der Tongue Posture Hold (TPH).
Es entsteht das für eine vollständige Trennung typische Bild einer rautenförmigen Wunde. Der M. genioglossus und der Mundboden sind zu schonen. Eine Ausweitung des Schnittes bei Säuglingen zu den Seiten bringt unserer Erfahrung nach keine nachhaltige Verbesserung des Ergebnisses und wird von uns nicht durchgeführt.
Darius MoghtaderDann wird zur Prüfung der freien Beweglichkeit der Zunge eine „Dehnübung“ durchgeführt. Es sollte so stark „gedehnt“ werden, dass der vertikale Rautenwinkel deutlich unter 90° sinkt (Abb. 19). Direkt nach der Trennung ist das Baby aufgeregt, aber schmerzfrei. Jetzt gilt es den Säugling möglichst schnell zu beruhigen.
Dabei ist alles erlaubt, was hilft. Besonders gut geeignet ist das Stillen. Oft sieht man wie auf der Collage der Abbildung 20 eine sofortige Veränderung des Mundschlusses.
Darius MoghtaderDie 2 oberen Bilder zeigen den Zustand mit zu kurzem Zungenband, unphysiologischer Zungenruhelage und dadurch Atmung mit offenem Mund. Die beiden unteren Bilder zeigen die vollständige Trennung des Zungenbandes mit der dafür typischen rautenförmigen Wunde, eine physiologische Zungenruhelage und Atmung mit geschlossenem Mund durch die Nase 5 Minuten nach der Trennung mit CO2-Laser. Der Unterkiefer folgt der Zunge, die in physiologischer Lage am Gaumen ruht.
Dadurch schließt sich der Mund und die gesunde Nasenatmung kann einsetzen. Der CO2-Laser „verschweißt“ die Blutgefäße und Nervenendigungen, sodass mit keiner oder einer nur geringen Blutung zu rechnen ist, und die geringe Infektionsgefahr im Mund aufgrund der hohen immunologischen Kompetenz der Mundschleimhaut wird noch weiter reduziert. Durch das „Verschweißen“ der Nervenendigungen ist die Schmerzempfindung beim Berühren der Wunde reduziert, was sich positiv auf das obligate aktive Wundmanagement nach vollständiger Trennung des klinisch erreichbaren Anteils des Zungenbandes auswirkt.
In den nächsten Tagen bildet sich auf der Wunde Fibrin (Abb. 21), ein weißer Belag, der einen der ersten Schritte der natürlichen Wundheilung darstellt, sozusagen das körpereigene „Pflaster“. Bei sehr „jungen“ Säuglingen kann es zu einer sofortigen Verbesserung der Stillsituation kommen. Die 1. Verbesserung bei den „älteren“ erwarten wir am 3. Tag. Dann beginnt die Achterbahnfahrt der Wundheilung mit sehr guten Tagen und Rückschlägen.
Darius MoghtaderDie Zunge muss die Funktionsmuster erlernen und die Muskulatur aufbauen. In der Tat kann es zu Muskelkater kommen. Meist legt sich die Zunge in Ruhe sehr schnell in der physiologischen Zungenruhelage nach ventral (vorne) an den Gaumen und beginnt ihn auszuformen. Durch die Vorverlagerung der Zunge öffnet sich der Atemweg oft schon gleich oder innerhalb weniger Tage und der Unterkiefer folgt der Zunge.
Der Mund schließt sich und die Nasenatmung setzt ein. Der Beruhigungssauger ist soweit wie möglich zu vermeiden. Er drückt die Zunge weg von ihrer physiologischen Position nach hinten unten und verhindert den gewünschten Kontakt der Zunge mit dem Gaumen: So wenig Schnuller wie möglich, so viel wie unbedingt nötig. Ideal ist der Verzicht auf den Schnuller und stattdessen die Brust oder den kleinen Finger anzubieten.
Der kleine Finger ist kleiner als der Schnuller, nicht allzeit verfügbar und kann von größeren Babys nicht selbstbestimmt genutzt werden. Das führt automatisch zu einer kürzeren Verweilzeit im Mund, besonders während der Schlafzeiten.
Nach einigen Stunden kann es bei einigen Säuglingen zu Nachschmerzen kommen. Hier helfen Hautkontakt, Stillen und gefrorene abgepumpte oder ausgestrichene Muttermilch. Die Muttermilch wird dazu auf einen flachen Teller oder in einen Muttermilchbeutel gegeben und in einer dünnen Schicht tiefgefroren.
Dann bricht man diese Muttermilcheisscheibe in kleine Stücke und legt sie unter die Zunge. Das „Mumi“-Eis ist kühlend, schmerzstillend, wundheilungsfördernd, keimreduzierend und schmeckt dem Säugling gut. Trinkt der Säugling trotz dieser Maßnahmen nicht, beruhigt sich nicht oder kann er nicht schlafen, dann hat er Schmerzen und das zur Sicherheit vom Arzt rezeptierte Schmerzmittel wird verabreicht (siehe Kurzvideo für Eltern).
Durch ein gutes Schmerzmanagement kann ein Stillstreik sicher verhindert werden. Wenn Nachschmerzen auftreten, ist in der Regel mit einer Dauer von 48 Stunden zu rechnen.
Eine ambulante Trennung mit CO2-Laser ist normalerweise bis zum 12. Monat gut möglich und in Einzelfällen weit darüber hinaus. Die Wundheilung läuft meist unkompliziert und ohne oder mit reduzierter Narbenbildung ab. Als Alternative kann technisch einfach und kostengünstig auch in jeder fortgebildeten Zahnarztpraxis ohne CO2-Laser mit der Schere getrennt werden.
Wichtiger als das Medium stehen für den Erfolg der Trennung das Können und Wissen des ausführenden Arztes und die qualifizierte Vor- und Nachsorge. Die Trennung mit der Schere zeigt ein Video.
Die Wundheilung erfolgt offen. Aufgrund des Blutungsrisikos ist eine Vitamin K-Gabe bei Trennung mit der Schere vor dem Eingriff zu prüfen. Bei der Scherentrennung sind als wenig häufige Komplikationen die Nachblutung, Nachschmerzen und die Narbenbildung zu beachten.
Ärzte und Zahnärzte, die eine Frenotomie durchführen, brauchen die Mithilfe der Hebammen, Laktationsberaterinnen, Logopäden*innen, Osteopathen, oralen Therapeuten im Netzwerk und der Eltern. Denn allein der Schnitt löst kein Problem. Nur eine konsequente Vorbereitung und Nachsorge kann den Therapieerfolg sichern.
Nachsorge der Frenotomie
Die Trennung erfolgt horizontal. Der Körper versucht, diese horizontal entstandene Wunde wieder horizontal zu schließen. Das führt ohne das aktive Wundmanagement bei einer vollständigen Trennung des klinisch erreichbaren Anteils des Zungenbandes zu einem Reattachment (einer Wiederanheftung) des posterioren Anteils (Abb. 22).
Darius MoghtaderDas kann zu einer erneuten Funktionseinschränkung der Zunge mit den bereits genannten Symptomen führen. Deshalb ist nach dem Eingriff ein aktives Wundmanagement nach der 4–6-Regel erforderlich, um eine ungünstige horizontale Heilung der Wundränder zu verhindern, die die Beweglichkeit der Zunge erneut einschränken würde.
Hier sind die Zahnärzte, Ärzte, Hebammen und Laktationsberaterinnen gefordert, die Eltern zu motivieren, in die Technik einzuweisen und zu begleiten. Die manchmal genannten 2 Wochen für das „Stretching“ sind unserer Erfahrung nach zu kurz und reduzieren die Erfolgswahrscheinlichkeit der Frenotomie.
Die 4–6 Regel
Ziel der aktiven Wundversorgung ist es, dass die horizontale Wunde vertikal verheilt, sodass die volle Beweglichkeit der Zunge erhalten bleibt. Die Eltern müssen dafür über einen Zeitraum von 4 Wochen täglich Dehnübungen mit dem Kind machen, die 4- bis 6-mal pro 24 Stunden im Abstand von 4 bis 6 Stunden für 4 Sekunden auch in der Nacht durchzuführen sind: Dafür von hinten von der Kopfseite des Säuglings auskommend im 4–6-Finger-Griff zuerst den einen, dann den anderen Zeigefinger unter die Zunge bringen, bis beide Fingerspitzen sich unter der Zunge berühren. Dann zuerst mit den Mittelfingern das Kinn nach unten drücken und dann mit den Zeigefingern die Zunge nach oben hinten ziehen und darauf achten, die Augen des Säuglings nicht mit den Daumen zu berühren.
Dann stabilisieren die Daumen oder Handflächen den Kopf des Säuglings. Diese Position einmalig für 4 Sekunden halten, sodass die rautenförmige Wunde langgestreckt deutlich und vollständig sichtbar ist und der vertikale Rautenwinkel möglichst deutlich unter 90° sinkt (siehe Kurzvideo zur Verdeutlichung der Maßnahme). Wird das Zungenband nur im oft rein kollagenhaltigen und deshalb weißen, nicht durchbluteten anterioren (vorderen) Anteil (Abb. 23) getrennt, bringt das aktive Wundmanagement nur einen begrenzten Vorteil, da die Dehnung den Mundboden anhebt und die Zungenmuskulatur nach kaudal (unten) dehnt.
Darius MoghtaderEnden die Übungen, stellt sich der „normale“ Zustand mit eingeschränkter Zungenmobilität nach kurzer Zeit wieder ein. Die Trennung nur des anterioren (vorderen) Anteils des zu kurzen Zungenbandes kann zu einer meist zeitlich begrenzten Verbesserung der Stillsituation führen. Die Vorteile einer frei beweglichen Zunge für das Essen, Trinken, Sprechen, Schlucken, die Atmung und durch die physiologische Zungenruhelage die Ausformung des Gaumens und die in Ruhe entspannte Kau- und angrenzende Gesichts- und Skelettmuskulatur werden durch eine unvollständige Trennung oft nicht erreicht.
Neben der Nachsorge beim Säugling stehen folgende Maßnahmen im Vordergrund: Anleitung zu optimalen Stillpositionen, angemessenes Stillmanagement, die Begleitung bei der Reduzierung der zugefütterten Nahrungsmenge, die Dokumentation des Gewichtsverlaufes [9], Osteopathie, Chiropraktik und myofunktionelle Therapie des Säuglings sowie die Therapie der Mamillen und Unterstützung der Familie. Diese vielfältigen Aufgaben sind von der Laktationsberaterin nur mit kooperierenden Therapeuten zu erfüllen. Deshalb ist es sinnvoll, im Netzwerk mit speziell fortgebildeten Still- und Laktationsberaterinnen sowie Oraltherapeuten zusammenzuarbeiten und diese schwierigen und zeitaufwendigen Fälle gemeinsam im Team entsprechend den Kompetenzen und Kapazitäten zu betreuen.
Wir betreuen die Stillpaare in Zusammenarbeit mit den Stillberaterinnen für einen Zeitraum von 4 Wochen nach der Trennung. Die Abbildung 24 zeigt einen abgeheilten Zustand – 4 Wochen nach Trennung.
Darius MoghtaderZusammenfassung
- Eine gute Vor- und Nachsorge sind entscheidend für eine erfolgreiche Therapie des zu kurzen Zungenbandes.
- Fortgebildete Laktationsberaterinnen, Hebammen, Zahnärzte und Kinderärzte sollten das Zungen- und Lippenband routinemäßig prüfen.
- Die Vitamin K-Gabe ist bei Trennung mit der Schere zu prüfen.
- Wesentlicher Faktor nach der vollständigen Frenotomie ist das aktive Wundmanagement mit Dehnübungen und das Training für die Zunge. Die Eltern müssen dazu motiviert und in der Technik angeleitet und betreut werden.
- Die Zusammenarbeit zwischen Still- und Laktationsberater/in, Hebamme, oraler Therapeutin, Zahnarzt/Zahnärztin, Ärztin/Arzt, Logopäde/in und Osteopathin/Osteopath, Chiropraktiker/in ist entscheidend für den Therapieerfolg. Denn der Weg vom 1. Stillproblem über die Diagnostik bis zum erfolgreichen Abschluss der Therapie ist ein Prozess, in dem sich alle Seiten immer wieder abstimmen und dabei die Ratsuchenden in den Mittelpunkt stellen müssen.
- Die Frenotomie ist kein Quickfix, sondern benötigt ein interdisziplinäres Netzwerk und kann im Team vielen Stillpaaren zu einem langen natürlichen und angenehmen Stillen verhelfen [14].
Danksagung
Mein Dank geht an Prof. Daniela Karall, IBCLC und Márta Guóth-Gumberger, IBCLC, die mich bei meiner Arbeit und bei der Erstellung dieses Artikels unterstützt haben. Ich danke Dr. Zsuzsa Bauer für ihre Ideen, Anregungen, Hilfen und ihr Lektorat bei der Erstellung dieses Artikels.
Weitere Informationen
Erstpublikation des Artikels in Laktation & Stillen 3, 2019. (www.elacta.eu)
Entdecke CME Artikel



















Keine Kommentare.