Nicht chirurgische Verfahren zur Prophylaxe und Therapie der Parodontitis, auch als SRP bezeichnet, sind effektive, bewährte und gut etablierte Behandlungsmethoden. Mit der Einführung der photodynamischen Therapie war die Absicht verbunden, zusätzlich zur SRP bessere Langzeitergebnisse bei der Reduktion von Sondierungstiefen und der Verzögerung von Attachmentverlusten zu erzielen.
Neben der Parodontitisbehandlung wurden weitere potenzielle zahnmedizinische Anwendungsmöglichkeiten untersucht, welche zum Teil auch bereits umgesetzt werden. Dies gilt v.a. für die Therapie der Periimplantitis, endodontischer Krankheiten und Karies, aber auch für die Behandlung von Weichteilinfektionen oder Pilzinfektionen, wenn opportunistische Keime eine Rolle spielen. Eine wesentliche Motivation zur Anwendung photodynamischer Therapien rührt aus der Tatsache, dass der Einsatz von Antibiotika eingeschränkt oder ganz ersetzt werden kann.
Positive Meldungen zur Wirksamkeit der PDT sind aus solchen Zahnarztpraxen zu vernehmen, die mit ihren Patienten schon einige Erfahrungen mit der Methode gesammelt haben. Es steht m.E. ganz außer Frage, dass PDT tatsächlich sicher antibakteriell wirksam ist und dabei ein zu vernachlässigendes Nebenwirkungspotenzial hat. In der Praxis wird sie vorwiegend als Ergänzung zu den klassischen instrumentellen bzw. mechanischen Verfahren angewendet.
In Metaanalysen bzw. in Verlautbarungen von Expertengremien gibt es allerdings eher zurückhaltende Bewertungen zum Nutzen der PDT. Jüngstes Beispiel dafür ist die Übersichtsarbeit von Salvi et al. aus 2020, die als Basis der neuen EFP-Empfehlungen diente [16]: „Conclusions: Available evidence on adjunctive therapy with lasers and PDT is limited” [12]. Trombelli et al. befinden: „PDT (as additional) do not produce a greater clinical effect on periodontal conditions compared to SRP” [16]. Auch Chambrone et al. kamen in 2018 zu keinem positiveren Ergebnis: „PDT may provide similar clinical improvements in PD* and CAL* when compared with conventional periodontal therapy for both periodontitis and peri-implantitis patients” [4]; siehe auch [14]**.
Prof. Meisel
Die Frage ist nun, ob sich aus der Vielzahl dieser Studien klinisch relevante Erkenntnisse für die Behandlung der Parodontitispatienten gewinnen lassen. Dazu sei daran erinnert, dass die Phototherapie überwiegend als Zusatztherapie zur klassischen mechanischen Parodontitisbehandlung gesehen wird, unter Umständen auch als Erhaltungstherapie nach Grundsanierung.
Die überwiegende Zahl der publizierten Beobachtungsstudien – oft mit kleinen Probandenzahlen – berichtet überlegene und damit bessere Ergebnisse bei Sondierungstiefen-Rückgang bzw. Attachmentgewinn beim Vergleich SRP mit PDT gegenüber SRP allein. Warum also sind die Expertenmeinungen zur PDT dann immer noch so zurückhaltend?
Es gibt also offenkundig ein krasses Missverhältnis zwischen dem stetig steigenden Interesse an der PDT in der Parodontologie sowie den Auswertungen und Expertenmeinungen, die auf Metaanalysen und Übersichtsartikeln beruhen. Dies ist ein gutes Beispiel für das Dilemma der modernen Medizin, das in dem Konflikt zwischen individualisierter Medizin und evidenzbasierter Medizin besteht.
Mechanismus der Phototherapie
Obwohl heilende Lichtwirkungen schon seit der Antike bekannt sind und auch genutzt wurden, haben erst die Entdeckung und die Aufklärung des photodynamischen Mechanismus zur verbreiteten Anwendung in der Medizin geführt. In-vivo-Anregung geeigneter Farbstoffe durch Licht hat insbesondere in der Dermatologie (Psoriasis, Vitiligo) und in der Neonatologie (Neugeborenen-Ikterus) zu erfolgreichen Therapien geführt.
Auch in der Onkologie lassen sich lichtzugängliche Tumoren mit photodynamischen Methoden zerstören und seit den 1990er-Jahren erweist sich auch die Parodontologie als ein denkbares (vielleicht auch dankbares?) Anwendungsfeld (Abb. 1).
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Ein geeigneter Farbstoff (der Photosensibilisator, in diesem Fall das häufig in kommerziellen PDT-Anlagen verwendete Toluidinblau) wird durch Licht in einen energiereicheren Zustand versetzt. Das geschieht üblicherweise durch einen monochromatisch strahlenden Laser, kann aber auch durch breitbandigere Bestrahlung erfolgen. Entscheidend ist, dass die eingestrahlte Wellenlänge mit dem Absorptionsmaximum des Farbstoffs zusammenfällt, wie dies in der Abbildung deutlich wird.
Kann der angeregte Farbstoff seine gewonnene Energie auf Sauerstoff übertragen, so entstehen energiereiche Sauerstoffformen (u.a. sogenannter Singulettsauerstoff), die trotz ihrer sehr kurzen Halbwertszeit Proteine, Fette und andere Biomoleküle zerstören können und damit auch bakterizid wirken. Gute Photosensibilisatoren sind neben Toluidinblau auch Methylenblau, Indocyaningrün, Riboflavin, aber auch einige Fluoresceinfarbstoffe, wie sie zur Plaqueanfärbung Verwendung finden.
Neben der zum Farbstoff passenden Bestrahlungswellenlänge ist auch zu bedenken, dass Licht im kürzeren Wellenlängenbereich (etwa blau) zwar von höherer Energie ist, aber die Eindringtiefe des Lichtes in Gewebe mit steigender Wellenlänge zunimmt – also nahe dem Infrarot optimal ist.
Zur Eradikation von parodontopathogenen und Plaquebakterien gibt es eine Vielzahl von Studien, z.B. zur Prävention der Plaquebildung [7] oder zur bakteriziden Wirksamkeit gegen parodontale Pathogene [1]. Vergleiche von SRP allein und SRP mit zusätzlicher PDT zeigen, dass es Unterschiede bei der Beseitigung verschiedener parodontalpathogener Keime gibt, d.h. das Keimspektrum der bei Parodontitis bestehenden Dysbiose in unterschiedlicher Weise beeinflusst wird [6,10]. Abzugrenzen von der PDT sind Laseranwendungen ohne Photosensibilisatoren, die zur Förderung der parodontalen Wundheilung und zur Regeneration eingesetzt werden.
Ein Verfahren – 2 Betrachtungsweisen
Viele publizierte Studien präsentieren Vergleichsergebnisse konventioneller SRP vs. SRP plus Phototherapie nach 3 oder 6 Monaten. Verglichen werden Mittelwerte für Sondierungstiefen oder Attachmentgewinn. Wie problematisch ein solches Vorgehen sein kann, zeigen die folgenden Abbildungen. So wird klarer, weshalb der Phototherapie so wenig Evidenz zugebilligt wird, obwohl sie doch wirksam ist.
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Die ambivalenten Bewertungen der Phototherapie – insbesondere beim Vergleich SRP versus SRP plus Phototherapie – sind eine Folge der Überbewertung der statistischen Signifikanz gegenüber der klinischen Relevanz. Und dies ist mit der Tatsache verbunden, dass die evidenzbasierte Medizin als Goldstandard nach randomisierten kontrollierten Studien verlangt. Dem gegenüber steht die individualisierte Medizin, bei der es für den einzelnen Patienten irrelevant sein kann, wie gut die Ergebnisse im Bevölkerungsdurchschnitt ausfallen. Und wer, wenn nicht der Zahnarzt, betreibt individualisierte Medizin – sogar bis hinab zum individuellen Zahn.
Dazu kommt noch, dass sich in jeder kontrollierten Studie heterogen zusammengesetzte Gruppen von Individuen wiederfinden mit jeweils individuellen Charakter- und Risikokombinationen. Das kann auch durch Randomisierung nicht vermieden werden. Eine Heterogenität der Therapieeffekte folgt dann beinahe zwangsläufig. Doch Richtlinien der evidenzbasierten Medizin beruhen eben auf den Ergebnissen großer randomisierter kontrollierter Doppelblindstudien (RCTs).
Dagegen ist die Arbeit des Zahnarztes seit jeher die individualisierte Behandlung der Patienten – Stichwort personalisierte Medizin. Darin besteht ein unlösbares Dilemma, weil die Behandlungseffekte auf Personenebene nicht aus RCTs abgeleitet werden können und durchschnittliche Behandlungseffekte nicht auf alle Patienten anwendbar sind [5].
Zuordnungen aufgrund einzelner Unterscheidungsmerkmale sind von geringem Wert für einzelne Patienten, da sich Individuen durch multiple Charakteristika voneinander unterscheiden. Natürlich werden RCTs zur Bewertung von Therapien mit neuen Methoden oder Arzneimitteln immer notwendig sein – die Reaktion eines einzelnen Patienten lässt sich daraus nicht ableiten: Dessen Therapie wirkt oder ist wirkungslos.
Die Mittelwertproblematik
Fasst man die Einzelbefunde von epidemiologischen Studien zusammen, so zeigt sich, dass mit den publizierten Mittelwerten weit auseinanderstrebende Intervalle der streuenden Werte verbunden sind, wie es anhand der Abbildungen 3 und 4 schon gezeigt wurde. Im Gegensatz dazu kann man die Betrachtung umkehren und die Befunde vieler einzelner Patienten betrachten, wie sich daraus die Mittelwerte der publizierten Studien ergeben.
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Die Häufigkeitsverteilung der Messergebnisse vor und nach PDT ist in Abbildung 6 zu sehen mit der dabei üblichen resultierenden Überlappung. In Abbildung 7 ist daraus abgeleitet die Verteilung der Differenz Baselinebefund minus Follow-up-Wert als Boxplot dargestellt und darauffolgend diese Differenz in Abhängigkeit vom Ausmaß der Taschentiefen (Abb. 7, rechts).
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Im Gegensatz zu den Einzelbefunden gibt es weite Überlappungen und Streuungen und der Behandlungserfolg hängt stark von der Ausgangslage ab – es ist nämlich ganz offensichtlich, dass einige Probanden sehr stark von der Therapie profitieren, andere dagegen wenig oder gar nicht.
Gleiches gilt für die Mittelwertvergleiche, wie sie zwischen SRP und SRP plus Phototherapie in großer Anzahl publiziert wurden. So gibt es typische Häufigkeitsverteilungen. Ergebnisse beider Gruppen zeigen starke Überlappungen und die Profiteure der Behandlung finden sich am rechten Ende (Abb. 7), nämlich bei den am schwersten Betroffenen. Ganz nebenbei: Das können auch die mit den meisten Risikofaktoren sein.
Die Schlussfolgerung wäre demzufolge, sinnvolle Kriterien für die Unterscheidung von Patienten zu finden, für die der Zusatzaufwand einer PDT eine Verbesserung des Therapieerfolgs verspricht. Für die anderen spart man Zeit und Geld; unberührt davon bleiben natürlich Präferenzen von Arzt und Patient.
Praktische Schlussfolgerungen
Derzeitige Empfehlungen für mögliche Anwendungen sind oft auf Zusatzbehandlungen der PDT zur SRP beschränkt, um unzugängliche Keimreste zu beseitigen. Vergleichende Untersuchungen zur SRP mit PDT oder mit systemischen Antibiotika liefern vergleichbare Ergebnisse hinsichtlich Sondierungstiefen (PD), Attachmentverlust (CAL) oder Blutung (BOP) [11,15]. Ein entscheidender Vorteil der Phototherapie gegenüber dem Einsatz systemischer Antibiotika ist, dass keine Resistenzentwicklung zu befürchten ist.
Wie oben gezeigt, können Behandlungseffekte auf Personenebene nicht aus RCTs abgeleitet werden und durchschnittliche Behandlungseffekte sind nicht auf alle Patienten anwendbar. Es bleiben also immer Einzelfallentscheidungen, die nach individuellem Risikoprofil getroffen werden sollten. Eine prospektive Risikoabschätzung kann sowohl auf Patientenebene als auch auf Zahnebene geboten sein – eine Kunst, die der Zahnarzt ja zur Genüge beherrscht.
Bei der gegenwärtigen Datenlage kann der Einsatz der Phototherapie in der Parodontologie durchaus sinnvoll sein – nämlich immer dann, wenn die mechanischen oder chirurgischen Maßnahmen versagen oder dem Patienten nicht zuzumuten sind.
Hier sind einige solcher Fälle aufgeführt:
- Reduktion sonst notwendiger Lappen-OPs
- Schwieriger Zugang: Furkationen, Invaginationen, Konkavitäten
- Erhaltungstherapie bei tiefen Resttaschen
- Reduktion von Bakteriämie bei Risikopatienten
- Falls Antibiotikaresistenz ein Problem ist (oder wird)
- Immunsupprimierte Patienten
Für Patienten mit Periimplantitis treffen diese Indikationen gleichermaßen zu; für weitere mögliche Indikationen ist die Datenlage noch ungenügend. Insgesamt sollte es zu denken geben, dass nach so vielen Jahren zahlreiche Studien immer noch mit der gleichen Methodik Datenberge anhäufen, ohne wesentlichen Fortschritt zu erreichen. Vielmehr müssten Studien erreichen, dass eindeutig geklärt wird, welche Patienten vom Einsatz der PDT profitieren können und welche nicht.
Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
* Attachmentverlust [CAL], Sondierungstiefe [PD])
** Übersetzung der Zitate: „Schlussfolgerungen: Die verfügbare Evidenz zur adjuvanten Therapie mit Lasern und PDT ist begrenzt“ [12]; „PDT (als adjunktive Therapie) erzeugt keinen größeren klinischen Effekt auf parodontale Verhältnisse als SPR“ [16]. „Die PDT erzielt im Vergleich zur konventionellen Parodontaltherapie sowohl bei Parodontitis- als auch bei Periimplantitis-Patienten ähnliche klinische Verbesserungen bei PD und CAL“ [4].
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