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Im Rahmen der Pressekonferenz des Gemeinschaftskongresses (Abb. 1) standen zentrale Themen im Fokus, die die moderne Zahnmedizin derzeit bewegen – darunter orale Medizin, komplexer Zahnerhalt sowie KI und Digitalisierung.
DGZMK/Marc-Steffen UngererDer 4. Gemeinschaftskongress stellte ein herausragendes Ereignis in der deutschen Zahnmedizin dar: Er war die erste Veranstaltung dieser Art seit zehn Jahren, erreichte eine beeindruckende Größe und fachliche Breite, die sich aus den Programmen der deutschen zahnmedizinischen Fachgesellschaften und Arbeitskreise ergab, und vereinte Wissenschaft und Standespolitik zur wichtigsten Jahresveranstaltung am selben Ort. Die Idee zu diesem 4. Gemeinschaftskongress stammte von Prof. Dr. Roland Frankenberger, dem für sein Engagement als ehemaliger Präsident der DGZMK sowie für seine Verdienste um diesen Kongress im Rahmen der Eröffnung die Goldene Ehrennadel der DGZMK verliehen wurde.
Über 30 zahnmedizinische Fachgesellschaften, Arbeitskreise und Arbeitsgemeinschaften aus nahezu allen Bereichen der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde präsentierten aktuelle Forschungsergebnisse und diskutierten deren Bedeutung für Diagnostik, Therapie und Prävention. Doch nicht nur der Austausch der zahnmedizinischen Disziplinen stand im Fokus – etwa in disziplinübergreifenden und kontroversen Falldarstellungen – sondern auch die enge Verbindung zur Allgemeinmedizin. „Die Forschung zeigt immer deutlicher, dass wir die sogenannte Zahnmedizin neu denken und eigentlich von Oralmedizin sprechen sollten“, sagte Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang, Präsident der DGZMK. „Die Mundhöhle ist kein isoliertes System, sondern steht in enger Wechselwirkung mit der allgemeinen Gesundheit. Entzündliche Prozesse im Mund können systemische Erkrankungen beeinflussen – und umgekehrt.“
Der Gemeinschaftskongress trug diesem Verständnis Rechnung, indem er den Dialog zwischen Wissenschaft, Klinik und Praxis förderte. „Unser Ziel ist es, die Zusammenhänge zwischen oraler und systemischer Gesundheit besser zu verstehen, Synergien zwischen den Disziplinen zu nutzen und Patientinnen und Patienten ganzheitlich zu versorgen“, so Wiltfang. Beispielhaft wurde dies auf der Pressekonferenz anhand des Zusammenhangs von Diabetes und Parodontitis, die die Entzündung als gemeinsame Schnittstelle verbindet, aufgezeigt.
Diabetes und Parodontitis: Wo Medizin und Zahnmedizin enger zusammenarbeiten sollten
Diabetes mellitus und Parodontitis, zwei der häufigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland, stehen in enger Wechselwirkung – darauf wiesen Prof. Dr. Henrik Dommisch, Direktor der Abteilung für Parodontologie, Oralmedizin und Oralchirurgie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, und Prof. Dr. Knut Mai, Direktor der Klinik für Endokrinologie, Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin an der Charité, hin (Abb. 2, 3).
DGZMK/Marc-Steffen Ungerer
DGZMK/Marc-Steffen UngererUnbehandelte Parodontitis und schlecht eingestellter Diabetes beeinflussen sich wechselseitig negativ, während erfolgreiche Therapien Verbesserungen in beide Richtungen bewirken: Wird die Entzündung durch eine Parodontitistherapie zurückgedrängt, verbessert sich der Blutzuckerspiegel nachweislich; der HbA1c-Wert sinkt bei Menschen mit Diabetes mellitus im Schnitt um 0,3 bis 0,6 %. Umgekehrt unterscheidet sich der parodontale Zustand bei gut eingestelltem Diabetes mellitus nicht von dem gesunder Personen. Zudem verlieren Diabetespatientinnen und -patienten mit guter glykämischer Kontrolle seltener Zähne als jene mit dauerhaft erhöhten Blutzuckerwerten.
Um die interdisziplinäre Zusammenarbeit wissenschaftlich zu verankern, wurde 2024 die gemeinsame Leitlinie „Diabetes und Parodontitis“ [1] unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO), der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der DGZMK veröffentlicht. Sie enthält Empfehlungen für beide Professionen.
Allerdings bestehen weiterhin praktische Hürden: Zwischen Medizin und Zahnmedizin gibt es bislang keine etablierte Überweisungskultur und keinen kassenrechtlich verankerten Prozess. Zudem sollten bestehende Regulierungen in der Zahnmedizin abgebaut werden – so der Tenor der abschließenden Podiumsdiskussion des Gemeinschaftskongresses am Folgetag. Beispielsweise sollte es möglich sein, Diabetes-Schnelltests in der Zahnarztpraxis durchzuführen und abzurechnen.
DMS 6: Wie verändert sich der Behandlungsbedarf?
Wie wird sich der Behandlungsbedarf in deutschen Zahnarztpraxen verändern? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch die Pressekonferenz und zahlreiche Fachvorträge. Die aktuelle 6. Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS 6) [2] zeigt, dass die meisten Kinder und Jugendlichen heute kariesfreie Gebisse haben und immer mehr Patientinnen und Patienten ihre natürlichen Zähne bis ins höhere Lebensalter behalten. So besitzt die Gruppe der jüngeren Seniorinnen und Senioren (65- bis 74-Jährige) heute durchschnittlich fast 19 funktionstüchtige Zähne gegenüber 13,6 im Jahr 2005.
Allerdings, so Prof. Dr. Rainer Jordan, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ), hat dieser Erfolg auch eine Kehrseite: „Die Behandlungslast verschiebt sich ins höhere Lebensalter“ und dies sei verbunden mit einem deutlich höheren Behandlungsaufwand. Die Zahnarztpraxis müsse sich auf eine wachsende Gruppe älterer, multimorbider Patientinnen und Patienten einstellen. Gerade die Wurzelkaries werde künftig häufiger zu sehen sein: 20,4 % der freiliegenden Wurzelflächen in der Gruppe der 65- bis 74-Jährigen sind davon betroffen (zum Vergleich: 8,3 % bei den 35- bis 44-Jährigen). Der Trend zum festsitzenden Zahnersatz, den die DMS 6 auch zeigt, sei nicht nur positiv zu bewerten, da die Pflege solcher Versorgungen oft aufwendiger sei als die herausnehmbarer Prothesen.
Auch die Krankheitslast durch Parodontitis bleibt hoch: In der Gruppe der 65- bis 74-Jährigen weisen laut DMS 6-Daten 52,7 % eine Parodontalerkrankung der Stadien III und IV auf [2]. Bisherige Maßnahmen scheinen nicht auszureichen, um die Erkrankung einzudämmen. Nach Hochrechnungen von Prof. Thomas Kocher (Greifswald) leiden 15 bis 20 Millionen Deutsche an einer schweren Parodontitis.
Prof. Kocher und Prof. Jordan, die sich am Veranstaltungssamstag zu einer Podiumsdiskussion trafen, sehen Handlungsbedarf – die genaue Richtung sei aber noch offen. Sinnvoll erscheine es, die Prävention auf jüngere Altersgruppen (20–35 Jahre) zu fokussieren und die Interdentalpflege stärker in der Prophylaxe zu verankern. Aufgabe der Politik wäre es zudem, über eine Zuckersteuer nachzudenken, um den Zuckerkonsum als Faktor systemischer Entzündungen zu senken. Die Forderung aus der Praxis: Die Budgetierung der PAR-Leistungen müsse aufgehoben werden.
Digitalisierung: Deutungshoheit behalten!
Parallel zu den wissenschaftlichen Entwicklungen verändert die fortschreitende Digitalisierung die Zahnmedizin grundlegend. Sie prägt Diagnostik, Planung und Therapie und war Bestandteil zahlreicher Fachprogramme des Gemeinschaftskongresses – unter anderem bei der Deutschen Gesellschaft für computergestützte Zahnheilkunde (DGCZ), im Arbeitskreis Artificial Intelligence in Dental Medicine (AKAIDM) und in interdisziplinären Falldiskussionen.
„Der digitale Workflow erlaubt es, Datensätze aus verschiedenen Quellen zu verknüpfen und so Diagnostik und Therapieplanung auf ein neues Niveau zu heben“, erklärte Prof. Dr. Dr. Peter Proff, Präsident elect der DGZMK und Fachzahnarzt für Kieferorthopädie (Abb. 4). „Das steigert nicht nur die Präzision, sondern auch die Effizienz und Wirtschaftlichkeit.“ Proff betonte, dass KI-basierte Standards in der Zahnmedizin nicht ausbleiben werden, die Zahnärzteschaft jedoch die Deutungshoheit über die Diagnostik behalten müsse. Klinische Erfahrung bleibe weiterhin ein hohes Gut.
DGZMK/Marc-Steffen UngererQuellen:
Pressemitteilungen der DGZMK/Podiumsdiskussion am 31.10.2025 im Rahmen des 4. Gemeinschaftskongresses
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