Für Patienten ist die Sofortimplantation mit Sofortbelastung eine große Chance, in kürzester Zeit eine vollständige ästhetische und funktionelle Rehabilitation ihres Kauapparates zu erhalten [1]. Für den Behandler stellt diese Versorgungstechnik eine große Verantwortung dar. Das Straumann® Pro-Arch-Konzept [2] ermöglicht die vorhersagbare und sichere Sofortversorgung zahnloser Kiefer mit festsitzenden bedingt abnehmbaren Implantatbrücken [3]. Dabei genügt meistens eine Minimalzahl von 4 Implantaten [4,5], welche unter optimaler Ausnutzung des vorhandenen ortsständigen Kieferknochens inseriert werden, d.h. auch in vielen Fällen anguliert [6,7], um bei ausreichender Primärstabilität sofort belastet werden zu können. Neben den chirurgischen und prothetischen Herausforderungen bei der Behandlung des parodontal destruierten Restgebisses stellte sich den Behandlern auch die ethische und medizinrechtliche Frage nach der zukünftigen Compliance des Patienten [8].
Patientenfall: Ausgangslage
Der 63-jähriger Patient, mäßiger Raucher, stellte sich erstmalig mit stark reduziertem Restzahngebiss in unserer Praxis vor (Abb. 1). Er berichtete, zuletzt als Kind beim Zahnarzt gewesen zu sein. Er klagte über multiplen spontanen Zahnverlust im Seitenzahngebiet, der auf Zahnlockerungen in den Jahren zuvor zurückzuführen war. Neben der deutlich verschlechterten Ästhetik durch die Zahnwanderungen, beeinträchtigten ihn Schmerzen beim Kauen – speziell in der Unterkieferfront (Abb. 2 bis 4). Abgesehen davon sei er über die letzten Jahrzehnte durchgehend schmerzfrei gewesen. Die Frage, warum er nach den wenigen Zahnarztbesuchen im Kindesalter keinen weiteren Termin mehr wahrgenommen habe, begründete er mit einer Traumatisierung durch den damaligen Behandler sowie der durchweg bestehenden Schmerzfreiheit. Die psychosoziale Anamnese des Patienten war unauffällig; er ging einem geregelten und angesehenen Beruf nach und hatte eine sehr gute familiäre Bindung. Er äußerte keine tiefergehenden Ängste im Hinblick auf eine bevorstehende Behandlung. Die allgemeinmedizinische Untersuchung ergab keine Einschränkungen im Hinblick auf eine implantatchirurgische Therapie. Dr. Lehner u. ZTM Donhauser
Dr. Lehner u. ZTM Donhauser
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Behandlungsplanung
Es fanden umfangreiche Aufklärungsgespräche mit dem Patienten über die möglichen Behandlungsalternativen statt, mit fortwährender Einbeziehung des familiären Umfelds. Spezielles Augenmerk wurde auf die Aufklärung von parodontalpathogenen Mechanismen gelegt, die Einordnung seines Verhaltens gegenüber der zahnärztlichen Therapie in der Vergangenheit und die für ihn zu ziehenden Schlüsse für die Zukunft nach Abschluss einer implantatprothetischen Rehabilitation [9]. Unter Abwägung aller Chancen und Risiken entschieden sich Patient und Behandler gemeinsam für eine Pro-Arch-Versorgung beider Kiefer. Der Patient wünschte keine Behanldung in Intubationsnarkose, sondern unter i.v.-Sedierung (Midazolam®) in 2 getrennten Sitzungen, um eine Überschreitung der Grenzdosis des Lokalanästhetikums zu vermeiden.
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Chirurgisches Verfahren
Vor der Unterkiefer-OP wurden in 2 Sitzungen die harten und weichen Zahnbeläge entfernt und der Patient erhielt adäquate Mundhygieneinstruktionen. Die Entfernung der Unterkiefer- Restzähne fand unter Lokalanästhesie und intravenöser Sedierung (Midazolam®) sowie unter prolongierter antibiotischer Prophylaxe (Amoxicillin 1.000 mg, 3 x 1) statt. Die Zähne 33 und 43 wurden zur Bisslagebestimmung noch vorläufig belassen (Abb. 6). Nach Hebung eines Vollschichtlappens und der Nivellierung des Kieferkammes (Abb. 7) wurden 4 BLX-Implantate (Durchmessers 4,5 mm), inseriert, wobei die distalen Implantate regio 35 und 45 im 30°-Winkel zur Kauebene unter Umgehung der Foramina mentale eingebracht wurden (Abb. 8 und 9). Das Eindrehmoment lag zwischen 40 und 60 Ncm. Die Implantate wurden mit Screw-retained-Abutments (SRA‘s) versorgt (O°, 30°) (Abb. 10). Dr. Lehner u. ZTM Donhauser
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Nach dem Wundverschluss folgten die Abdrucknahme (Impregum® 3M Espe, Löffel: Miratray®) (Abb. 11) und Bissregistrierung (individuelle Bissschablone, Occufast®, Zhermak). Abschließend wurden die Zähne 33 und 43 extrahiert. Das aus Kaltpolymerisat hergestellte und mit Glasfaser verstärkte Langzeitprovisorium (Abb. 12) wurde nach ca. 3 Stunden eingegliedert (Abb. 13). Zum Zeitpunkt der Nahtentfernung nach einer Woche zeigte sich eine weit fortgeschrittene Heilung. Dr. Lehner u. ZTM Donhauser
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Der Patient tolerierte den 1. Eingriff sehr gut, sodass ca. 5 Wochen nach der Implantation im Unterkiefer die Versorgung des Oberkiefers vorgenommen werden konnte. Im gleichen Modus (Antibiose, Lokalanästhesie, i.v.-Sedierung) beließ man, wie bereits im Unterkiefer, zunächst die Zähne 13 und 23 zur Orientierung zur Bisslagebestimmung. In den Regionen 15, 12, 22 und 25 wurden BLX®-Implantate (Durchmesser 4,5 mm) eingebracht sowie mit SRA‘s (30°, 17°) versorgt (Abb. 14 bis 17). Ein Fenestrationsdefekt regio 12 wurde mit Knochenersatzmaterial augmentiert. Das Eindrehmoment betrug zwischen 30 und 50 Ncm bei vorliegendem D3-Knochen. In gleicher Weise wie im Unterkiefer erfolgte die Versorgung des Oberkiefers (Abb. 18 und 19). Abschließend wurde die Entfernung des Zahnes 28 durch Osteotomie vorgenommen. Dabei trat eine Mund-Antrum-Verbindung auf. Dr. Lehner u. ZTM Donhauser
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Prothetisches Verfahren und Ergebnis
Nach ca. 5 Monaten fand eine röntgenologische Kontrolle der Osseointegration (Abb. 20 und 21) statt. Es wurde eine erneute Abdrucknahme mit Verblockung der Abdruckpfosten vorgenommen (Pattern Resin®, GC). Nach einer Ästhetikeinprobe folgte die finale Versorgung mit einem individuell mit PMMA verblendeten gefrästen Gerüst (Abb. 22 bis 24). Dr. Lehner u. ZTM Donhauser
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Der Patient zeigte sowohl während der provisorischen Phase als auch im Recall ein hohes Maß an Compliance und Motivation. Die gingivalen Verhältnisse waren zu jedem Zeitpunkt reizlos (Abb. 25 bis 27). Dr. Lehner u. ZTM Donhauser
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Diskussion
Die Sofortimplantation mit Sofortbelastung ist ein mittlerweile evidenzbasiertes Konzept und birgt ein großes Potenzial in Bezug auf die Wiederherstellung der oralen Lebensqualität in einem äußerst kurzen Zeitraum [11]. Das Vertrauen des Behandlers in das gewählte Implantatsystem ist bei dieser Versorgungsart entscheidend [12,13]. Während die Immediate- Konzepte und das BLX-Implantat stark beschleunigte Abläufe ermöglichen, muss nach Meinung der Autoren umso mehr Zeit in den Aufbau einer stabilen Arzt-Patienten-Bindung investiert werden, die es dem Behandlerteam ermöglicht, die richtigen Entscheidungen im Sinne des Patienten zu treffen. Das wechselseitige Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist die Basis einer langfristig erfolgreichen Therapie, die unter den geschilderten besonderen Umständen des Patientenfalls gelungen schien. Der hochzufriedene Patient bewies im Anschluss an die Implantation, dass das in ihn gesetzte Vertrauen zu jedem Zeitpunkt gerechtfertigt war.
Hier finden Sie den Abrechnungstipp auf diesen Fallbericht
Näheres zu den Autoren des Fachbeitrages: Dr. Jonas Lehner, ZTM Eberhard DonhauserBildquellen sofern nicht anders deklariert: Unternehmen, Quelle oder Autor/-in des Artikels
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