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Allgemeine Zahnheilkunde

Quantitative Messung zum Nachweis von Quecksilberdampf bei der Entfernung und Bearbeitung von Amalgamfüllungen

Die gesundheitliche Belastung durch Inhalation von Quecksilberdämpfen gilt als allgemein bekannt, in Tierversuchen konnten zudem teratogene Effekte nachgewiesen werden. Besonders vor dem Hintergrund zunehmender Feminisierung der Zahnmedizin ist es daher sehr wichtig, dass sich Kolleginnen im Umgang mit Amalgam schützen, denn als Selbstständige arbeiten sie nicht selten noch bis kurz vor der Entbindung. Das Ziel der nachfolgend beschriebenen quantitativen Messung zum Nachweis von Quecksilberdampf war es herauszufinden, ob eine Entfernung oder Bearbeitung von Amalgamfüllungen für Behandelnde und Patienten/-innen bedenkenlos möglich oder mit Risiken verbunden ist.

. Dr. H. W. Bertelsen
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Dentalamalgam stellt eine der Hauptquellen für die Belastung mit anorganischem Quecksilber dar [1]. Nach einem Beschluss der Europäischen Kommission wird die Verwendung von Amalgam ab 2025 verboten [2]. Die Entfernung von Amalgamfüllungen gehört zu den alltäglichen Routinemaßnahmen in der zahnärztlichen Praxis.

Die Dauer, der für die Entfernung einer vorhandenen Amalgamfüllung benötigten Zeit ist unterschiedlich und hängt in erster Linie von der Anzahl der Flächen, also der Größe der vorhandenen Füllung ab. Ist für die Entfernung einer kleinen, einflächigen Füllung nur ein minimaler Zeitrahmen von einigen Sekunden nötig, bedarf es zur restlosen Entfernung bei großen, sogenannten mehrflächigen Füllungen auch mehrerer Minuten. Während für die Verwendung des Dentalwerkstoffs Amalgam klare Einschränkungen formuliert wurden, existieren für die Entfernung bestehender Amalgamrestaurationen lediglich unscharf formulierte Empfehlungen, mit deren Hilfe das Risiko einer gesundheitlichen Belastung der Patienten/-innen durch eine Entfernung vermieden werden soll.

Bei der zahnärztlichen Behandlung von Frauen „sollen bestehende Amalgamfüllungen während der Schwangerschaft und Stillzeit nicht entfernt werden, sofern keine dringende zahnärztliche Indikation dazu besteht. Bei dringlicher zahnmedizinischer Indikation können jedoch einzelne Füllungen mit schonender Technik entfernt werden [3].“ Zur neuerlichen Untersuchung der Quecksilberbelastung der Behandelnden und Patienten wurden nun in meiner Zahnarztpraxis in Kooperation mit Prof. Dr.-Ing. Martin Garbrecht von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg umfangreiche Messungen durchgeführt.

Methode

Abb. 1: Dräger-Kurzzeitröhrchen bestätigen die mit
dem Hg-Spektrometer gemessene Quecksilberkonzentration
von mehr als 330 μg/m3 im Messvolumen. Dr. H. W. Bertelsen
Abb. 1: Dräger-Kurzzeitröhrchen bestätigen die mit dem Hg-Spektrometer gemessene Quecksilberkonzentration von mehr als 330 μg/m3 im Messvolumen.
Quantitative Bestimmung der Konzentrationen von Quecksilberdampf bei der Entfernung und Bearbeitung von Amalgamfüllungen in der zahnärztlichen Routine bei definiertem Volumen (45 l) mithilfe einer NIST(National Institute of Standards and Technology)- kalibrierten Hg-Dampf-Spektrometrie (Jerome J505, Arizona Instruments LCC/Grimm Aerosoltechnik GmbH, Aining) in Kombination mit indikativer Messung (Dräger-Kurzzeitröhrchen, Drägerwerk AG & Co. KGaA, Lübeck) (Abb. 1). Es wurden mehrere Wiederholmessungen an unterschiedlichen Amalgamfüllungen mit und ohne Absaugung durchgeführt.

Ergebnisse

Abb. 2: Das Quecksilber-Spektrometer zeigt kurz nach der Touchierung der Amalgamfüllung
Quecksilberkonzentrationen an, die den MAK-Wert von Quecksilber
um ein vielfaches übersteigen. Dr. H. W. Bertelsen
Abb. 2: Das Quecksilber-Spektrometer zeigt kurz nach der Touchierung der Amalgamfüllung Quecksilberkonzentrationen an, die den MAK-Wert von Quecksilber um ein vielfaches übersteigen.
Nach Touchierung einer Amalgamfüllung mit dem Bohrer (rotes Winkelstück, 50.000 min-1, EKR von Komet: H40 314 012) startet unmittelbar die Emission von Quecksilberdampf, die auch nach einer Unterbrechung des Bearbeitungsvorganges in hoher Intensität minutenlang bestehen bleibt. Die dabei ermittelten Konzentrationen von Quecksilberdampf übertrafen die zulässige maximale Arbeitskonzentration (MAK) bis zum 100-fachen MAK-Wert (Abb. 2).

Auch bei Einsatz der Absaugung wurde der MAK-Wert von 20 μg/m3 deutlich überschritten. Damit wird die OSHA PEL (zulässige Expositionsgrenze) [4] ebenfalls weit überschritten. Die Ergebnisse bestätigen vollumfänglich die Untersuchungen von Warwick und Young [5].

Diskussion

Die gesundheitsschädliche Wirkung von Hg-Dämpfen ist bekannt. Auch teratogene Effekte sind im Tierversuch beschrieben [4]. Im Gegensatz zum oral aufgenommenen Quecksilber, bei dem lediglich 0,01% der verschluckten Menge vom Körper aufgenommen werden, werden bei der Inhalation von Hg-Dämpfen bis zu 80% resorbiert [4]. Zahnärztliche Schutzmaßnahmen für Patienten/-innen (z.B. Kofferdam-Technik) schützen nicht vor der inhalativen Belastung durch entstehende Hg-Dämpfe.

Ein Teil der Emissionsfahne wird, bedingt durch Verwirbelungen mit Spraykühlung, in die für Personal und Patienten/-innen für die Inhalation relevanten Umgebungsbereiche transportiert. Eine Entfernung von Amalgamfüllungen wird von vielen Patienten/-innen gewünscht und angestrebt.

Nicht nur bei bestehendem Kinderwunsch wird z.B. von vielen Krankenkassen sogar eine Entfernung von Amalgamfüllungen ausdrücklich empfohlen. Auch veranlassen Tumorpatienten/-innen sehr häufig im Rahmen eines falsch verstandenen Wunsches nach „Entgiftung“ die Entfernung ihrer noch intakten Amalgamfüllungen.

Dabei werden sie überflüssigen inhalativen toxischen Belastungen ausgesetzt und geraten häufig ungewollt in die Fänge der Scharlatanerie. So sind amalgamgefüllte Zähne oftmals Basis dubioser Entgiftungsbehandlungen („Detox“) mit Spirulina-Algen, „Homöopathie“ u.a., für die bis dato keinerlei Wirksamkeit nachgewiesen wurden.

Sowohl im Fall eines Kinderwunsches als auch im Rahmen einer Tumorbehandlung überwiegen somit nachweislich die Gefahren einer Amalgamentfernung aufgrund nicht abschätzbarer Risiken durch die Inhalation von Quecksilberdämpfen. Aufgrund einer fehlenden Plazentaschranke [8] gilt für Patientinnen in der frühen Schwangerschaft (3. bis 10. SSW): Findet das Herausbohren im Zeitraum der teratogenetischen Determinationsperiode statt, so können teratogene oder embryotoxische Effekte, z.B. Ausbildung einer Lippen- Kiefer-Gaumenspalte, nicht sicher ausgeschlossen werden. Weder Blut- noch Speichel- oder Urintestungen sind geeignet, um die Belastungen durch inhalative toxische Peaks nachzuweisen, da sie in der Regel mit großem zeitlichem Abstand zu zahnärztlichen Behandlungen erfolgen und somit eher dazu beitragen, die potenziellen Gefahren inhalativer Risiken zu verschleiern.

Risikominimierung – Konsequenzen für Patientinnen 

Weil die inhalative Resorptionsrate nachweislich sehr hoch ist und keine Plazentaschranke für Quecksilber und pharmakodynamische Effekte während einer möglichen Frühschwangerschaft existiert [8], sollte zur Vermeidung von Belastungen durch Quecksilberdämpfe bei der Behandlung von Schmerzpatientinnen mit unklarer Schwangerschaftsanamnese sowie bei stillenden Müttern wegen der möglichen Übertragung zum Säugling auf die Trepanation amalgamgefüllter Zähne stets verzichtet und stattdessen besser eine Dekapitation des schmerzenden Zahnes durchgeführt werden. Quecksilberdampf, der die Plazentaschranke passiert, kann in den fötalen Blutkreislauf gelangen. Bei schwedischen Frauen (n = 119) wurde eine Korrelation zwischen der Zahl der Amalgamfüllungen und dem Gehalt an anorganischem Quecksilber in der Plazenta nachgewiesen [6].

Die Konzentration in der Plazenta lag um etwa das 3-Fache höher als im mütterlichen Blut. Kinder mit amalgamgefüllten Milchzähnen sollten bei akuten Schmerzen keinesfalls Trepanationsbohrungen ausgesetzt werden, weil sie sonst wegen ihres höheren Verhältnisses von Lungenoberfläche zum Körpergewicht sowie eines höheren Minutenvolumens einer höheren Dosis von Quecksilber ausgesetzt sind.

Risikominimierung – Konsequenzen für den Arbeitsschutz Anglen und Gruninger berichten von erhöhten Gesundheitsrisiken (Infertilität, Neuropathien, Psyche) im Zusammenhang mit Quecksilberamalgam für Arbeitende im zahnärztlichen Umfeld [7]. Um Mitarbeiter/-innen vor den Quecksilberdämpfen zu schützen, sollten zahnärztliche Arbeiten an amalgamgefüllten Zähnen (Trepanationen, Präparationen, Amalgamentfernungen) daher ausschließlich unter den Kautelen eines konsequenten Atemschutzes erfolgen (z.B. A1HgP3 von 3M).

Quellen:

[1] https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/thema-chemikalien/publikationenchemikalien/publikationen-chemikalien/verwendung-entsorgung-umwelteintraegequecksilber. [2] https://germany.representation.ec.europa.eu/news/giftiges-quecksilber-eu-kommissionverbietetverwendung-von-zahn-amalgam-ab-2025-2023-07-14_de [3] https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/UmweltKommission/Archiv/Amalgam_Stellungnahme.pdf?__blob=publicationFile [4] https://wwwn.cdc.gov/TSP/MMG/MMGDetails.aspx?mmgid=106&toxid=24 [5] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6637613/ [6] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1240842/ [7] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26314975/ [8] https://www.zm-online.de/artikel/2023/zm-2023-06/zahnaerztliche-pharmakotherapie-inder-Schwangerschaft

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