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Allgemeine Zahnheilkunde

Mundhygiene in der Pflege – Aspiration vermeiden und rückengerecht arbeiten

Im Alter und bei Gebrechlichkeit sollten möglichst wenige Pflegemittel zum Einsatz kommen (KISS – keep it simple, stupid). Im Pflegealltag haben sich fluoridhaltige und wenig abrasive Zahnpasten sowie weiche Handzahnbürsten bewährt. Um Aspiration zu vermeiden, ist eine möglichst aufrechte Sitz- und Kopfhaltung wichtig und die zu pflegende Person sollte zum Zeitpunkt der Zahn- und Mundpflege eine gute Leistungsbereitschaft aufweisen. Wenn nicht ausgespült werden kann, sind Kompressen zum Auswischen des Mundes hilfreich. Wird die Mundhygiene durch professionell Pflegende bzw. pflegende Angehörige ausgeführt, müssen diese auf eine rückengerechte Körperhaltung achten.

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Abb. 1: Die Pflegesituation vor 30 Jahren (a) und heute (b). Während früher die meisten Pflegebedürftigen zahnlos und oft mit Totalprothesen versorgt waren, haben Pflegebedürftige heute aufgrund der Erfolge der zahnmedizinischen Prävention noch viele eigene Zähne. Dr. med. dent. Elmar Ludwig
Abb. 1: Die Pflegesituation vor 30 Jahren (a) und heute (b). Während früher die meisten Pflegebedürftigen zahnlos und oft mit Totalprothesen versorgt waren, haben Pflegebedürftige heute aufgrund der Erfolge der zahnmedizinischen Prävention noch viele eigene Zähne.
Immer mehr ältere Menschen in Deutschland haben immer mehr eigene Zähne, technisch aufwendigen Zahnersatz oder Implantate. Die Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V) belegt, dass in der Altersgruppe der 75- bis 100-Jährigen der Mundgesundheitsstatus bei Pflegebedürftigkeit deutlich schlechter ist. Pflegebedürftige Menschen benötigen Hilfe bei der Zahn-, Mund- und Zahnersatzpflege [1]. Mit den Schwerpunkten „Soor- und Parodontitisprophylaxe“ ist die Mundpflege in der Altenpflegeausbildung nicht mehr zeitgemäß und auch in der Fortbildung gibt es für Pflegekräfte bis heute nur wenige Angebote in Bezug auf die Zahn-, Mund- und Zahnersatzpflege. So wundert es nicht, dass bei den pflegebedürftigen Menschen etwa 50% der Zähne kariös sind [2], 75% der betroffenen Menschen eine belegte Zunge haben [2] und nur etwa jede 4. Prothese frei von Belägen ist [3] (Abb. 1a und b).

Die Folgen sind Mundgeruch, Zähneknirschen, Schmerzen und aggressives Verhalten. Zudem hat eine schlechte Mundgesundheit Einfluss auf allgemeine Erkrankungen wie z.B. Lungenentzündungen [4–6], Diabetes, Arthritis, sowie Gefäßerkrankungen [7]. Auch Zusammenhänge zwischen schlechtem Mundgesundheitsstatus und Gebrechlichkeit werden diskutiert [8]. Die Teilhabe am Leben wird so vielfältig eingeschränkt und zudem wird auch der Alltag der Pflegekräfte zusätzlich belastet. Ziel der zahnärztlichen Prävention im sogenannten 4. Lebensabschnitt muss es deshalb sein, bei professionell Pflegenden und pflegenden Angehörigen ein Problembewusstsein zu schaffen sowie bedarfsorientierte Pflegekompetenzen zu vermitteln.

Problembewusstsein schaffen

Zur Zahn-, Mund- und Zahnersatzpflege hat die Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg ein Programm für die Pflegeausbildung mit Vorträgen, Skripten, Lehrfilmsequenzen, praktischen Übungen und Lernzielkontrollen erarbeitet (Abb. 2). Für die Fortbildung examinierter Pflegekräfte steht ebenfalls eine Vielzahl an Lernmitteln zur Verfügung. Eine „Diashow“ zeigt z.B. pathologische Veränderungen in der Mundhöhle (Abb. 3). Mit einem Phantomkopf können Pflegemaßnahmen sowie das Einund Ausgliedern einer Prothese geübt werden. In einem Mundpflegestandard sind alle wesentlichen Informationen auf einer Seite zusammengefasst und auf der sogenannten Pflegeampel lassen sich Pflegemaßnahmen individuell angepasst dokumentieren (Abb. 4 und 5). Die Landeszahnärztekammer bringt sich darüber hinaus in der geriatrischen Fortbildung der Ärzte im Land ein und auf Anfrage werden für Betroffene sowie pflegende Angehörige Fortbildungen bzw. Informationsveranstaltungen angeboten.

Abb. 2: Vortragsauszug aus „Zahn-, Mund- und Zahnersatzpflege – das Wichtigste in Kürze“. Dr. med. dent. Elmar Ludwig
Abb. 2: Vortragsauszug aus „Zahn-, Mund- und Zahnersatzpflege – das Wichtigste in Kürze“.
Abb. 3: Diashow – Pathologien in der Mundhöhle. Pflegekräfte beschreiben Befunde – sie stellen keine Diagnosen. (a) Idealgebiss & FDI-Schema, (b) Geschwür im 1. Quadranten hinten, (c) weiche & harte Zahnbeläge, Zahnfleisch gerötet/geschwollen und zurückgegangen, (d) Oberkiefer-Prothese – Rand hinten rechts ausgebrochen. Dr. med. dent. Elmar Ludwig
Abb. 3: Diashow – Pathologien in der Mundhöhle. Pflegekräfte beschreiben Befunde – sie stellen keine Diagnosen. (a) Idealgebiss & FDI-Schema, (b) Geschwür im 1. Quadranten hinten, (c) weiche & harte Zahnbeläge, Zahnfleisch gerötet/geschwollen und zurückgegangen, (d) Oberkiefer-Prothese – Rand hinten rechts ausgebrochen.
Abb. 4: Mundpflegestandard. © LKZ BW LKZ BW
Abb. 4: Mundpflegestandard. © LKZ BW
Abb. 5. Die Pflegeampel z. B. im Kleiderschrank aufgehängt – bei Urlaub/Krankheit kann sich die Vertretung schnell orientieren. © LKZ BW 7/2018 LKZ BW 7/2018
Abb. 5. Die Pflegeampel z. B. im Kleiderschrank aufgehängt – bei Urlaub/Krankheit kann sich die Vertretung schnell orientieren. © LKZ BW 7/2018
Abb. 6: Handbuch der Mundhygiene (Pflegekalender). Dr. med. dent. Elmar Ludwig
Abb. 6: Handbuch der Mundhygiene (Pflegekalender).

Ein weiterer hilfreicher Ratgeber für professionell Pflegende bzw. unterstützende Personen ist das Handbuch der Mundhygiene (Abb. 6). Dieser sogenannte Pflegekalender wurde 2017 in Abstimmung verschiedener Organisationen (BZÄK/DGAZ/AG ZMB) überarbeitet. Eine aktuelle PDF-Version kann z.B. von der Homepage der LZK BW heruntergeladen oder auch direkt dort angefordert werden. Daneben haben die Bundeszahnärztekammer und das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) die wichtigsten Hinweise zur Mund- und Zahnpflege in einem Ratgeber „Mundpflege – Praxistipps für den Pflegealltag“ sowie in 12 Kurzfilmen zusammengefasst. Natürlich bietet auch die Deutsche Gesellschaft für Alterszahnmedizin e.V. (DGAZ) über ihre Homepage verschiedene Schulungsmittel an.

Pflegekompetenzen vermitteln

Abb. 7: Pflegekompetenzen vermitteln – z.B. im Rahmen einer „Mentoreneinheit“ mit Pflegeschülern; erst theoretisch, dann praktisch am Modell (a), gegenseitig (b) und schließlich bei den betroffenen Menschen mit Unterstützungsbedarf (c). Prothesen hält man am besten mit Handschuhen tief ins Waschbecken (d). Dr. med. dent. Elmar Ludwig
Abb. 7: Pflegekompetenzen vermitteln – z.B. im Rahmen einer „Mentoreneinheit“ mit Pflegeschülern; erst theoretisch, dann praktisch am Modell (a), gegenseitig (b) und schließlich bei den betroffenen Menschen mit Unterstützungsbedarf (c). Prothesen hält man am besten mit Handschuhen tief ins Waschbecken (d).
Für eine nachhaltige Verbesserung der Zahn-, Mund- und Zahnersatzpflege kommt es ganz wesentlich darauf an, das theoretische Wissen in der Praxis angeleitet umzusetzen – idealerweise erst am Modell bzw. gegenseitig und schließlich bei den betroffenen Menschen mit Unterstützungsbedarf, abgestimmt auf die individuelle Ausgangssituation (Abb. 7a bis d).

Aspiration vermeiden und rückengerecht arbeiten

Aspiration vermeiden

Schluckstörungen sind in der Altersgruppe 65+ mit ca. 13% keine Seltenheit. Etwa 50% aller Senioren in Pflegeeinrichtungen und 75% der Menschen mit fortgeschrittener Demenz sowie 50% der Menschen mit neurologischen Erkrankungen (Schlaganfall, Parkinson, Multiple Sklerose) können nicht sicher schlucken. 90% aller Pneumonien sind Aspirationspneumonien. Wenn kein Hustenreflex vorhanden ist, besteht akute Aspirationsgefahr [9,10].

Maßnahmen zur Vermeidung einer Aspiration:

  • Person ist wach und leistungsbereit und nicht von anderen Aktivitäten erschöpft
  • Vertrauen schaffen – Brille, Hörgerät kontrollieren – Zuschauer stören eher
  • Überforderung vermeiden – erzeugt Frustration und Aggression
  • Geschwindigkeit den Möglichkeiten der Person anpassen – kein Zeitdruck
  • aufrechte Sitz- und Kopfhaltung (am besten 90°) für guten Tonus im Rumpf bzw. im Kehlkopf sowie für gute Übersicht – die unterstützungsbedürftige Person soll sehen, wenn etwas zum Mund geführt wird und was das ist
  • Kinn zur Brust geneigt erleichtert das Schlucken (Chin-Tuck- Position)
  • bei Seitlagerung Kopf zur Matratze geneigt
  • Anleitung – genau beschreiben, was geplant ist und was geschieht (v.a. bei Sehschwäche)
  • nicht gleichzeitig im Mund arbeiten und dabei Fragen stellen
  • Zahnbürste/Instrumente in „physiologischer Bahn“ zunächst von vorn unten etwa im 45°-Winkel und dann in einer waagerechten „Bahn“ zum Mund führen (so, wie man selbst einen Löffel zum eigenen Mund führen würde)
  • immer wieder ausreichend Gelegenheit und Zeit zum Schlucken geben, ggf. auch mehrmals nachschlucken lassen
  • bei feuchter/gurgelnder Stimme die Person auffordern, sich zu räuspern und dann nochmals zu schlucken
  • Plastikbecher für Nase ausschneiden – Trinken möglich, ohne den Kopf weit nach hinten nehmen zu müssen
  • Wasser zum Ausspülen z.B. mit Minzgeschmack, wird besser wahrgenommen
  • Mund ausspülen – nur kleine Schlucke nehmen lassen, ggf. mit Teelöffel verabreichen
  • alternativ Kompressen/Pflaumentupfer zum Auswischen der Mundhöhle

Rückengerecht arbeiten

Abb. 8: Kopfhaltung, nicht optimal (a) – besser nach vorn unten (b). Dr. med. dent. Elmar Ludwig
Abb. 8: Kopfhaltung, nicht optimal (a) – besser nach vorn unten (b).
Die Förderung der Eigenaktivität der unterstützungsbedürftigen Person ist wichtig. Die Zahn- und Mundpflege sollte nur dort unterstützt werden, wo dies nötig ist. Auch mit Hilfestellung gelingt die Zahn- und Mundpflege besser bei guter Leistungsbereitschaft sowie guter Ausleuchtung der Umgebung. Um das Aspirationsrisiko zu verringern, sollte die pflegebedürftige Person bei der Zahn- und Mundpflege in möglichst aufrechter Position mit nach vorne geneigtem Kopf sitzen – idealerweise am Waschbecken mit der Möglichkeit, sich mit den Händen festhalten und abstützen zu können. Manchmal kommen pflegebedürfte Menschen bei der Zahn- und Mundpflege der pflegenden Person entgegen, überstrecken dabei den Kopf und machen den Mund weit auf. Besser ist es aber, den Kopf tendenziell nach vorne unten zu neigen und den Mund nicht zu weit zu öffnen – Speichel und Zahnpasta fließen so eher nach vorne aus dem Mund und das Schlucken wird erleichtert. Insgesamt wird auf diese Weise das Aspirationsrisiko minimiert (Abb. 8a und b). Wird die Zahn- und Mundpflege durch professionell Pflegende bzw. durch pflegende Angehörige unterstützt bzw. durchgeführt, müssen diese auf eine rückengerechte Körperhaltung achten. Ein eher breitbeiniger Stand mit „federnden“ Knien und eine gute Abstützung zur Entlastung des Rückens erlauben in nahezu jeder Pflegesituation eine gute Haltung.

Mundpflege am Stuhl / im Sitzen (Abb. 9a und b)

Mit breitbeinigem Stand und federnden Knien wird die Belastung im Rücken über die Beine abgeleitet. Zusätzlich kann die pflegende Person den eigenen Körper am Rollstuhl, der Schulter und dem Kopf der unterstützungsbedürftigen Person abstützen. Der Kopf wird dabei von hinten im Sinne des Kieferkontrollgriffes („liebevoller Schwitzkasten“) gestützt und geführt.

Abb. 9a u. b: Zahn- und Mundpflege im Rollstuhl. Dr. med. dent. Elmar Ludwig
Abb. 9a u. b: Zahn- und Mundpflege im Rollstuhl.
Abb. 10a u. b: Zahn- und Mundpflege über Kopf. Dr. med. dent. Elmar Ludwig
Abb. 10a u. b: Zahn- und Mundpflege über Kopf.
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Bei Seitlagerung und weit nach unten gefahrenem Bett ermöglicht die Haltung auf den Knien mit Abstützung der Ellenbogen auf der Matratze eine rückengerechte Arbeitsposition. Besser allerdings ist auch hier das Arbeiten im Stand mit Abstützung der Hüfte (siehe auch Abb. 11c bis e). Auch Angehörige können in diese Techniken eingearbeitet werden (Abb. 13).

Fazit

Voraussetzung für die Zahn-, Mund- und Zahnersatzhygiene in der Pflege ist eine gute Anleitung der notwendigen Pflegemaßnahmen, um bei rückengerechter Arbeitshaltung Aspiration zu vermeiden. 

Erstpublikation des Artikels in prophylaxe impuls; 23; 14-22, 2019

Weitere Informationen:

Die Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg hat auf ihrer Homepage eine Vielzahl an Unterstützungsmitteln eingestellt: www.lzk-bw.de – Zahnärzte – Alters- und Behindertenzahnheilkunde, u.a.:

  • Barrierefreiheit: z.B. ein Hinweisblatt zu Schluckstörungen in der zahnärztlichen Behandlung sowie weitere nützliche Informationen,
    z.B. für Zugang zu und Umgang mit demenziell erkrankten Menschen (Beziehungsgestaltung bei Demenz)
  • Fortbildung: verschiedene Fortbildungsformate für das gesamte Praxisteam
  • Flyer und Formulare: z.B. Pflegeampel/Mundhygieneplan sowie weitere Hilfsmittel zur Informationsübermittlung
  • Vortrags- und Filmkommentierungen: Lehr- und Lernmittel für die Schulung von professionell Pflegenden bzw. pflegenden Angehörigen

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