Man kann eine Sache immer aus ganz verschiedenen Perspektiven betrachten. Steuerberater/-innen sehen in erster Linie Zahlen in BWAs, Rechtsanwälte/-innen die Paragrafen in Verträgen sowie mögliche, darin enthaltene Fallstricke, Standesvertreter/-innen QM-Ordner und Abrechnungsbestimmungen, während Verkäufer/-innen niemals ihre Provision aus den Augen lassen. All das und noch ein wenig mehr sollten Sie im Hinterkopf behalten, wenn Sie daran denken, detailliert und sorgfältig Ihre eigene Praxis zu gründen. Der Schritt in die Selbstständigkeit ist ohne Frage ein großer, der Veränderungen im Leben und einiges an Arbeit mit sich bringt. Der Weg wird umso einfacher, je klarer das Ziel vor Ihnen liegt. Denn mit einem konkreten Bild der eigenen Zahnarztpraxis erhalten Sie auf dem Weg nicht nur jede Menge Rückenwind, sondern es entsteht ein starker Sog, der vieles einfacher macht. Ihre ganze Energie ist auf das definierte Ziel ausgerichtet und Ihre Handlungen bekommen eine klare Struktur. Um die eigene Praxis so zu planen, dass sie Ihr Ergebnis und nicht das Ihrer Berater/-innen wird, gibt es allerdings so manches zu beachten.
Auf die richtige Zielformulierung kommt es an
Ohne Ziele kommt man weder beruflich noch privat vorwärts. Allerdings müssen Ziele realistisch sein. Es gibt Ziele, die zu groß sind, um sie selbst zu erreichen, und manchmal erfordern Ziele zusätzliche Fähigkeiten oder Kenntnisse. Einige Ziele wiederum kann man nur erreichen, wenn Freunde, Bekannte oder die Familie mit eingebunden werden. Das wichtigste Kriterium für eine Zielformulierung besteht darin, dass diese positiv ist. Dies ist sicherlich keine Neuigkeit und kann in vielen Publikationen nachgelesen werden. Aber die positive Formulierung allein reicht nicht aus.
Was benötigen Sie darüber hinaus für eine präzise Zieldefinition, damit sich diese für Sie in einen mächtigen Sog verwandelt? Dazu gibt es verschiedene kleine Schritte und eine Reihe von Fragen, die anfangs etwas ungewohnt erscheinen mögen, bei mehrfacher Wiederholung und Beantwortung jedoch eine außerordentliche Wirkung entfalten. Es ist wichtig zu verstehen, dass Entscheidungen für die eigene Praxis – egal ob es sich um eine Übernahme oder eine Neugründung handelt – geistige Klarheit und Souveränität voraussetzen. Das heißt, dass die Entscheidungen, die Sie treffen müssen, aus Ihrem eigenen Inneren kommen und nicht von irgendwelchen Beratern wie auch immer gelenkt werden. Je stärker Ihre innere Überzeugung ist, dass es für Ihre eigene Zahnarztpraxis nur den Erfolg gibt, desto schneller und sicherer wird sich dieser Erfolg einstellen. Je stärker Sie an dieser inneren Einstellung arbeiten, all Ihre Gedanken darauf ausrichten, umso stärker sind der Rückenwind und die Geschwindigkeit, mit der Sie Ihr Ziel verwirklichen.
Was ist das eigentliche Ziel?
Für den beschriebenen Prozess ist es wichtig, dass Sie für sich zunächst die Frage beantworten, was eigentlich die Ziele bezogen auf Ihre eigene Praxis sind. Für welchen Zweck möchten Sie eine eigene Praxis gründen und was ist die Absicht? Möchten Sie einfach nur weg aus dem Angestelltenverhältnis, weil Sie dabei zu vielen Zwängen unterworfen sind, keine wirkliche therapeutische Freiheit haben, Ihnen das Mitspracherecht bei der Auswahl der Mitarbeiter/-innen fehlt oder Ihre fachlichen Fähigkeiten nicht ausreichend gewürdigt werden? Vielleicht sind es ja auch die mittel- und langfristigen finanziellen Bedingungen, die Sie dazu veranlassen, eine eigene Zahnarztpraxis zu gründen.
Diese Formulierungen wären ein „weg von“, kein „hin zu“ und eine gleichzeitige Fokussierung auf bisherige Probleme und nicht darauf, was Sie tatsächlich wollen. Das könnte beispielsweise eine eigene Zahnarztpraxis mit völliger therapeutischer Freiheit sein, in der Sie all Ihre bisher erworbenen fachlichen Fähigkeiten zum Wohl der Patienten/-innen einsetzen können. Dies verwirklichen Sie gemeinsam mit einem hochprofessionellen Team unter entspannten Bedingungen für Patienten/-innen und Mitarbeiter/-innen – vom ersten Kontakt über die einzelnen Behandlungsschritte hinweg bis hin zum regelmäßigen Recall.
Bleiben wir als Beispiel bei diesem Ziel. Jede Zahnärztin, jeder Zahnarzt versteht unter therapeutischer Freiheit und kompetenter, entspannter Patientenbehandlung sowie einem hoch professionellen Team und begeisterten Patienten/-innen etwas anderes.
- Was genau bedeutet für Sie „therapeutische Freiheit“?
- Wenn Sie an Ihre fachlichen Fähigkeiten denken, worin genau bestehen diese?
- Welche verschiedenen Fortbildungen haben Sie bereits besucht, um eben diese Fähigkeiten weiter zu verfeinern?
- Wie können Sie Ihr bisheriges Wissen nutzen, um darauf aufbauend noch besser zu werden?
- Welche Weiterbildungen sind darüber hinaus noch notwendig und warum genau?
- Wie können therapeutische Freiheit und fachliche Kompetenz zu einer entspannten Patientenbehandlung beitragen?
- Was fehlt bisher noch, um jede Behandlung genau so entspannt und kompetent durchzuführen, wie es Ihren Vorstellungen entspricht?
- Was genau bedeutet für Sie kompetente und entspannte Patientenbehandlung?
- Woran können Sie sinnlich konkret erkennen, dass Patienten/-innen während Ihrer Behandlung entspannt sind? Was hören, sehen, fühlen Sie und welches Feedback erhalten Sie von Patienten/-innen?
- Wie sehen Sie sich selbst, wenn Sie Patienten/-innen entspannt und kompetent behandeln? Wie genau agieren Sie währenddessen, welche Interaktionen sehen und hören Sie in Bezug auf Ihre Stuhlassistenz und die Patienten/-innen?
- Was genau müssten Sie in den Behandlungsabläufen darüber hinaus ändern oder ergänzen, um die Behandlung für die Patienten/-innen, die Stuhlassistenz und für sich selbst noch entspannter ablaufen zu lassen?
- Welche Mitglieder benötigen Sie in einem professionellen Team, mit dem Sie entspannt zusammenarbeiten können?
- Was sollten die wichtigsten fachlichen und kommunikativen Fähigkeiten der einzelnen Teammitglieder sein?
- Was sehen, hören und empfinden Sie konkret, wenn Sie in Ihrer Vorstellung mit Ihrem Team in Ihrer zukünftigen Praxis arbeiten? Was kann dabei noch verbessert werden, und welche realen Möglichkeiten haben Sie, um notwendige Veränderungen durchzuführen?
Dies sind nur ein paar wenige Fragen, um zu verstehen, was es heißt, das oben genannte Ziel positiv zu formulieren. Um über weitere grundlegende Entwürfe Ihrer zukünftigen Praxis nachzudenken, nehmen Sie sich ein Stück Papier, ausreichend Ruhe und Zeit und schreiben die Antworten für sich auf. Wiederholen Sie das Ganze ein paar Tage später und lassen Sie sich überraschen, was sich in Ihren Antworten verändert hat.
Starke und wirkungsvolle Ziele benötigen mehr als eine positive Formulierung
Gegebenenfalls kommt bei Ihnen jetzt der Gedanke auf, dass Ihnen die Bemerkung „positive Zielformulierung“ bereits aus anderen Publikationen und Seminaren bekannt ist. Allerdings ist dies nur der Anfang, und es bedarf weiterer wichtiger Punkte für eine erfolgreiche Zielformulierung. In diesem Fall die Frage, wen Sie zur Erreichung Ihres Zieles „therapeutische Freiheit und kompetente, entspannte Patientenbehandlung sowie ein hoch professionelles Team und begeisterte Patienten/-innen“ benötigen. Gehen Sie in Ihrer Vorstellung in die Zielvorstellung und fragen Sie sich, wer dafür verantwortlich ist, dieses Ziel zu erreichen. Sie selbst, Ihre Teammitglieder oder Ihre Patienten/-innen?
- Wie verhält es sich mit den Teammitgliedern, um entspannt und kompetent Patienten/-innen zu behandeln? Wie können diese Sie dabei unterstützen?
- Was genau hören, sehen und fühlen Sie, wenn Sie sich vor Ihrem geistigen Auge vorstellen, wie Ihre Teammitglieder zum Erfolg und der Erreichung des Zieles beitragen? Was fehlt noch in dieser Situation, und wie können Sie Ihr Team dabei unterstützen, zusätzliche Fähigkeiten zu erwerben?
- Über welches Wissen verfügen Sie bereits, um ein hochprofessionelles Team für Ihre Praxis zusammenzustellen, und wo können Sie weiteres, wirklich fundiertes Wissen dazu erwerben?
- Was benötigen Ihre Patienten/-innen, um von einer kompetenten und entspannten Behandlung begeistert zu sein?
- Wie können Sie Informationen generieren, um die Wünsche Ihrer Patienten/-innen noch besser kennenzulernen? Durch eine Umfrage, durch professionelle Kommunikation vor, während und nach der Behandlung oder durch Informationen, die Sie von Ihren Teammitgliedern erhalten?
- Was konkret braucht es von Seiten Ihres Labors, um Ihr gestecktes Ziel zu erreichen? Was genau können Sie unternehmen, um auch von dieser Seite die notwendige Unterstützung zu erhalten?
- Welche Berater/-innen benötigen Sie, um Ihr Ziel zu verwirklichen? Können Sie diesen Beratern/-innen vertrauen? Woher wissen Sie das? Haben die Berater/-innen die notwendige Kompetenz und das ausreichende Wissen, um tatsächlich zu verstehen, was genau Ihr Ziel ist und wie Sie es umsetzen möchten?
Die bisher angesprochenen Punkte sind jedoch noch nicht alles, was Sie benötigen, um nicht nur ein verlockendes Ziel zu formulieren, sondern auch, um dieses zu erreichen. Weder Sie noch Ihre Teammitglieder und Ihre Patienten/-innen sind isoliert in der Welt unterwegs, sondern Sie alle sind eingebunden in soziale Strukturen und haben dementsprechend Beziehungen zu einer Vielzahl von Menschen. Diese Menschen beeinflussen das Leben der genannten Personen, ihre Gefühle und Befindlichkeiten. Deshalb müssen Sie auch darüber reflektieren, welche Folgen Ihr formuliertes Ziel für Ihr Umfeld hat.
- Was bedeutet es für meinen Mann, meine Frau, meine Familie, wenn ich eine Zahnarztpraxis gründe? Welchen Einfluss hat dies auf unser Familienleben, die Freizeitgestaltung und die häuslichen Verpflichtungen?
- Welche Auswirkungen wird bereits die Planungs- und Umsetzungsphase für meine Familie haben und welche notwendigen Anpassungen muss ich vornehmen, um eine gute Balance halten zu können?
- Was verändert sich in Bezug auf meine persönlichen Kontakte, meine Freunde und Bekannten sowie auf meine (möglichen) Mitgliedschaften in Vereinen (Sport u.Ä.)?
Dies sind lediglich einige Fragen, wenn es um die Praxisgründung geht, da in diesem Fall noch keine Teammitglieder oder Patienten/-innen eingebunden sind, wie dies beispielsweise in einer laufenden Zahnarztpraxis der Fall ist, die strukturelle Veränderungen durchführen möchte. In solch einem Fall müsste man Patienten/-innen und Teammitglieder ebenfalls mit in die Betrachtung einbeziehen, da trotz eines verlockenden Zieles die Erreichung desselben scheitern kann.
Für die Zielformulierung ist neben den bereits genannten Punkten auch die Frage wichtig, welches größere Ziel Sie mit der Gründung Ihrer eigenen Praxis verfolgen. Anders formuliert: Aus welchem Grund, für welchen Zweck möchten Sie dieses Ziel erreichen und was ist das übergeordnete Ziel, worüber Sie bisher vielleicht noch nicht nachgedacht haben? Die Beantwortung dieser Frage benötigt erfahrungsgemäß etwas mehr Zeit und Kolleginnen und Kollegen in unseren Coachings entdecken hierbei immer wieder, wie viel mehr sie noch verändern möchten und welche weiteren Ziele sie erreichen wollen.
Um die Zielformulierung perfekt zu machen, sollten Sie sich die Frage stellen, woran Sie erkennen, dass Sie Ihr Ziel erreicht haben. Bei der Beantwortung dieser Frage ist es wichtig, assoziiert in den Zielzustand hineinzugehen. Wie fühlt es sich für Sie an, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben? Was können Sie sehen und hören, welche konkreten sinnlichen Empfindungen haben Sie, wenn Sie mit Ihren Patienten/-innen oder Teammitgliedern sprechen? Wie fühlt es sich an, in Ihrer eigenen Zahnarztpraxis mit therapeutischer Freiheit, kompetenter, entspannter Patientenbehandlung und einem hochprofessionellen Team zu arbeiten?
Und wie fühlt es sich an, dabei zu wissen, dass dies erst der Anfang Ihrer zahnärztlichen Karriere ist, da all die Erfahrungen, die Sie auf Ihrem bisherigen Weg gemacht haben, Ihnen weiter Möglichkeiten eröffnen werden, noch mehr zu erreichen.
Fazit
Wenn es um die Niederlassung als Zahnarzt oder Zahnärztin in eigener Praxis geht, stellen sich heute mehr Fragen als noch vor einigen Jahren. Der Konkurrenzdruck ist um ein Vielfaches größer geworden, Patienten/-innen sind besser informiert und stellen mehr Fragen, die bürokratischen Anforderungen sind immens und die Signale aus der Gesundheitspolitik deuten auf grundlegende, wenig positive Veränderungen hin. Viele junge Kolleginnen und Kollegen haben zudem eine andere Sicht auf ihre berufliche Tätigkeit, als dies noch vor Jahren der Fall war, und wünschen sich eine ausgewogene Work-Life-Balance.
Das und einige andere wichtige Kriterien erfordern deshalb, dass man die eigene Niederlassung in weiten Teilen viel detaillierter und präziser planen, seine eigenen Ziele diesbezüglich sorgfältiger herausarbeiten muss. Mit dem beschriebenen Zielfindungsprozess gelingt dies auf elegante Weise und es entsteht die notwendige Strukturierung aller wichtigen Schritte. Dabei sind die beispielhaft aufgeführten Fragen nur ein erster Einstieg und eröffnen gleichzeitig ein Universum aus weiteren Fragen, die zu klaren Antworten und neuen Verknüpfungen führen.
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