Gingivitis und Parodontitis, die zusammen den weit überwiegenden Anteil der parodontalen Erkrankungen ausmachen, haben eine entzündliche Genese und entstehen infolge komplexer Interaktionen zwischen einem polymikrobiellen Biofilm und der Immunantwort des Wirtes. Als sogenannter Goldstandard der Therapie gilt das regelmäßige Biofilmmanagement mit dem Ziel, Menge und Zusammensetzung des Biofilmes auf einem Niveau zu halten, bei dem die Homöostase zwischen bakterieller Belastung und Immunantwort erhalten bleibt und keine inflammatorische Reaktion mit nachfolgendem Verlust an parodontalen Geweben eintritt [4].
Diese Homöostase zwischen dem im gingivalen Sulkus stets vorhandenen Biofilm und einem begrenzten Infiltrat aus polymorphkernigen neutrophilen Granulozyten (PMN) als Ausdruck einer immunologischen Kontrolle ist zur Grundlage für die histologische Definition der parodontalen Gesundheit geworden [1]. Die Grundlage des Biofilmmanagements stellt immer das mechanische Débridement der Wurzeloberflächen dar, gleichgültig ob es mit Handinstrumenten, Schall- oder Ultraschallinstrumenten oder mithilfe von Luft-Pulver-Wasserstrahlgeräten ausgeführt wird. Ungünstige anatomische Situationen wie sehr hohe Sondierungstiefen, schwer zugängliche Furkationsbereiche und Approximalräume, Wurzeleinziehungen und Stellungsanomalien der Zähne schränken den klinischen Erfolg der mechanischen Therapie ein. In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe von ergänzenden Behandlungsansätzen wie die Gabe von systemischen oder lokalen Antibiotika oder der Einsatz von verschiedenen Lasern (Erbium-, Dioden-, Nd:YAG-Laser) und der photodynamischen Therapie (aPDT) entwickelt und ihre Effektivität zur Verbesserung der Ergebnisse der nichtchirurgischen parodontalen Behandlung untersucht [5]. Der begrenzte Effekt dieser Methoden, die nach wie vor hohe Prävalenz parodontaler Erkrankungen [6] und der Wunsch nach ergänzenden präventiven Ansätzen begründen die Suche nach zusätzlichen biologischen Prinzipien, die zur Aufrechterhaltung der parodontalen Homöostase nutzbar gemacht werden könnten.
Parodontopathogene Keime im Bioflim
Die Mundhöhle des Menschen wird von einer Vielzahl bakterieller Spezies besiedelt. Je nach Untersuchungsmethode und Taxonomie variiert die Zahl der angegebenen unterschiedlichen Spezies zwischen 700 [2] und bis zu 19.000 [3]. Über einige wenige Spezies aus diesem breiten Spektrum liegt eine Vielzahl von Untersuchungen vor, in denen Zusammenhänge zwischen dem Vorkommen dieser Keime im Biofilm und dem Auftreten einer Parodontitis und pathogenetische Mechanismen, die diese Zusammenhänge erläutern und begründen, dargestellt werden [7,8,9]. Parodontale Entzündungsreaktionen sind einerseits Konsequenz einer Dysbiose im Biofilm, die durch zahlenmäßige Zunahme der Mikroorganismen, eine veränderte Zusammensetzung der kommensalen Keime und das gehäufte Auftreten pathogener Spezies charakterisiert wird. Andererseits begünstigt die entzündliche Immunantwort die Entstehung und Existenz eines dysbiotischen Biofilms [10,11]. In zahlreichen Untersuchungen werden Wirkungen der sogenannten „Markerkeime“ wie Porphyromonas gingivalis (P.g.), Treponema denticola (T.d.), Tannerella forsythia (T.f.) und Aggregatibacter actinomycetemcomitans (A.a.) über die lokale Rolle als bedeutsamer ätiologischer Faktor für die Entstehung parodontaler Entzündungen hinaus auf systemische Erkrankungen wie z. B. Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen beschrieben [12]. Dies macht die Entwicklung effizienter Strategien gegen parodontalpathogene Keime umso wichtiger. Der Einsatz von Antibiotika sollte wegen der weltweiten Zunahme von Resistenzen, auch schon gegen parodontalpathogene Spezies [13,14], und des aufgrund der Rekolonisierung der parodontalen Taschen ohnehin zeitlich begrenzten Therapieeffekts kritisch abgewogen werden.
Vor diesem Hintergrund ist das Interesse an einer „Biotherapie“ [15] zur Beeinflussung der Komposition von Biofilmen zu sehen. Als Entdecker und Begründer der Idee, das humane Mikrobiom durch Zufuhr einzelner Spezies in Richtung einer verbesserten Homöostase mit verschiedenen Organen zu beeinflussen, gilt Elie Metchnikoff, der schon 1907 die positive Wirkung von Laktobazillen aus fermentierten Milchprodukten beschrieb [16]. Die Anwendung von Probiotika, definiert als lebende Mikroorganismen, die in adäquater Menge zugeführt die Wirtsgesundheit verbessern [15], ist zur Modulation der intestinalen und vaginalen Flora schon länger bekannt [17,18].
Die stabilisierende Wirkung kommensaler Keime auf das orale Mikrobiom wird seit Jahren diskutiert [19,20,21]. So konnten Hillman und Shivers schon 1988 in gnotobiotischen Ratten zeigen, dass die Vermehrung von Aggregatibacter actinomycetemcomitans (A.a.) durch Streptococcus sanguinis gehemmt werden kann. Diese Beobachtung wurde durch Teughels und Mitarbeiter [22] sowohl für S. sanguinis als auch für S. mitis und S. salivarius in vitro bestätigt. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse und der Überprüfung der gleichen kommensalen Keime an Beagle- Hunden wurde das Prinzip der „Guided Periodontal Pocket Recolonization“ formuliert: Nach mechanischer Biofilmreduktion kann die Ansiedlung und Vermehrung parodontal pathogener Mikroorganismen durch gesteuerte Besiedlung der frei gewordenen ökologischen Nischen mit Kommensalen verzögert werden [23]. Als Folge der verzögerten Rekolonisierung mit Pathogenen wurde die signifikant bessere Ausheilung von artifiziell geschaffenen Knochendefekten nachgewiesen [24].
Die Wirkweise probiotischer Mikroorganismen
Für eine Reihe von Mikroorganismen wurden mögliche probiotische Effekte in der Mundhöhle untersucht, für Laktobazillen – besonders Lactobacillus reuteri, L. acidophilus, L. casei, L. paracasei, L. rhamnosus –, Streptokokken wie Streptococcus salivarius und Bifidobakterien [15]. Als mögliche biologische Mechanismen der probiotischen Wirkung in der Mundhöhle werden der Antagonismus zu pathogenen Keimen und die Aggregation mit vorhandenen oralen Keimen erwähnt [25,26]. Dies kann zu einer Modulation des oralen Biofilms mit einer Reduktion der Zahl pathogener Mikroorganismen führen. L. reuteri produziert sowohl im Biofilm als auch als planktonisch vorkommender Keim das sogenannte Reuterin, das unter anderem das Wachstum von gramnegativen Erregern hemmt [27]. Die Aggregation von pathogenen Keimen und deren Kommunikation im Biofilm (Quorumsensing) kann durch die Anlagerung von probiotischen Bakterien behindert werden [28]. Die Adhäsion von Probiotika an die Mundschleimhaut stört die Anlagerung von pathogenen Organismen [29].
Darüber hinaus besteht eine Interaktion mit oralen Epithelien, die zu einer Verbesserung der epithelialen Barrierefunktion [10] und der Immunantwort führt [12,15]. Zusätzlich zu den dargestellten lokalen Effekten ist eine Immunmodulation durch Probiotika bekannt, die sich in der erhöhten Produktion von antiinflammatorischen Zytokinen und der Aktivierung von regulatorischen T-Helfer-Zellen ausdrückt [31,32].
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Vielfältige Studienergebnisse
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Die klinischen Resultate der bisher publizierten randomisierten und kontrollierten Studien sind unter anderem in den Meta- Analysen von Gruner et al. [39], Martin-Cabezas et al. [40] und Ikram et al. [41] zusammengefasst. In diesen wird die positive Wirkung der Probiotika als Ergänzung zur konventionellen nichtchirurgischen Parodontitistherapie bestätigt. Ikram et al. [41] errechneten zum Beispiel auf der Basis von drei randomisierten klinischen Studien mit der immer noch recht geringen Gesamtzahl von 46 Probanden eine zusätzliche Reduktion der Sondierungstiefen von 0,66 mm. Dieser Effekt wäre, wenn man zum Vergleich die Effektgrößen anderer adjuvanter Therapieverfahren aus der Meta-Analyse von Smiley et al. [5] heranzieht, größer als der allerdings an einer weitaus größeren Probandenzahl belegte Einfluss einer systemischen Antibiose (rST = 0,35 mm; n = 1086). Ein direkter Vergleich eines probiotischen mit einem antibiotischen Therapieansatz (L. rhamnosus für 3 Monate vs. 500 mg/d Azithromycin für 5 Tage, zusätzlich zu mechanischem Débridement) ist in der kürzlich erschienenen Arbeit von Morales et al. [42] dokumentiert: Die Probanden in beiden Testgruppen zeigten ähnliche Ergebnisse bezüglich der Veränderung der klinischen und mikrobiologischen Parameter und unterschieden sich statistisch signifikant nur von der Kontrollgruppe, in der ein Placebo verordnet wurde.
Die Interpretation der Ergebnisse in den Reviews wird unter anderem durch unterschiedliche Dosierungen der Probiotika und uneinheitliche Krankheitsdefinitionen erschwert. Aus der Zusammenfassung der vorhandenen Arbeiten lässt sich noch keine ideale Dosierung und Anwendungsdauer begründen* [41].
Hinweise zum Einfluss der Probiotika auf Entzündungsmarker finden sich in den Arbeiten von ?nce et al. [34] und Szkaradkiewicz et al. [44]. ?nce und Mitarbeiter untersuchten zusätzlich zu klinischen Parametern die Konzentration der Matrix-Metalloproteinase 8 (MMP-8), die eine bedeutsame Rolle im durch Entzündungsmediatoren gesteuerten Kollagenabbau hat, und des diese regulierenden Tissue Inhibitors (TIMP). Eine signifikante zusätzliche Reduktion der MMP-8 in der Sulkusflüssigkeit und ein Anstieg der Konzentration der TIMP in der Testgruppe war bis zu 180 Tage nach Therapiebeginn nachweisbar, nach 360 Tagen war dieser Effekt nicht mehr feststellbar. Szkaradkiewicz et al. [44] beobachteten eine zusätzliche Reduktion der proinflammatorischen Zytokine Interleukin 1? (IL-1?), Interleukin 17 (IL-17) und des Tumornekrosefaktors ? (TNF-?) nach Gabe von Probiotika in der Testgruppe.
Ein möglicher präventiver Effekt der Probiotika wurde in der in 2017 erschienenen Studie von Kuru und Mitarbeitern untersucht: Nach Gabe eines Probiotikums (Joghurt mit Bifidobacterium animales subsp. Lactis, z.B. ACTIVIA) oder eines Placebos über 28 Tage wurde durch eine fünftägige Zahnputzkarenz eine experimentelle Gingivitis initiiert. ZMK
ZMK
In der Testgruppe kam es zu einer signifikant geringeren Plaqueakkumulation und zu signifikant niedrigen Werten für die Entzündungsparameter Gingiva-Index, Bleeding on Probing (BoP), Fließrate des Sulkusfluids und Konzentration von IL-1? im Sulkusfluid [45]. Ein ähnliches Studiendesign wählten Slawik und Mitarbeiter (2011): Nach einer 4-wöchigen Nahrungsergänzung mit einem probiotischen Milchdrink (z. B. Actimel oder Yakult® mit L. casei) folgte eine Unterbrechung des Zähneputzens für 14 Tage. Die Entzündungsparameter BoP und Sulkusfließrate stiegen in der Testgruppe signifikant weniger an als in der Kontrollgruppe. Eine signifikante Verbesserung des Plaque- Indexes und der Sondierungsblutung (BoP) nach Gabe von L. reuteri wurde ebenfalls in einer Untersuchung an 80 Gingivitispatienten mit kontrolliertem Diabetes Typ 2 gesehen [47]. Da ein nicht oder schlecht kontrollierter Diabetes Typ 2 zu den Risikofaktoren für fortschreitende parodontale Destruktion gezählt wird [48], sind mögliche Wirkungen von Probiotika bei Diabetikern auch in der Zahnheilkunde von besonderem Interesse. Erste Untersuchungen zeigen unter anderem eine verbesserte Sensitivität gegenüber Insulin nach einer Kur mit Probiotika [49,50]. Von daher dürften kontrollierte klinische Studien, in denen der adjuvante Einsatz von Probiotika in der systematischen Parodontitistherapie bei Diabetikern evaluiert wird, in Zukunft von besonderem Interesse sein.
Ausblick
Auf der Grundlage der aus den vorliegenden Studien vorhandenen Evidenz erscheinen Probiotika als eine sinnvolle Ergänzung zur rein mechanischen Biofilmkontrolle in der parodontalen Prävention und Therapie. Problematische Begleiteffekte wie die Ausbildung von Resistenzen gegenüber Antibiotika sind zurzeit nicht bekannt. Im Vergleich zu anderen unterstützenden Maßnahmen wie dem Einsatz von Lasern oder der photodynamischen Therapie ist der Aufwand relativ gering. Da die Parodontitis eine chronische Erkrankung darstellt und nach jeder Intervention zur Beeinflussung besonders des subgingivalen Biofilms eine Rekolonisierung der parodontalen Tasche zu erwarten ist, wären kontrollierte Studien mit Langzeitbeobachtungen von Patienten in der unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) notwendig. Dabei interessiert zum Beispiel eine evidenzbasierte Antwort auf die Frage, wie oft die Gabe von Probiotika zur Aufrechterhaltung des Therapieerfolges wiederholt werden sollte.
* Laut aktueller Herstellerinformation (Sunstar Deutschland GmbH) wird bei einer fortgeschrittenen Parodontitis die Gabe von 2 Lutschtabletten pro Tag für mindestens 4 Wochen (empfohlen: 12 Wochen) und bei initialer und moderater Parodontitis für mindestens 2 Wochen (empfohlen: 8 Wochen) angegeben [43].
Die Literaturliste steht als PDF (unten) zum Download zur Verfügung.
Näheres zu den Autoren des Fachbeitrages: Prof. Dr. Peter Hahner, Prof. Dr. Georg GaßmannBildquellen sofern nicht anders deklariert: Unternehmen, Quelle oder Autor/-in des Artikels
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