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Die Daten der ABPARO-Studie konnten jüngst unter Anwendung der aktuellen Klassifikation erneut ausgewertet werden. Im Gespräch erläutern Prof. Dr. Benjamin Ehmke und Dr. Inga Harks die Zielsetzung der ABPARO-Studie und ihrer Neuauswertung im Jahr 2023. Sie erklären, welche Schlussfolgerungen sich daraus für die Leitlinien ergeben und warum Antibiotika in der Parodontitistherapie kein „doppelter Boden“ sein dürfen.
ZMK:
In der ABPARO-Studie haben Sie vor 10 Jahren die langfristigen Auswirkungen einer begleitenden systemischen Antibiotikagabe auf das Fortschreiten der Parodontitis untersucht. Die prospektive, randomisierte, stratifizierte und doppelverblindete Studie mit über 400 Probanden an acht deutschen Universitätskliniken war mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Was war der Anlass für diese Untersuchung?
Dr. Harks:
Der Hintergrund war, dass frühere Reviews, veröffentlicht durch die EFP [European Federation of Periodontology] und die AAP [American Academy of Periodontology], bereits Hinweise auf einen positiven Effekt einer adjuvanten systemischen Antibiotikatherapie zur nicht chirurgischen Parodontitistherapie zeigten. Jedoch war unklar, in welchem Ausmaß und ab welchem Erkrankungsgrad es einen Effekt gibt.
Zudem wurde in den Reviews bemängelt, dass viele der älteren Studien nicht plazebokontrolliert waren, zu kurz liefen oder das primäre Outcome kein wahrer Zielparameter war, sondern ein Surrogatparameter. Aus einer Vorarbeit unseres Hauses ergab sich zudem die Vermutung, dass Patienten mit vielen tiefen Taschen stärker von einer adjuvanten Antibiose profitieren könnten als leicht Erkrankte. Die Motivation, diese Studie aufzuziehen lag darin, die methodischen Schwächen, die in den Reviews bemängelt und als Grund gesehen worden waren, die Validität vorhandener Daten anzuzweifeln, zu vermeiden und die Ergebnisse unserer
Prof. Ehmke:
Unsere Voruntersuchungen zeigten, dass vor allem Patienten mit Taschen über 6 mm Tiefe von einer adjuvanten Antibiotikatherapie profitieren. Bei 4–6 mm Taschentiefe war der Effekt dagegen sehr gering. Ziel der ABPARO-Studie war es daher, diesen Unterschied zu quantifizieren, damit wir sehen können, welche Patienten profitieren und welche nicht. Damit wollten wir eine Grundlage schaffen für einen gezielteren und sparsameren Einsatz von Antibiotika in der täglichen Routine.
ZMK:
Sie haben in der ABPARO-Studie als primären Endpunkt den prozentualen Anteil der Stellen gewählt, die nach 27,5 Monaten Nachbeobachtungszeit einen weiteren Attachmentverlust von mindestens 1,3 mm aufwiesen. Warum gerade dieser Parameter?
Prof. Ehmke:
Der Attachmentverlust ist ein sogenannter „true parameter“, also ein echter klinischer Zielparameter, weil er von allen Parametern derjenige ist, der am stärksten mit dem Zahnverlust assoziiert ist. Letztlich geht es in der Parodontitistherapie ja darum, dass Zähne länger im Mund verweilen, und die Antibiotikagabe soll dieses Ziel unterstützen. Zahnverlust selbst als Endpunkt zu wählen, wäre zu ungenau, da er auch durch andere Faktoren bedingt sein kann. Der parodontale Attachmentverlust hingegen entsteht spezifisch durch Parodontitis.
Warum 1,3 mm? Nach einer Parodontitistherapie beobachtet man im Mittel einen Attachmentgewinn von rund 1,3 mm – und wenn das als klinisch relevant gilt, dann ist ein Verlust in gleicher Höhe ebenso klinisch relevant. Deshalb haben wir diesen Wert genommen. Subanalysen unserer Daten mit 2 mm als Schwelle führten zu vergleichbaren Ergebnissen.
ZMK:
Sie stellen das Studienergebnis in der Veröffentlichung von Harks (2015) wie folgt dar: Beide Therapieformen – subgingivale Instrumentierung mit und ohne adjuvante Antibiose – sind effektiv; ein kleiner signifikanter Vorteil besteht für die adjuvante Antibiotikagabe hinsichtlich der Vermeidung neuer Attachmentverluste. Ein klarer Vorteil der Antibiotikagruppe zeigt sich hinsichtlich der Reduktion tiefer Taschen. In der Diskussion stellen Sie fest, dass der Outcome immer hinsichtlich des Parodontitisrisikos des Probanden gesehen werden sollte („risk-related approach“). Erleichtert die neue Klassifikation der Parodontitis von 2018 die Einschätzung dieses Risikos?
Prof. Ehmke:
Frühere Klassifikationen stellen den Erkrankungsgrad nicht in Relation zum Lebensalter. Danach erhielten ein 35-Jähriger und ein 85-Jähriger mit identischen Befunden dieselbe Therapieempfehlung, obwohl der jeweilige Krankheitsverlauf völlig unterschiedlich war. Der jüngere Patient hatte eine höhere Prädisposition als der ältere. Im ungünstigsten Fall wurde der Jüngere defizitär und der Ältere überversorgt.
Auf diesem Unterschied basiert die Idee des Risk-related-Approach, die wir in der ABPARO-Studie diskutiert haben. Wir konnten in einer Subanalyse unserer Studie zeigen, dass die jüngeren Patienten von der Antibiotikatherapie stärker profitieren als ältere. Diagnostiziert nach der neuen Klassifikation sind es die Patienten ab Paro-Stadium 3, Grad C, die stärker profitieren. Entscheidend für den Grad C ist die Relation Knochenverlust zum Lebensalter und darin ist der Faktor Risiko/Prädisposition enthalten. Hier passt die Klassifikation sehr gut. Letztlich ist in der Arbeit von Eickholz und Kollegen von 2023
ZMK:
Das Ergebnis der ABPARO-Studie floss in das Review von Teughels et al. (2020) zur Vorbereitung der S3-Leitlinie „Die Behandlung von Parodontitis Stadium I bis III“ ein. Es konnte bereits in diesem Review gezeigt werden, dass bei tiefen Taschen ein hoher Benefit der systemischen Antibiotikagabe besteht. Trotzdem wurde lediglich eine offene Empfehlung bezogen auf bestimmte Patientengruppen (z.B. generalisierte Parodontitis Stadium III bei jungen Erwachsenen) in die Leitlinie aufgenommen. Waren Sie denn damit einverstanden, dass es nur diese offene Empfehlung gab?
Prof. Ehmke:
Ja, das ist nachvollziehbar. Wegen der zunehmenden Resistenzproblematik ist man bei nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen wie der Parodontitis zu Recht zurückhaltend mit klaren Antibiotikaempfehlungen.
Dr. Harks:
Unsere Studie umfasst fast so viele Probanden wie alle übrigen Arbeiten im Review von Teughels zusammen. Dennoch ist es wissenschaftlich sinnvoll, sich nicht auf eine einzelne große Studie zu stützen. Zwei oder drei Untersuchungen vergleichbarer Größe auf gleichem Niveau würden die Evidenz deutlich stärken. Solange das nicht der Fall ist, ist eine offene Empfehlung der richtige Weg.
ZMK:
Was war der Anlass, die Daten unter Anwendung der aktuellen Klassifikation von 2018 erneut auszuwerten?
Dr. Harks:
Es war uns wichtig zu zeigen, dass man die Daten, die wir nach der alten Klassifikation ausgewertet hatten, auch auf der neuen bespielen und die Ergebnisse sogar noch besser darstellen kann. Die Neuauswertung war auch eine Chance, die Relevanz der Studie in die nächste Epoche weiterzutragen.
Prof. Ehmke:
Genau. Der Vorteil war, dass wir unsere Hypothese, dass schwer erkrankte Patienten stärker von der adjuvanten Antibiose profitieren, durch die neue Klassifikation erneut bestätigen konnten. Die Arbeit von Prof. Eickholz zeigte, dass Patienten mit Stadium 3, Grad C, in der Testgruppe mit Antibiose nach zwei Jahren signifikant weniger Attachmentverluste aufwiesen als Patienten der Plazebogruppe. Möglich war das durch das Studiendesign: Wir hatten bewusst viele Parameter erhoben und die Patienten stratifiziert – also die Gruppen hinsichtlich Schweregrad und Raucherstatus balanciert. Dadurch konnten wir die Daten auf die neue Klassifikation übertragen.
ZMK:
Wie groß ist der klinische Nutzen für diese Patientengruppe?
Prof. Ehmke:
Wir definierten klinische Relevanz als 50% weniger Attachmentverluste in der Testgruppe gegenüber der Kontrollgruppe. Bei Stadium 3, Grad C, lagen die Verlustraten ohne Antibiose bei 9,7%, mit Antibiose bei 4,7%. Das entspricht dieser Schwelle. Wir konnten den Anteil der Attachmentverluste also halbieren. In den wenigen Studien, die es zu unserer Fragestellung weltweit gibt, werden stets Progredienzraten von ca. 30% berichtet. D.h. 30% der Patienten haben unter Therapie weiterhin Attachment-Verluste. Wir hatten bei den Schwersterkrankten 12% als maximalen Wert für weiteren Attachmentverlust in der Plazebogruppe. Das war für uns überraschend und zeigt, dass unsere nicht chirurgische Therapie allein bereits hoch wirksam war.
ZMK:
Sollte die Leitlinie künftig eine spezifische Empfehlung für eine adjuvante systemische Antibiotikagabe bei bestimmten Patientengruppen aussprechen?
Prof. Ehmke:
Ich denke, wir sollten bei einer offenen Empfehlung bleiben. Eine pauschale Vorgabe, bei Stadium 3, Grad C, grundsätzlich Antibiotika zu geben, hielte ich für falsch. Sinnvoll wäre, den Indikationsrahmen zu beschreiben – etwa „bei schwer erkrankten Patienten mit zahlreichen tiefen Taschen (z. B. Stadium 3, Grad C oder Stadium 4)“ –, um eine Orientierung zu geben, ohne den Einsatz zu verallgemeinern.
Dr. Harks:
Ich habe das Gefühl, manche betrachten ein Antibiotikum noch immer als eine Art „doppelten Boden“ in dem Sinn: Wenn die nicht chirurgische Therapie nicht optimal war, kompensiert das Antibiotikum eventuelle Defizite. Dieses Denken ist gefährlich. Eine positive Empfehlung muss immer sehr genau benannt werden, damit Antibiotika nicht wieder zu großzügig eingesetzt werden.
Prof. Ehmke:
In einer aktuellen Arbeit, die wir 2024 im „Microbiome“, 2024, veröffentlichen konnten, zeigte sich beispielsweise, dass Rauchen einen deutlich größeren Einfluss auf künftige Attachmentverluste hat als die Antibiose. Ein Rauchstopp wäre demnach effektiver als eine Antibiotikatherapie. Dann würde der Patient weniger Attachment-Verluste zukünftig bekommen, auch wenn er kein Antibiotikum erhalten würde.
Meiner Meinung nach muss es in der Parodontologie in Zukunft noch stärker darum gehen, die Risikofaktoren unserer Patienten, also Rauchen und Diabetes, zu minimieren. Dann wären wir Zahnärzte auch Lifestyle-Berater. Parodontale Gesundheit ist ein Langstreckenlauf: Es kommt nicht darauf an, ob man einmal eine Woche Antibiotika nimmt. Dann ist für die nächsten 25 Jahre noch lange nicht alles gut. Man darf sich nicht auf nur einen Faktor fokussieren. Eine Woche Antibiose entspricht vielleicht einem Paar guter Schuhe, die ich mir für den Lauf kaufe. Ob ich aber am Ziel ankomme, liegt an vielen weiteren Parametern.
ZMK:
Welche Botschaft möchten Sie den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen mitgeben?
Dr. Harks:
Es lohnt sich, Zeit in die nicht chirurgische Therapie zu investieren. Wenn die Befunderhebung sorgfältig erfolgt, so dass man möglichst detailliert weiß, wie der Patient erkrankt ist, dann hat man eine gute Basis für die Zukunft gelegt.
Prof. Ehmke:
Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Unsere Antibiotikatherapie war rational, also ohne vorherige Keimbestimmung, und dennoch erfolgreich. Eine routinemäßige mikrobiologische Testung ist derzeit nicht notwendig. Zwar untersuchen wir das orale Mikrobiom weiter, aktuell gibt es aber noch keine klinisch relevanten Routinetests.
Es reicht außerdem nicht aus, die Therapie effektiv zu beginnen. Bereits bei Einleitung der Therapie muss sichergestellt werden, dass eine regelmäßige Nachsorge gewährleistet ist. Auch das war eine Säule der ABPARO-Studie: Die Patienten kamen alle drei Monate zur Nachsorge. Dabei sollte man, wie gesagt, auch den Lebensstil berücksichtigen. Beispielsweise muss man bei einem Diabetiker überprüfen, ob die Werte in Ordnung sind, und ihn bei Bedarf an einen Internisten oder Diabetologen überweisen. Bei Rauchern sollte etwas mehr Druck ausgeübt werden, damit sie sich einem professionellen Entwöhnungskonzept anschließen.
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