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Implantologie

Implantate im wachsenden Kiefer nach traumatischem Zahnverlust oder bei Nichtanlagen

Bei Nichtanlagen oder nach einem Zahnverlust bei Kindern und Jugendlichen haben zum Teil konventionelle Versorgungen Nachteile und mögliche negative Folgen für die dentale und psychosoziale Entwicklung der jungen Patienten. Ein Problem stellt unter anderem ein Knochenverlust in der betroffenen Region dar. Mit einer frühzeitigen Implantation kann zwar Knochen erhalten werden, es bestehen aber ebenfalls Risiken. Anhand von zahlreichen Studien zeigt der Autor in zwei Teilen ein Therapiekonzept auf, mit dem ein gutes Behandlungsergebnis erzielt werden kann.

© Dr. Tetsch Dr. Tetsch
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Primäre oder sekundäre traumatische Zahnverluste (Abb. 1 und 2) sind bei Kindern und Jugendlichen neben Zahnaplasien und kariösen Läsionen die häufigsten Ursachen für fehlende Zähne [2]. 5,5% der Bevölkerung sind von Zahnaplasien betroffen, die solitär (Abb. 3a–b) oder multipel (Abb. 4a–b), asymmetrisch oder symmetrisch, mit oder ohne Persistenz von Milchzähnen ausfallen können (Abb. 4c–f). Die morphologischen Voraussetzungen bei Nichtanlagen sind meistens monokortikale, gratartige, knöcherne Strukturen mit dünner Gingiva, da der Alveolarfortsatz durch das Wachsen der bleibenden Zähne zur Okklusionsebene ausgeprägt wird und dieser Wachstumsreiz fehlt (Abb. 4g–h).

Abb. 1: Primärer Zahnverlust nach Frontzahntrauma. Dr. Tetsch
Abb. 1: Primärer Zahnverlust nach Frontzahntrauma.
Abb. 2: Sekundärer Zahnverlust nach früherem Frontzahntrauma und interner Resorption. Dr. Tetsch
Abb. 2: Sekundärer Zahnverlust nach früherem Frontzahntrauma und interner Resorption.
Abb. 3a u. b: Solitäre Nichtanlagen der oberen seitlichen Schneidezähne. Dr. Tetsch
Abb. 3a u. b: Solitäre Nichtanlagen der oberen seitlichen Schneidezähne.
Abb. 4a u. b: Multiple Nichtanlagen mit persistierenden, nicht erhaltungswürdigen Milchzähnen. Dr. Tetsch
Abb. 4a u. b: Multiple Nichtanlagen mit persistierenden, nicht erhaltungswürdigen Milchzähnen.
Abb. 4c–f: Multiple asymmetrische Nichtanlagen mit persistierenden Nichtanlagen in regulärer Okklusion (45) und Infraokklusion (35). Dr. Tetsch
Abb. 4c–f: Multiple asymmetrische Nichtanlagen mit persistierenden Nichtanlagen in regulärer Okklusion (45) und Infraokklusion (35).
Abb. 4g u. h: Monokortikale gratartige Ausprägung des Alveolarfortsatzes. Dr. Tetsch
Abb. 4g u. h: Monokortikale gratartige Ausprägung des Alveolarfortsatzes.

Von einem Frontzahntrauma sind 20% der Mädchen und 30% der Jungen im Alter von 7 bis 14 Jahren betroffen [9]. Entsprechend dem Grad der Fraktur führt nicht jedes Trauma zu einem Zahnverlust und die Zähne können entsprechend den Empfehlungen und Leitlinien durch geeignete Therapiemaßnahmen erhalten werden [16,29].

Kommt es durch ein Frontzahntrauma aber primär oder sekundär zu einem irreversiblen Zahnverlust, führen physiologische Prozesse zu einer Atrophie des betroffenen Areals. Der Zahnverlust hat morphologische Veränderungen des Alveolarfortsatzes zur Folge, die aus der lateralen und vertikalen Inaktivitätsatrophie bestehen und zusätzlich das Wachstum der Region negativ beeinflussen. Die physiologischen Prozesse nach Zahnverlust betreffen intra- und extraalveoläre Prozesse.

Die Atrophiestadien nach Zahnverlust

Akutueller als je zuvor sind die Atrophiestadien nach Cawood und Howell nach Zahnverlust. Sie zeigen den typischen Atrophieverlauf auf, der in den Stadien 1 bis 3 zunächst mit der lateralen Inaktivitätsatrophie und dem Alveolenkollaps und anschließend in den Stadien 4 und 5 mit der vertikalen Atrophie reagiert [14] (Abb. 5). Während die Alveole durch intraalveoläre Prozesse in den 5 Phasen der Knochenregeneration nach 120 Tagen maximal ausgeheilt ist [13] (Abb. 6a–c), beginnt zeitgleich mit dem Zahnverlust die Veränderung der Alveolarkammkontur (Abb. 7a–c). Diese umfasst die laterale Atrophie und kann in den ersten 3 Monaten 32% und in den ersten 6 Monaten bis zu 63% der Kieferkammbreite betragen.

Abb. 5: Einteilung der Atrophie nach Cawood/Howell (1988). Dr. Tetsch
Abb. 5: Einteilung der Atrophie nach Cawood/Howell (1988).
Abb. 6a–c: Sekundärer Zahnverlust nach Frontzahntrauma und intraalveoläre Regeneration mit Vertikalisierung des Knochens und Weichgewebes nach 6 und 12 Wochen. Dr. Tetsch
Abb. 6a–c: Sekundärer Zahnverlust nach Frontzahntrauma und intraalveoläre Regeneration mit Vertikalisierung des Knochens und Weichgewebes nach 6 und 12 Wochen.
Abb. 7a–c: Extraalveolärer Prozess mit lateraler Atrophie nach 6 und 12 Wochen. Dr. Tetsch
Abb. 7a–c: Extraalveolärer Prozess mit lateraler Atrophie nach 6 und 12 Wochen.
Abb. 8: Laterale Inaktivitätsatrophie 1 Jahr nach traumatischem Zahnverlust bei einem 12-jährigen Mädchen. Dr. Tetsch
Abb. 8: Laterale Inaktivitätsatrophie 1 Jahr nach traumatischem Zahnverlust bei einem 12-jährigen Mädchen.
Abb. 9: Laterale und vertikale Inaktivitätsatrophie bei einem 17-jährigen Mädchen 5 Jahre nach irreversiblem Frontzahntrauma der 11, 12. Dr. Tetsch
Abb. 9: Laterale und vertikale Inaktivitätsatrophie bei einem 17-jährigen Mädchen 5 Jahre nach irreversiblem Frontzahntrauma der 11, 12.

Die vertikale Atrophie kann 11 bis 22% in den ersten 6 Monaten betragen [32] (Abb. 8 u. 9). Je früher der Zahnverlust in der Wachstumsphase eintritt, umso stärker wird das fehlende kontinuierliche Wachstum der Zähne bis zur Okklusionsebene die Entwicklung des Alveolarfortsatzes beeinträchtigen. Der fehlende Wachstumsreiz lässt die Atrophie im Vergleich zu den regulär wachsenden Nachbarzähnen noch extremer erscheinen. Zahnverluste und dadurch fehlende Zähne können neben der Atrophie in der Adoleszenz weitere Probleme mit sich bringen. Die Laut- und Sprachbildung, die Ästhetik und somit die psychosoziale Entwicklung der wachsenden Patienten kann negativ beeinflusst werden.

Die verschiedenen konservativen Versorgungsmöglichkeiten wie herausnehmbarer Zahnersatz oder Adhäsivbrücken [19] ersetzen zwar die fehlenden Zähne, sind aber häufig unbefriedigend und können das Problem der fortschreitenden Atrophie durch die Funktionslosigkeit in der betroffenen Region nicht verhindern [34] (Abb. 10 u. 11). Tegumental gelagerter Zahnersatz mit Druckbelastung auf den Kieferkamm kann die Atrophie sogar beschleunigen. Beide Versorgungsmöglichkeiten sind Wachstumshemmer der Pfeilerzähne und können durch extraaxiale Hebelwirkungen als kieferorthopädische Geräte wirken und auch zu Zahnschädigungen führen (Abb. 12).

Abb. 10: Modellgussprothese mit ponticartiger Gestaltung und tegumentaler Lage zum Ersatz der Zähne 11 und 21 bei einem 15-jährigen Jungen. Dr. Tetsch
Abb. 10: Modellgussprothese mit ponticartiger Gestaltung und tegumentaler Lage zum Ersatz der Zähne 11 und 21 bei einem 15-jährigen Jungen.
Abb. 11: Einflügelige Adhäsivbrücke zum Ersatz des Zahnes 12 bei einem 15-jährigen Mädchen. Die laterale Atrophie kann nicht verhindert werden. Dr. Tetsch
Abb. 11: Einflügelige Adhäsivbrücke zum Ersatz des Zahnes 12 bei einem 15-jährigen Mädchen. Die laterale Atrophie kann nicht verhindert werden.
Abb. 12: Iatrogene Zahnschädigung durch Schmelzabtrag zur Aufnahme der Adhäsivbrücken zur Platzgewinnung, Sekundärkaries an den Klebefugen. Dr. Tetsch
Abb. 12: Iatrogene Zahnschädigung durch Schmelzabtrag zur Aufnahme der Adhäsivbrücken zur Platzgewinnung, Sekundärkaries an den Klebefugen.

Die prothetische Versorgungen

Konventionelle und implantatprothetische Versorgungen vor Abschluss des Kieferwachstums bergen Risiken, da die betroffenen Kieferabschnitte den komplexen dreidimensionalen Kiefer- und Alveolarfortsatzentwicklungen nicht folgen [2,26,27]. Daraus können erhebliche funktionelle und ästhetische Nachteile entstehen. Westwood und Duncan [43] sowie Bernard et al. [7] konnten in retrospektiven Studien in einem mehrjährigen Beobachtungszeitraum eine Infraokklusion implantatgetragener Kronen beobachten.

Das ankylotische Einwachsen von Implantaten führt im Wachstum nicht nur zu einer Infraokklusion, sondern gleichzeitig zu einer entsprechenden Auswirkung auf das Emergenzprofil des Implantates. Dies hat negative ästhetische Auswirkungen – auch, wenn die Funktion nicht zwingend nachteilig sein muss (Abb. 13, 14a–c). Zur Verhinderung der Inaktivitätsatrophie ist eine funktionelle Belastung durch eine implantatprothetische Rehabilitation sinnvoll. Bei der Implantation im Wachstum besteht die Schwierigkeit, das noch ausstehende individuelle Wachstum abzuschätzen. Die Risiken eines Misserfolges haben zu Empfehlungen geführt, erst nach dem 18. Lebensjahr zu implantieren. Einige Lehrmeinungen empfehlen eine Implantation sogar erst jenseits des 27. Lebensjahres [23,26,28]. Dem Risiko der Infraokklusion und der marginalen Problematik stehen positive morphologische und psychosoziale Aspekte einer frühzeitigen Implantation gegenüber.

Abb. 13: Infraokklusion nach Implantation im ortständigen Restknochen bei einer weiblichen Patientin alio loco im Alter von 13 Jahren – 24-Jahreskontrolle. Dr. Tetsch
Abb. 13: Infraokklusion nach Implantation im ortständigen Restknochen bei einer weiblichen Patientin alio loco im Alter von 13 Jahren – 24-Jahreskontrolle.
Abb. 14a–c: Extreme Infraokklusion nach Implantation im ortsständigen Restknochen bei einem männlichen Patienten im Alter von 12 Jahren alio loco – 16-Jahreskontrolle. Dr. Tetsch
Abb. 14a–c: Extreme Infraokklusion nach Implantation im ortsständigen Restknochen bei einem männlichen Patienten im Alter von 12 Jahren alio loco – 16-Jahreskontrolle.

Implantationszeitpunkt

Nach Untersuchungen von Björk und Skieller [8] beginnt in der frühen Kindheit das transversale Wachstum des Oberkiefers mit der Verbreiterung der Schädelbasis und dem Wachstum im Bereich der Sutura medialis. Dieser Prozess ist mit der Pubertät weitgehend abgeschlossen. Implantationen vor dem 9. Lebensjahr können zu einem Diastema führen [10,22]. Das sagittale Wachstum führt zu einer Abwärts- und Vorwärtsentwicklung des Oberkiefers und kann Fehlpositionen bereits gesetzter Implantate zur Folge haben. Das vertikale Wachstum umfasst Veränderungen der Orbita, der Kiefer- und Nasenhöhle und ist als Letztes abgeschlossen [15]. Es wird stark beeinflusst durch den genetisch festgelegten Gesichtstyp (lang oder kurz). Implantate, die vor dem Abschluss des vertikalen Wachstums inseriert werden, können sich später in der Kiefer- oder Nasenhöhle befinden [43].

Ein weiteres Problem besteht darin, dass das Wachstum in individuell sehr unterschiedlichen Phasen abläuft und durch eine kieferorthopädische Behandlung oder durch Muskelaktivitäten (z.B. Musculus masseter) beeinflusst werden kann. Während der Pubertät sind besonders starke Wachstumsschübe, die auch als Wachstumssprünge bezeichnet werden, zu erwarten. Das Alter der Patienten sollte also nicht das alleinige Kriterium für den Implantationszeitpunkt, sondern Teil einer individuellen Diagnostik sein, die das chronologische und biologische Alter, die Körpergröße des Patienten, der Eltern und Geschwister, das Wachstumspotenzial durch Wirbelkörperanalyse und Handröntgenaufnahmen sowie den Wachstumstyp und das Wachstumsmuster beinhaltet. Es bedarf einer intensiven Planung und einer interdisziplinären Zusammenarbeit, um den richtigen Implantationszeitpunkt festzulegen [24,42]. Die interdisziplinäre Therapie sollte individuell dem Patienten angepasst sein und entsprechend seinem Wachstum und biologischen Alter auch der Implantationszeitpunkt. Für die Planung und Erstellung eines Konzeptes stehen Leitlinien zur Verfügung, die die Erarbeitung des individuellen Konzeptes unterstützen.

Die implantatprothetische Versorgung bei fehlenden Zähnen nach Trauma im Wachstum ist aufgrund vieler ästhetischer Misserfolge umstritten. Durch langjährige Unwissenheit, wie das Wachstum des Mittelgesichtes abläuft und wie die beiden Parameter desmale Ossifikation der Kieferbasis und das Wachstum des Alveolarfortsatzes sich auf ein gesetztes Implantat auswirken, kam es in der Vergangenheit zu vielen Einzelfällen mit unbefriedigendem Ergebnis, die heute immer wieder als Negativbeispiel für die frühzeitige Therapie dienen. Besonders bei traumatischem Zahnverlust anders als bei multiplen Zahnaplasien [34] wird die implantatprothetische Versorgung daher meist auf das Wachstumsende verschoben.

Zur Verhinderung der Atrophie ist eine funktionelle Belastung des Knochens sinnvoll. Gleichzeitig muss aber das ausstehende Wachstum antizipiert werden, damit eine Infraokklusion und ein zu weit kraniales Durchtrittsprofil nach Wachstumsende vermieden werden können.

Bei einer frühzeitigen Implantation im Wachstum sollten verschiedene Punkte besprochen werden. Nach einer Übersichtsarbeit von Terheyden [33] wurde die Datenlage zur Wachstumsprognose des Alveolarfortsatzes in den verschiedenen Alterskategorien und die damit entstehende Infraokklusion berechnet. Während in der Alterskategorie bis zum 12. Lebensjahr das noch zu erwartende Wachstum des Alveolarfortsatzes bei Jungen zwischen 17 bis maximal 24 mm und bei Mädchen zwischen 14 und 20 mm betragen kann, reduziert sich der Wert in der Alterskategorie der Adoleszenten nach dem pubertären Wachstumsschub auf 3,1 mm im Mittelwert und 5,9 mm im Maximum.

Da das Wachstum des Alveolarfortsatzes nicht synchron zum Körperwachstum verläuft, ist auch noch Restwachstum in der Kategorie junge Erwachsene von 1,7 mm durchschnittlich und in Ausnahmefällen bei vertikalen Wachstumsmustern von bis zu 5,8 mm sogar bis zum 30. Lebensjahr möglich.

Für eine frühzeitige Therapie scheint nach einem Frontzahntrauma die Alterskategorie bis zum 12. Lebensjahr nicht empfehlenswert, da es unmöglich ist, mit einem definitiven Implantat bis zu 24 mm die vertikale Implantatposition zu antizipieren. Die Alterskategorie der Adoleszenten nach dem pubertären Wachstumsschub ist aber mit einem durchschnittlichen Restwachstum von 3,1 mm nach umfangreicher Diagnostik implantatprothetisch zur Verhinderung der Inaktivitätsatrophie zu versorgen.

Bei der Diagnostik sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:

  • Das Alter der Patienten
  • Die Region des fehlenden Zahnes
  • Die Körpergröße
  • Das Wachstumspotenzial
  • Das Wachstumsmuster und der Wachstumstyp

Ausschlaggebend sind das biologische Alter …

Bei dem Alter des Patienten differenzieren wir heute das chronologische und das biologische Alter. Beide sind in verschiedenen Phasen des Lebens häufig nicht kongruent zueinander. Das chronologische Alter wird in der Zeit bis zum 12. Lebensjahr als Kind, in der Zeit vom 12. bis 18. Lebensjahr als Adoleszenz und in der Zeit vom 18. bis 31. Lebensjahr als junger Erwachsener bezeichnet. In der Adoleszenz ist durch immer früher einsetzende Pubertät, teilweise iatrogen hormonell gesteuert, das biologische Alter dem chronologischen Alter voraus, verläuft im Erwachsenenalter kongruent und kann je nach Genen, Gesundheit, Lebenswandel, Ernährung und sportlichen Aktivitäten wieder in die eine oder andere Richtung differieren.

Für die Implantatplanung in der Adoleszenz sollte das biologische Alter ein wichtiges Entscheidungskriterium sein. Das frühzeitige Einsetzen der Pubertät sorgt ebenfalls für den frühzeitigen pubertären Wachstumsschub, der bei Mädchen heute durchschnittlich nach WHO zwischen 12 und 13 und bei Jungen zwischen 14 und 15,5 Jahren liegt (Abb. 15). Die positiven Folgen sind nur geringes körperliches Wachstum und ein geringes Restwachstum im Alveolarfortsatz, das durchschnittlich bei 3 mm liegt [33].

Abb. 15: Körperwachstumskurven nach WHO, pubertärer Wachstumsschub bei Mädchen zwischen 12 und 13 Jahren und bei Jungen zwischen 14 und 15 Jahren. Dr. Tetsch
Abb. 15: Körperwachstumskurven nach WHO, pubertärer Wachstumsschub bei Mädchen zwischen 12 und 13 Jahren und bei Jungen zwischen 14 und 15 Jahren.

Das ausstehende enchondrale Längenwachstum des Körpers kann mithilfe der Handwurzelaufnahme diagnostisch beurteilt werden. Favorisiert wird heute allerdings die Reife der Wirbelkörper im FRS. Das Wachstumsmuster und der Wachstumstyp spielen eine entscheidende Rolle bei der frühzeitigen Implantation. Es existieren 3 skelettale Wachstumsmuster: der vertikale oder dolichofaziale Typ, der horizontale oder brachiofaziale Typ und der mesiofaziale Typ als Mischform von Typ 1 und 2.

… und der Wachstumstyp

Der vertikale oder dolichofaziale Wachstumstyp ist für eine frühzeitige Implantation weniger geeignet, während der horizontale oder brachiofaziale Typ günstige Voraussetzungen bietet. Beide Typen liegen in 12,5% der europäischen Bevölkerung zugrunde und in je 2,5% in extremer Ausprägung. 75% der Bevölkerung zeigen mit dem mesiofazialen Wachstum eine Mischung aus beiden Wachstumsmustern. Zusätzlich ist das sagittale Wachstum von Bedeutung für die vestibulo-orale Implantat-Positionierung und den Implantatinsertionswinkel. Er ist selten nonsyndromal als hervorstechender Typ vorhanden, sondern ein Teil der beiden vorgenannten Wachstumstypen und bedeutet die ventrodorsale Entwicklung.

Die Wachstumstypen spielen eine wichtige Rolle bei der Modifizierung der Implantatposition im Raum. Neben den Wachstumsmustern ist die Rotation von großer Bedeutung. Die Rotation im oder gegen den Uhrzeigersinn (clockwise [cw]; counterclockwise [ccw]) bestimmt ebenfalls die vestibulo-orale Position des Implantats und den Implantatinsertionswinkel. Clockwise bedeutet eine palatinale, steile Stellung und counter-clockwise eine vestibuläre und flache Position des Implantats.

Nach einem traumatischen Zahnverlust ist bei erwachsenen Patienten im Vergleich zu adoleszenten Patienten ein absolut konträres Behandlungsprozedere als Standard festzustellen. Frühzeitige Maßnahmen wie Socket Preservation mit autologem Knochen oder Knochenersatzmaterialien, Weichgewebsmanagement mit freien oder gestielten Transplantaten sind ebenso Standardkonzepte wie Sofortimplantationen. Alle Maßnahmen dienen dazu, die Atrophie des Hart- und Weichgewebes zu vermeiden, Strukturen zu erhalten oder nach Verlust schnell zu ersetzen. Bei der Sofortimplantation steht der Strukturerhalt im Vordergrund. Durch die Sofortimplantation wird der Alveolenkollaps vermieden und die Papillen, die bei Zahnverlust noch vorhanden sind, werden über die Implantatschulter und eine intakte Knochenunterlage frühzeitig gestützt.

In derselben Indikation wird bei adoleszenten Patienten je nach Alter auf das Wachstumsende verwiesen. Ungünstige Provisorien und der funktionell nicht belastete Knochen führen in kurzer Zeit zu einem Wachstumsstillstand und einer Inaktivitätsatrophie, die immer in analoger Weise abläuft. Nach dem Zahnverlust ohne weitere Therapie erfolgt zunächst ein Wachstumsstillstand, danach der Alveolenkollaps (vgl. Abb. 7a–c, 8) in Form von lateraler Atrophie und zum Schluss die vertikale Atrophie (vgl. Abb. 9) mit Verlust von Weichgewebe und Attachment an den benachbarten Zähnen. Unbehandelt kippen die Nachbarzähne in die Lücke, Antagonisten elongieren und je nach Alter oder Wachstumsschub der durchbrechenden bleibenden Zähne erfolgt ein Mesialschub der gesamten distalen Zähne. Hieraus entstehen Asymmetrien und eventuell später funktionelle Probleme. Besonders die Eckzähne haben in der Front-Eckzahnführung eine besondere Position und Stellung und sollten nicht nur aus ästhetischer Sicht ihre genetisch festgelegte Position nicht verlassen.

Entwicklung eines Therapiekonzeptes

Mit den beschriebenen Punkten und den für die adulten Patienten geltenden Regeln nach Buser, Martin und Belser [11] wurde ein Konzept entwickelt und versucht, diese auf den adoleszenten Patienten modifiziert zu übertragen. Eine Checkliste zur Überprüfung ist geeignet.

Checkliste

  • Differenzierung zu Behandlungsbeginn – Kind/Adoleszent/Adult
  • Alter (chronologisches – biologisches)
  • Pubertät/Körpergröße/Wachstumspotenzial/Handwurzelaufnahme/ Wirbelkörperanalyse
  • Dentale Entwicklung (Wechselgebiss, abgeschlossene Dentition)
  • Skelettales Wachstumsmuster des Viscerocraniums (FRS-Analyse) o vertikales Wachstumsmuster – dolichofazial o horizontales Wachstumsmuster – brachiofazial o mesiofaziales Wachstumsmuster o sagittale Wachstumstendenz
  • Wachstumstyp o clockwise (cw) o counter-clockwise (ccw)
  • Wachstum des Alveolarfortsatzes
  • Phänotypisches Abgleichen mit Eltern/Geschwistern/Verwandten (Fotografie/metrische Analyse der Körperlänge) 

Teil 2

In seinem 2-teiligen Beitrag geht Dr. Jan Tetsch anhand von zahlreichen Studien auf ein Therapiekonzept ein bei Zahnverlust oder bei Nichtanlagen des wachsenden Kiefers. Im 1. Teil beschreibt er u.a. die Atrophiestadien nach Zahnverlust auf, den Implantationszeitpunkt, das biologische Alter sowie der Wachstumtyp – wichtige Kriterien für die Behandlung. Nachfolgend wird die Planungsphase und das operative Vorgehen aufgezeigt.

Alternative Therapien

In der Planungsphase sollten alle möglichen Alternativtherapien diskutiert werden. Nach einem Trauma steht der Erhalt des Zahnes entsprechend der AWMF-Leitlinie 083-004 im Vordergrund. Kommt es dennoch zu einem Zahnverlust, sind alle Fachdisziplinen angesprochen und Vor- und Nachteile entsprechender Konzepte müssen eruiert werden. Bei Zahnnichtanlagen gibt die AWMFLeitlinie 083-024 wichtige Hinweise, um eine Behandlungsstrategie festzulegen.

Kieferorthopädischer Lückenschluss

Der kieferorthopädische Lückenschluss sollte je nach fehlendem Zahn besprochen werden. Vorteile sind ein biologischer Zahnersatz und eine frühzeitige Therapieeinleitung. Nachteile sind die Verkleinerung des Zahnbogens, Absenken der vertikalen Kieferrelation, möglicher Verlust der Eckzahnführung bei Nichtanlagen der seitlichen Schneidezähne und entsprechender Mesialisisierung, Asymmetrien und negative Ästhetik. Spätfolgen wie CMD-Symptomatiken können die Konsequenz sein.

Prothetische Versorgung mit adhäsiven oder konventionellen Brücken

Die Kronen- oder Brückenprothetik spielt eine wichtige Rolle bei Einzelzahnlücken. Die adhäsive Befestigung erlaubt eine schnelle Therapie und einen entsprechenden Zahnersatz. Die Pfeilerzähne werden nur gering geschädigt und bei ausstehendem Restwachstum ist eine atraumatische Veränderung möglich. Ein großer Nachteil ist, dass unter dem Brückenglied der Knochen nicht funktionell belastet wird, sodass die Inaktivitätsatrophie und der damit einhergehende Verlust des Hart- und Weichgewebes mögliche Folgen sind. Frontzahntraumata und größere Lücken sind von dem Phänomen in der zeitlich bedingten Atrophie mehr betroffen als kleine Lücken. Zahnaplasien, die entwicklungsbedingt nur eine monokortikale Ausprägung des Alveolarfortsatzes mit sich bringen, zeigen keine weitere laterale Atrophie.

Zahnautotransplantate

Die Zahnautotransplantate stellen einen biologischen Zahnersatz dar. Probleme sind ein geringes Zeitfenster, da idealerweise das Wurzelwachstum bei der Transplantation nicht abgeschlossen sein sollte. Ein weiterer Nachteil dieser Therapie ist das Schaffen einer neuen Lücke, die ebenfalls versorgt werden muss. Ein kieferorthopädischer asymmetrischer einseitiger Lückenschluss sollte aufgrund der zu erwartenden negativen Folgen vermieden werden. Okklusale Probleme, CMD und ein asymmetrischer Zahnbogen können neben Zahnkippungen und Taschenbildungen die Folgen sein. Bei einer anderen prothetischen Versorgung an der Entnahmestelle müssen die Vor- und Nachteile besprochen werden.

Implantatprothetische Rehabilitation

Die implantatprothetische Rehabilitation ist in vielen Indikationen sinnvoll. Eine frühzeitige Therapieeinleitung bei den Zahnverlusten nach Traumata erhalten wie bei adulten Patienten die Hart- und Weichgewebsstrukturen, die zu einem späteren Zeitpunkt nicht ersetzt werden müssen. Die Implantatpositionierung muss unter Berücksichtigung des ausstehenden Restwachstums so erfolgen, dass nach Abschluss des Wachstums Symmetrien zum kontralateralen Zahn bestehen.

Bei den solitären Zahnaplasien sollten Wachstumsschübe kieferorthopädisch zur Verhinderung des Mesialschubes der distalen Restzähne genutzt werden (Abb. 16a–d). Ziel ist die Vorbereitung der Lücke und Verhinderung von unkontrollierten Zahnbewegungen.

Abb. 16a–d: Nutzen des Wachstumsschubes zur frühzeitigen Verhinderung der Mesialtendenz der oberen Eckzähne bei Nichtanlagen der seitlichen Schneidezähne. Dr. Tetsch
Abb. 16a–d: Nutzen des Wachstumsschubes zur frühzeitigen Verhinderung der Mesialtendenz der oberen Eckzähne bei Nichtanlagen der seitlichen Schneidezähne.

Bei multiplen Nichtanlagen ist das Ziel, eine Planung und Vorbehandlung frühzeitig einzuleiten, um ebenfalls unstrukturierte Zahnbewegungen zu verhindern, die eventuell vorhandenen Restzähne strategisch günstig zu positionieren und ein prothetisches Konzept zu entwickeln. In der provisorischen Phase kann bei Ausbleiben der tertiären Bisshebung die vertikale Kieferrelation entwickelt werden (Abb. 17a–e).

Abb. 17a–e: Patientin mit multiplen Nichtanlagen mit Fehlen der tertiären Bisshebung; Bestimmung der vertikalen Kieferrelation in der provisorischen Phase und Umsetzung in der definitiven Versorgung. Dr. Tetsch
Abb. 17a–e: Patientin mit multiplen Nichtanlagen mit Fehlen der tertiären Bisshebung; Bestimmung der vertikalen Kieferrelation in der provisorischen Phase und Umsetzung in der definitiven Versorgung.

Operatives Vorgehen

Das Konzept der prospektiven Implantation [37] wird wie folgt durchgeführt:

Bei einem irreversiblen Zahnverlust durch ein Trauma beginnt die Therapie direkt nach dem Zahnverlust, um Atrophien und unkontrollierte Zahnwanderungen zu vermeiden. Nach dem pubertären Wachstumsschub und kieferorthopädischer Vorbehandlung wird frühestens ab dem 12. Lebensjahr nach individueller und interdisziplinärer Diagnostik modifiziert implantiert. Die Implantatposition bei Adoleszenten zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr ist nicht der Implantatposition bei Erwachsenen gleichzusetzen.

Buser, Martin und Belser haben 2004 erstmals die dreidimensionale Position beschrieben und bis 2018 modifiziert [12]. Sie gilt bis heute als Standard der Implantatpositionierung in der ästhetischen Zone. Beschrieben werden die mesio-distale, die vestibulo- orale, die apiko-koronare Positionierung und der Winkel des Frontzahnimplantats bei adulten Patienten. Bei der Implantation im wachsenden Kiefer wurde in dem entwickelten Konzept versucht, die Regeln für die Implantatposition mit einigen Modifikationen auf die Adoleszenten zu übertragen. Die Position der Implantate in mesio-distaler Ausrichtung entspricht der Positionierung der Implantate wie in der 1. Regel nach Buser, Martin und Belser.

Die vestibulo-orale Positionierung muss so verändert werden, dass das Wachstumsmuster des Mittelgesichts berücksichtigt wird. Bei einem clockwise Wachstum muss die Implantatposition weiter palatinal gewählt werden, da sich das Mittelgesicht und die natürlichen Zähne im weiteren Wachstum nach palatinal entwickeln. Der Betrag ist bei jedem Patienten individuell und kann bis zu 3 mm betragen. Eine reguläre Implantatpositionierung – wie von Buser, Martin und Belser beschrieben – würde nach Abschluss des Wachstums zu einer zu weit vestibulären Position des Implantats mit entsprechenden Problemen des Emergenzprofils und der prothetischen Versorgung führen.

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Bei einem counter-clockwise Wachstum entwickelt sich das Mittelgesicht bei den Adoleszenten nach vestibulär, die Implantatposition muss dementsprechend nach vestibulär modifiziert werden. Eine Palatinalstellung des Implantats kann extreme Platzprobleme interokklusal mit sich bringen. Dies macht eine prothetische Versorgung in einem Neutralgebiss unmöglich und würde dann zwangsläufig entweder zu einer Segmentosteotomie oder Explantation führen.

Die 3. Regel von Buser, Martin und Belser betrifft die apiko-koronare Position. Auch diese Regel muss bei den Adoleszenten an das Wachstumsmuster angepasst werden. Das brachiofaziale Wachstumsmuster bedeutet die Ausbildung eines breiten Gesichts und niedrige Gesichtshöhe. Das Wachstum ist hiermit in der vertikalen Position geringer und kann der Position der Erwachsenenimplantation ähneln, wenn es sich nur in die Breite entwickelt.

Das dolichofaziale Wachstumsmuster bildet ein schmales Gesicht mit hoher Gesichtshöhe aus. Hier besteht die Gefahr einer vertikalen Fehlpositionierung, wenn die vertikale Mittelgesichtsentwicklung durch das Wachstum der vitalen bleibenden Zähne und dadurch bedingt – metrisch schwer vorhersagbar – überdimensionales vertikales Wachstum des Alveolarfortsatzes stattfindet. Das ankylotisch einwachsende Implantat nimmt am Wachstum nicht teil und hat keinen Einfluss auf das Wachstum des Alveolarfortsatzes. Mit der Insertion des Implantats ist die Position ohne chirurgische Therapien dauerhaft festgelegt. Dieser Wachstumstyp und die persistierende vertikale Position des Implantats sind das größte Problem bei der Implantation im adoleszenten Kiefer.

Die metrische Vorhersagbarkeit, um wie viele Millimeter der Alveolarfortsatz in Kombination mit dem skelettalen Wachstum der Kieferbasis Wachstumspotenzial hat, ist bis heute nicht geklärt. Nach dem pubertären Wachstumsschub beträgt es nur noch wenige Millimeter, vor dem pubertären Wachstumsschub wurden bis zu 24 mm Wachstum beschrieben. Die Implantatposition sollte möglichst weit koronal zu den Nachbarzähnen gewählt werden, wenn es die Morphologie der Nachbarzähne und augmentative Verfahren zulassen.

Als Standardimplantat hat sich ein durchmesserreduziertes, für das Areal zugelassenes Implantat bewährt. Mit dem durchmesserreduzierten Implantat kann man über individuelle Abutments das Durchtrittsprofil auch bei nicht mehr veränderlichen Implantaten steuern und der natürlichen Anatomie nachempfinden. Mit den aus der interdisziplinären Zusammenarbeit gewonnenen Informationen wird für jeden betroffenen Patienten eine individuelle Implantatposition und ein geeigneter Zeitpunkt ermittelt. Die Implantatposition sollte so gewählt werden, dass Symmetrien im Emergenzprofil und der Zahnkronen nach Abschluss des Wachstums bestehen (Abb. 18a–c und 19a–d).

Abb. 18a–c: Traumatischer irreversibler Zahnverlust 21 eines 12-jährigen Jungen; prospektive Implantation mit Modifizierung der Regel 2 und 3 nach Buser, Martin und Belser im Alter von 14 Jahren; veränderbarer Zahnersatz im Alter von 14, 16 und 20 Jahren. Dr. Tetsch
Abb. 18a–c: Traumatischer irreversibler Zahnverlust 21 eines 12-jährigen Jungen; prospektive Implantation mit Modifizierung der Regel 2 und 3 nach Buser, Martin und Belser im Alter von 14 Jahren; veränderbarer Zahnersatz im Alter von 14, 16 und 20 Jahren.
Abb. 19a–d: Traumatischer irreversibler Zahnverlust 11 eines 10-jährigen Mädchens; prospektive Implantation mit Modifizierung der Regel 2 und 3 nach Buser, Martin und Belser im Alter von 12 Jahren unter Antizipieren des Wachstums; veränderbarer Zahnersatz im Alter von 12, 18 und 24 Jahren. Dr. Tetsch
Abb. 19a–d: Traumatischer irreversibler Zahnverlust 11 eines 10-jährigen Mädchens; prospektive Implantation mit Modifizierung der Regel 2 und 3 nach Buser, Martin und Belser im Alter von 12 Jahren unter Antizipieren des Wachstums; veränderbarer Zahnersatz im Alter von 12, 18 und 24 Jahren.

Während der Wachstumsphase werden bewusst Kompromisse eingegangen und Änderungen oder Neuanfertigungen der Kronen eingeplant. 283 Patienten im Alter von 12 bis 18 Jahren (Stand 30.04.2019) wurden mit 498 Implantaten auf diese Weise im eigenen Klientel in den letzten 18 Jahren implantologisch versorgt. Bei einer umfangreichen Nachuntersuchung 2015 konnten 67 Implantate bei 46 Patienten bis zum Abschluss des Kieferwachstums untersucht und ausgewertet werden [38].

Ergebnisse

Eine fotometrische Analyse [36] erfolgte nach dem Eingliedern der Implantatkrone und zum Zeitpunkt der letzten Kontrolluntersuchung nach dem Abschluss des Kieferwachstums. Die Patientenklientel umfasste 24 weibliche und 22 männliche Patienten. Zum Zeitpunkt der Versorgung war der Altersdurchschnitt 14,8 und bei der Abschlussuntersuchung 23,3 Jahre. Betroffen waren 21 Patienten mit traumatischem Zahnverlust und 25 Patienten mit Zahnaplasien.

Die Implantatkronen in den Regionen des Zahnverlustes und die Zahnkronen der korrespondierenden natürlichen Zähne wurden im gopgiX-Programm vermessen (Abb. 20a–c). Gemessen wurden Kronenbreite und -länge und anschließend das daraus resultierende Breiten-Längen-Verhältnis errechnet (Abb. 20a). Bewährt hat sich bereits in früheren Untersuchungen auch die Kronenfläche zur Beurteilung der weißen Ästhetik (Abb. 20b). Die Abbildung 20c zeigt die Auswertung der Zahnkronenlänge, die auf der Ordinate in mm angegeben ist. Nach dem Eingliedern der Implantatkrone ist diese erheblich kürzer als die des korrespondieren Zahnes. Die Differenz der Länge erweist sich in der statistischen Analyse als hoch signifikant (p = 0,004). Bei der Abschlussuntersuchung sind nur noch geringe (nicht signifikante) Unterschiede zu erkennen.

Abb. 20a: Boxplots zur Darstellung des Breiten-Längen-Verhältnisses von Implantatkronen (rot) und korrespondierenden Zähnen (grün) zum Zeitpunkt der Eingliederung im Wachstum (W) (links) und bei der Kontrolluntersuchung nach Abschluss des Kieferwachstums. Dr. Tetsch
Abb. 20a: Boxplots zur Darstellung des Breiten-Längen-Verhältnisses von Implantatkronen (rot) und korrespondierenden Zähnen (grün) zum Zeitpunkt der Eingliederung im Wachstum (W) (links) und bei der Kontrolluntersuchung nach Abschluss des Kieferwachstums.
Abb. 20b: Vergleich der Kronenflächen der Implantatkronen (rot) und der korrespondierenden natürlichen Zähne (grün) zum Zeitpunkt der Eingliederung im Wachstum (links) und nach Abschluss des Kieferwachstums. Dr. Tetsch
Abb. 20b: Vergleich der Kronenflächen der Implantatkronen (rot) und der korrespondierenden natürlichen Zähne (grün) zum Zeitpunkt der Eingliederung im Wachstum (links) und nach Abschluss des Kieferwachstums.
Abb. 20c: Boxplots zur Darstellung des Breiten-Längen-Verhältnisses von Implantatkronen (rot) und korrespondierenden Zähnen (grün) zum Zeitpunkt der Eingliederung im Wachstum (W) (links) und bei der Kontrolluntersuchung nach Abschluss des Kieferwachstums. Dr. Tetsch
Abb. 20c: Boxplots zur Darstellung des Breiten-Längen-Verhältnisses von Implantatkronen (rot) und korrespondierenden Zähnen (grün) zum Zeitpunkt der Eingliederung im Wachstum (W) (links) und bei der Kontrolluntersuchung nach Abschluss des Kieferwachstums.

Ähnliches gilt für die Ermittlung des Breiten-Längen-Verhältnisses. Während sich die Werte nach dem Eingliedern der Implantatkrone im Wachstum signifikant unterscheiden (p = 0,006), ließen sich bei der Abschlussuntersuchung keine statistisch signifikanten Unterschiede mehr nachweisen (p = 0,146). Bei den Kronenflächen beträgt der Unterschied nach dem Eingliedern 6,2 mm2 (p = 0,003). Er liegt nach dem Abschluss des Kieferwachstums noch bei 0,8 mm2 (p = 0,573).

Aus den Abbildungen wird deutlich, dass sich ähnlich positive Ergebnisse bei dem Verlauf des Marginalsaums ergeben. Nach dem Abschluss des Kieferwachstums resultieren auch bei der Beurteilung der roten Ästhetik eine hohe Symmetrie und ein harmonisches Ergebnis.

Diskussion

Konventionelle Versorgungen nach einem Zahnverlust bei Kindern und Jugendlichen im Oberkieferfrontzahnbereich haben zum Teil gravierende Nachteile und nicht selten negative Folgen für die dentale und psychosoziale Entwicklung der jungen Patienten [2,15,39,40,41]. Ein gravierendes Problem ist der Knochenverlust in der betroffenen Region, der häufig nur mit aufwendigen augmentativen Maßnahmen behoben werden kann [29,30]. Mit einer frühzeitigen Implantation kann zwar der Knochen erhalten werden, es bestehen aber ebenfalls Risiken, da die Implantate der komplexen dreidimensionalen Kiefer- und Alveolarfortsatzentwicklung nicht folgen [25,26]. Daraus können erhebliche funktionelle und ästhetische Nachteile entstehen.

Bernard et al. [7] konnten in einer retrospektiven Studie in einem 4-jährigen Beobachtungszeitraum eine Infraokklusion implantatgetragener Frontzahnkronen beobachten. Die Überlebensrate von Implantaten, die vor dem 13. Lebensjahr inseriert wurden, lag um ca. 20% unter derjenigen der älteren Patienten [2,3,34,35]. Erschwerend kommt hinzu, dass das individuelle Wachstum nur schwer abzuschätzen ist. So kann die Mesialwanderung der Zähne bis zu 5 mm betragen [8]. Diese Risiken haben zu Empfehlungen geführt, erst nach dem 18. Lebensjahr zu implantieren [23,26,28]. Demgegenüber stehen positive morphologische und psychosoziale Aspekte einer frühzeitigen Implantation.

In der Literatur findet man zunehmend Berichte über implantatprothetische Versorgungen im Wachstumsalter. Das gilt aber überwiegend für Patienten mit einer Oligo- oder Anodontie bei Vorliegen einer ektodermalen Dysplasie oder anderen seltenen Krankheitsbildern mit vergleichbarer Problematik [1,3,5,17,18], die aber aufgrund der Ätiologie nicht auf die implantatprothetische Versorgung nach Trauma übertragbar ist. Die Datenlage ist insgesamt aufgrund der geringen Fallzahlen unbefriedigend. Nach Yap und Klineberg [44] ergab die Analyse von 12 Studien mit 471 Patienten (eine cross-sectional Studie [n = 52], 3 prospektive Fallstudien [n = 197], 6 retrospektive Fallstudien [n = 104] und 2 gemischte Studien [n = 118]) bei Patienten mit ektodermaler Dysplasie eine Überlebensrate zwischen 88,5% und 97,6% (3 Studien mit 71 Patienten) und bei Nichtanlagen anderen Ursprungs zwischen 90% und 100% (178 Patienten in 5 Studien). Dabei wurde in einer Studie (n = 13) kein Unterschied hinsichtlich des Implantatüberlebens in 3 Altersgruppen gefunden (bis 11 Jahre, 11 bis 18 Jahre, über 18 Jahre).

In einer anderen Studie (n = 51 Patienten) fanden sich signifikant höhere Verlustraten, wenn die Patienten jünger als 18 Jahre waren. Heuberer et al. [15] versorgten 18 Oligodontie-Patienten mit 71 Implantaten bei einem Durchschnittsalter von 12,5 Jahren. Sie fanden eine Überlebensrate von 89% bei einer durchschnittlichen Liegedauer von 11 Jahren. Klineberg et al. [20,21] versuchten in einer internationalen Delphi-Studie mit 11 internationalen erfahrenen Teams, einen Konsens für die Rehabilitation von Kindern mit einer ektodermalen Dysplasie zu finden. Die Behandlung mit Implantaten sollte unter ethischen Aspekten im besten Interesse der Kinder gemäß den „United Nations Convention on the Rights of the Child“ durch speziell ausgebildete und erfahrene Zahnärzte aus einem multidisziplinären Team erfolgen, das die Fachrichtungen Kinderzahnheilkunde, Kieferorthopädie, Prothetik und Kieferchirurgie umfassen sollte. Ein Konsens zu dem optimalen Patientenalter für implantologische Maßnahmen konnte nicht erzielt werden.

Der Zeitpunkt der Implantation ist abhängig vom Wachstum des Patienten. Hierbei spielen das Körperwachstum und der Dentitionszustand eine wichtige Rolle. Die individuelle Betrachtung der Patienten scheint entscheidend, eine Verallgemeinerung und ein Festlegen auf ein bestimmtes Alter der Patienten ist nicht sinnvoll. Die Therapie hängt von dem Ausmaß der zu therapierenden Voraussetzungen, vom Zeitpunkt des Zahnverlustes und dem Ergebnis einer interdisziplinären Wachstumsanalyse ab. Implantate im Wachstum müssen in Abweichung der bekannten Regeln für die Frontregion [4,7] in der Vertikalen so positioniert werden, dass das noch zu erwartende Kieferwachstum berücksichtigt wird. Auch die zu erwartende Rotation ist in vestibulo- oraler Richtung zu berücksichtigen. Mit zunehmendem Alter wird die Wachstumsanalyse einfacher und sicherer. Bei frühzeitiger Implantation sind in der Regel nur umschriebene augmentative Maßnahmen und ein kleiner chirurgischer Eingriff erforderlich, der auch bedenkenlos in Lokalanästhesie durchgeführt werden kann.

Nach der antizipierten Implantation werden bis zum Abschluss des Kieferwachstums klinisch im marginalen Bereich zu kurze Kronen eingegliedert und damit bewusst ästhetische Kompromisse eingegangen. Korrekturen der Kronen im weiteren Wachstum sind Bestandteil des Konzeptes. Nach eigenen Erfahrungen ist ein günstiger Implantationszeitpunkt nach dem pubertären Wachstumsschub, wenn zu diesem Zeitpunkt die Eckzähne vollständig in ihrer Zielposition stehen. Die bisherigen klinischen Erfahrungen haben gezeigt, dass mit diesem Vorgehen auch nach dem Verlust mehrerer Schneidezähne der Alveolarfortsatz erhalten und langfristig ein gutes ästhetisches Ergebnis erzielt werden kann.

Diskutiert wird häufig die Frage, ob ggf. einteilige Miniimplantate eine positive Auswirkung zur Risikominimierung ergeben können. Diese Implantate werden dann nach Abschluss des Wachstums durch definitive Implantate ersetzt und erfordern einen zweiten chirurgischen Eingriff. Funktionell wirken die Miniimplantate ebenfalls der Inaktivitätsatrophie entgegen, sind aber wegen des einteiligen Konzeptes häufig unbefriedigend in der prothetischen Versorgung und zeigen eine erhöhte Bruchgefahr. Hilfreich können diese Implantate gerade beim dolichofazialen Wachstumsmuster sein, wenn noch viel Wachstumspotenzial zu erwarten ist.

Mit dem entwickelten Konzept der prospektiven Implantation und dem Antizipieren des ausstehenden Wachstums kann gezeigt werden, dass die funktionelle Inaktivitätsatrophie verhindert werden und eine frühzeitige Rehabilitation der Zahnsituation gelingen kann. Erfolgreiche Behandlungen haben als weitere günstige Nebeneffekte die verkürzte Behandlungsdauer, weniger belastende chirurgische Eingriffe und positive Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung des Adoleszenten. Die komplexe und anspruchsvolle Therapie sollte jedoch durch erfahrene Zentren durchgeführt werden, um eventuelle Misserfolge durch Fehleinschätzung des ausstehenden Restwachstums zu vermeiden. Infraokklusion und fehlende Symmetrie des Emergenzprofils zum kontralateralen Zahn sollten ausgeschlossen werden können und sind nach abgeschlossenem Wachstum nur schwer zu korrigieren. 

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