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Orale Medizin –

Einblicke in die somnologische zahnärztliche Sprechstunde der Universität Marburg

Die Zahnärztliche Schlafmedizin (ZSM) ist ein Fachgebiet der Zahnmedizin, das die Prävention, Diagnostik und Therapie von obstruktiver Schlafapnoe (OSA) sowie von assoziierten oralen Erkrankungen umfasst. Um eine individuell optimale Therapiestrategie zu entwickeln, ist eine fallbezogene Zusammenarbeit zwischen der Zahnmedizin und anderen Disziplinen unabdingbar. Hierzu sind ein fundiertes schlafmedizinisches Wissen und ein interdisziplinäres Netzwerk erforderlich. Anhand von drei ausgewählten Patientenfällen aus der universitären zahnärztlichen Schlafsprechstunde der Universität Marburg werden die Schnittstellen zur Oralen Medizin und anderen medizinischen Fachbereichen illustriert sowie Diagnostik und Therapieoptionen beleuchtet.

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Intraorale Aufnahme mit F-UPS in 70%iger Protrusion aus der maximal aktiven Retrusion. Die Einnahme der Endposition ist zwanglos und schmerzfrei möglich.
Intraorale Aufnahme mit F-UPS in 70%iger Protrusion aus der maximal aktiven Retrusion. Die Einnahme der Endposition ist zwanglos und schmerzfrei möglich.
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Aufgrund des demografischen Wandels leben wir in einer Gesellschaft mit immer älter werdenden Patientinnen und Patienten, die auch den Zahnarzt mit komplexen Anamnesen und erhöhter Multimorbidität konfrontieren. Viele systemische und autoimmune Erkrankungen manifestieren sich im zahnärztlichen Arbeitsgebiet der Mundhöhle; sie sollten von Zahnärztinnen und Zahnärzten frühzeitig erkannt werden. Ein breiteres medizinisches Wissen über den zahnmedizinischen Tellerrand hinaus wird daher zunehmend wichtiger [6].

Als Konsequenz dieser demografischen Entwicklung wird der Begriff „Orale Medizin“ bezogen auf ein Patientenkollektiv mit medizinisch komplexen Fragestellungen zunehmend gebraucht. Eine große Subgruppe hierunter bilden Patientinnen und Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen [7]. Die größte Gruppe dieser Patienten sind von einer obstruktiven Schlafapnoe betroffen: weltweit fast 1 Milliarde Menschen [1]! Durch einen langfristig gestörten Schlafzyklus kann es zu neurokognitiven und kardiovaskulären Erkrankungen kommen. Neuere wissenschaftliche Studien vergleichen OSA mit dem Status einer chronisch geringgradigen Entzündung. Die Ätiologie einer Schlafstörung ist vielfältig und erfordert daher eine interdisziplinäre Diagnostik und patientenzentrierte Therapie. Mit diesem Ziel wurde an der Philipps-Universität Marburg ein universitäres Schlafmedizinisches Board, bestehend aus Schlafmedizinern, Pulmologen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzten, Mund-Kiefer -Gesichtschirurgen, zahnärztlichen Schlafmedizinern, Pädiatern und Neurologen gegründet.

Die folgenden Patientenbeispiele aus der somnologischen Sprechstunde an der Poliklinik für Kieferorthopädie demonstrieren die Komplexität und Individualität der Erkrankung sowie die Notwendigkeit eines interdisziplinären Netzwerks in der therapeutischen Antwort.

Fall 1

Die 51-jährige Patientin stellte sich mit dem Wunsch nach Beratung und Herstellung einer „Retentionsschiene“ zur Stabilisierung ihrer Zahnstellung in der Poliklinik für Kieferorthopädie vor. Zusätzlich äußerte sie den Wunsch, dass ihre Zähne gegen das nächtliche Pressen geschützt werden sollten. Nach eingehender anamnestischer Befragung stellte sich heraus, dass die Patientin nicht nur unter einem Schlafbruxismus, sondern auch unter einem unerholsamen Schlaf mit häufigen nächtlichen Wachphasen leidet. Daraufhin wurde eine schlafbezogene Anamnese mithilfe von standardisierten Schlaffragebögen zur Einschlafneigung in Alltagssituationen sowie zur Risikoeinschätzung einer schlafbezogenen Atmungsstörung vorgenommen. Die Epworth-Schläfrigkeitsskala (ESS) [4] ergab eine exzessive subjektive Tagesschläfrigkeit mit einem initialen Punktwert von 18. Im STOP-BANG Fragebogen [2] wurde aufgrund folgender Angaben ein Punktwert von 4 erzielt:

1. fremdanamnestisch lautes unregelmäßiges Schnarchen (Snoring)
2. ausgeprägte Müdigkeit (Tired)
3. Selbstwahrnehmung von Atemaussetzern (Observed) durch zeitweises nächtliches Aufschrecken mit Erstickungsängsten
4. arterielle Hypertonie Grad II (Pressure)

Somit bestand ein mittleres Risiko für eine obstruktive Schlafapnoe.

Eine extra- und intraorale Befundung sowie eine Funktionsuntersuchung erfolgten entsprechend den diagnostischen Kriterien für kraniomandibuläre Dysfunktionen (diagnostic criteria for temporomandibular disorders: DC/TMD) [9]. Die klinische Untersuchung bestätigte den anamnestischen Verdacht hinsichtlich Schlafbruxismus durch einen pathologischen Zahnsubstanzverlust an der Unterkieferfront und den ersten Molaren im Oberkiefer (Abb. 1).

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Abb. 1: Intraoraler Befund mit Analyse des Zahnverschleißes gemäß des Bewertungssystems nach Wetselaar & Lobbezzo [7]. a) Mittelgradiger Zahnverschleiß der Zähne 16 und 26 (Grad 2) sowie leichtgradiger Verschleiß von 13 und 23 (Grad 1). b) Auffälliger Zahnverschleiß im Unterkiefer. c) Schwergradiger Zahnverschleiß > 1/3 der klinischen Krone an 32 und 42 (Grad 3), mittelgradiger Verschleiß mit Ausprägung bis ins Dentin an 41 (Grad 2) sowie leichtgradiger Verschleiß an 33, 31 und 43 (Grad 1).

Funktionell bestand eine beidseitige Masseterhypertrophie. Zusätzlich ergab die DC/TMD-Untersuchung eine schmerzhafte kraniomandibuläre Dysfunktion (CMD), bedingt durch den bilateralen myofaszialen Schmerz des Musculus masseter. Die oralen sowie funktionellen Befunde, die häufig in Zusammenhang mit Schlafatmungsstörungen stehen, gaben Anlass, die Patientin zu einem Schlafmediziner zu überwiesen [8].

Innerhalb der schlafmedizinischen Stufendiagnostik erfolgte zunächst eine Polygraphie, die minimale schlafbezogene Atmungsstörungen detektierte. Aufgrund der Vermutung zusätzlicher RERAs (respiratory effort-related arousals) bei exzessiver Tagesschläfrigkeit wurde eine diagnostische Polysomnographie durchgeführt. Diese ergab eine mittelgradige obstruktive Schlafapnoe mit einem Respiratory Disturbance Index (RDI) von 18,7/h.

Gemäß der Leitlinie [11] wurde auf Basis der interdisziplinären Diagnostik eine APAP-Therapie (Automatic Continuous Positive Airway Pressure) vom Schlafmediziner und Pulmologen initiiert. Eine Unterkieferprotrusionsschiene wurde aufgrund der Grunderkrankung der Fibromyalgie und dem somit erhöhten Risikoprofil hinsichtlich Non-Responder vorerst nicht in Erwägung gezogen. Eine nächtliche Aufbissschiene wurde zum Schutz der Zähne gegen die nächtlichen Kaumuskelaktivitäten angepasst. Der APAP-Druck wurde auf 6 mbar eingestellt, was zu einem sehr guten Therapieerfolg (AHI 0,6/h, ESS 7) führte. Die morgendlichen Ermüdungserscheinungen der Kaumuskulatur reduzierten sich deutlich, was auf Zusammenhänge zwischen den nächtlichen Bruxismus- und Apnoephasen schließen lässt [5].

Fall 2

Die 55-jährige Patientin mit einer schwergradigen nichtlageabhängigen OSA (AHI von 59/h) wurde von der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie in die zahnärztliche Schlafsprechstunde der Poliklinik für Kieferorthopädie mit der Bitte um Beratung hinsichtlich eines kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Dysgnathieoperationsverfahrens überwiesen. Eine zunächst initiierte CPAP-Therapie war aufgrund von Hautirritationen erfolglos. Die Klinik für MKG-Chirurgie bat um kieferorthopädische Mitbeurteilung und empfahl die Simulation eines mandibulären Advancements mit einer Unterkieferprotrusionsschiene (UPS) als „Testschiene“. Ein kombiniertes Vorgehen sollte bei Ansprechen der UPS-Therapie evaluiert werden.

Anamnestisch berichtete die Patientin über ein persistierendes Lutschhabit am Daumen über das 8. Lebensjahr hinaus sowie über eine im Jugendalter abgebrochene funktionskieferorthopädische Therapie mittels eines Aktivators aufgrund mangelnder Compliance.

Die schlafbezogene Anamnese ergab eine ausgeprägte Tagesschläfrigkeit (ESS 12) sowie fremdanamnestisch bestätigtes lautes Schnarchen. Der Body-Mass-Index (BMI) betrug 33,1 kg/m2.

Im Rahmen der zahnärztlichen Schlafberatung erfolgte eine umfassende extra- und intraorale Untersuchung (Abb. 2 und 3) sowie ein CMD-Kurzbefund. Dieser stellte sich als unauffällig dar. Die in der MKG-Chirurgie erstellte radiologische Diagnostik dokumentierte eine kraniofaziale Schädelkonfiguration im Sinne einer skelettalen Klasse II mit Schuld des retrognath eingelagerten Unterkiefers (Abb. 4).

Trotz des erhöhten Risikoprofils (schwerwiegende OSA und erhöhter BMI) wünschte die Patientin nach Aufklärung zunächst einen Behandlungsversuch mittels Unterkieferprotrusionsschiene. Es erfolgten die Auswahl der UPS-Bauart (F-UPS) und die dreidimensionale Bissregistrierung in therapeutischer Kieferrelation (Abb. 5). Nach Eingliederung der UPS und vierwöchiger Eingewöhnung fand der erste Kontrolltermin statt. Das initial subjektive Beschwerdebild hatte sich bereits deutlich verbessert. Muskuläre sowie dentale Nebenwirkungen wurden nicht registriert. Es wurde eine Titration der UPS um einen Millimeter durchgeführt. Die Abbildungen 6 und 7 demonstrieren den intra- und extraoralen Fotobefund mit UPS in situ.

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Abb. 2: a) Extraoral en-face zeigten sich ein müder Gesichtsausdruck, ein verkleinertes unteres Gesichtsdrittel und ein potenziell kompetenter Lippenschluss mit habitueller Unterlippeneinlagerung. b) Im Profil zeigte sich ein konkaves Mundprofil mit negativer Lippentreppe.
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Abb. 3: Intraoral zeigten sich multiple konservierende Versorgungen bei stabilen Okklusionskontakten. Die gingivalen und parodontalen Verhältnisse waren unauffällig. a) Im Oberkiefer ist eine maxilläre Konstriktion bei einem hohen schmalen Gaumen ersichtlich. b) Im Unterkiefer zeigte sich eine kaudale Zungenlage. c) Die Okklusion wies eine Klasse-II-Verzahnung von einer Prämolarenbreite mit vergrößertem Overjet (7 mm) bei physiologischem Overbite (2,5 mm) auf.
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Abb. 4: Röntgenbefund. a) Die Auswertung der Fernröntgenseitenaufnahme (FRS) ergab eine skelettale Klasse II (ANB: 6,3°, Wits: 10 mm) bei mandibulärer Retrognathie (SNB: 77,4°) und eine brachyfaziale Gesichtsschädelkonfiguration (Summenwinkel nach Björk: 382,5°) bei basal geschlossener Schädelkonfiguration (SpE_GoMe: 16,8°). b) Im Orthopantomogramm (OPG) zeigte sich ein konservierend und prothetisch suffizient versorgtes permanentes Gebiss. 28, 38 und 48 sind röntgenologisch impaktiert nachweisbar.
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Abb. 5: Im Oberkiefer mit Futar D (Kettenbach) fixierte JS-Gauge in liegender Position. Die Strichmarkierungen zeigen die maximal aktive Protrusion, Retrusion und UPS-Startposition nach mehrmaliger Durchführung in Anlehnung an die Kriterien der „Diagnostic criteria for temporomandibular disorders“ (DC/TMD) [6,9]. a) Die vertikale Sperrung wurde so minimal wie möglich gewählt. Die Protrusionskapazität betrug insgesamt 10 mm bei 4 mm frontaler und 3 mm seitlicher Sperrung. b) Verschlossene Bissgabel nach Einnahme der UPS-Startposition (60% des Gesamtprotrusionsweges) aus der maximal aktiven Retrusion. Die Bissregistrierung erfolgte im Anschluss mit Futar D (Kettenbach).
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Abb. 6: Intraorale Aufnahme mit F-UPS in 70%iger Protrusion aus der maximal aktiven Retrusion. Die Einnahme der Endposition ist zwanglos und schmerzfrei möglich.
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Abb. 7: Extraoraler Befund mit F-UPS bei 70%iger Protrusion aus der maximal aktiven Retrusion in situ. a) Die Einnahme des Lippenschlusses ist zwanglos möglich. b) Im Profil zeigen sich die mandibuläre Vorverlagerung und die Vorverlagerung des Weichteilpogonions.

Weitere sechs Wochen nach der Titration der UPS zeigte sich eine deutliche Reduktion der Schläfrigkeitsskala (ESS 7). Schnarchgeräusche wurden fremdanamnestisch nicht mehr berichtet. Die Patientin wurde daraufhin zur polygraphischen Evaluation der respiratorischen Werte unter UPS-Therapie zum Schlafmediziner zurücküberwiesen. Die Polygraphie ergab einen AHI < 5/h und damit trotz des initial erhöhten Risikoprofils eine sehr gute Response, so dass die UPS nun als dauerhafte und alleinige Therapiewahl eingesetzt werden kann. Die anfänglich geplante chirurgische Intervention wurde in Absprache mit der Patientin und der MKG-Chirurgie als nicht mehr notwendig erachtet. Die Patientin wird halbjährlich zum Recall sowie regelmäßig zu polygraphischen Kontrollen in Absprache mit dem Schlafmediziner einbestellt.

Fall 3

Die 64-jährige Patientin wurde von der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde in die zahnärztliche Schlafsprechstunde der Poliklinik für Kieferorthopädie überwiesen, um eine Therapie mit einer Unterkieferprotrusionsschiene als ergänzende Maßnahme zu einem bereits implantierten bilateralen Hypoglossusstimulator (Genio®, Nyxoah) durchzuführen.

Bei der Vorstellung in unserer Schlafsprechstunde lagen bereits multiple Diagnosen und eine komplexe Anamnese vor: Im Alter von 56 Jahren erfolgte die Erstdiagnose der obstruktiven Schlafapnoe mit einem RDI von 13,8/h. Infolge dieser Diagnose wurde eine CPAP-Maske mit einem Druck von 7 mbar angepasst, die die Patientin zunächst gut tolerierte. Im Rahmen polysomnographischer Kontrollen im Laufe der Jahre zeigte sich jedoch eine Zunahme der obstruktiven Ereignisse (RDI 58,5/h). Zudem wurde während der Kontrollnächte ein unbewusstes Absetzen der CPAP-Maske beobachtet. Zusätzlich manifestierte sich eine begleitende chronische Durchschlafstörung (Insomnie), bedingt durch ein schwergradiges Restless-Legs-Syndrom (RLS) bei insuffizienter Eisensubstitution (Ferritin < 45 μg/l, empfohlen bei RLS > 75 μg/l). Eine Eisensubstitution mit Tardiferron wurde initiiert. Die Symptome – ziehende Schmerzen und Unruhe in beiden Beinen – konnten jedoch durch die zusätzliche Gabe eines Dopamin-Rezeptor-Agonisten (Rotigotin, Neupro®) bis dato nicht erfolgreich behandelt werden.

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Mit der Medikamenteneinnahme ging jedoch eine deutliche Gewichtszunahme einher. Aufgrund des Versagens der CPAP-Therapie, des hohen BMI von 31,8 kg/m2 sowie der schwergradigen OSA und der geplanten Implantation in regio 011 und 016 wurde die Entscheidung zugunsten eines Hypoglossusstimulators getroffen. Die erste Polysomnographie zur Einstellung der Titrationsstärke des Hypoglossusstimulators ergab eine verbesserte Sauerstoffsättigung, jedoch keine Verbesserung des RDI. Eine anschließende Reduktion der Zungengrundtonsillenhyperplasie führte zu einer Verbesserung der respiratorischen Parameter bei weiterhin persistierender mittelgradiger Schlafapnoe (AHI 27,4/h). Im Rahmen der zahnärztlichen Schlafberatung wurden eine umfassende klinische extra- und intraorale Untersuchung (Abb. 8 und 9) sowie eine Röntgendiagnostik zur Beurteilung der Bisslage und des Status der konservierend sowie prothetisch versorgten Zähne (Abb. 10) durchgeführt.

Da der erwartete Nutzen der mandibulären Vorverlagerung mittels UPS-Therapie als begleitende nichtchirurgische und nichtinvasive Maßnahme trotz des erhöhten Risikoprofils (BMI > 30kg/m2) positiv bewertet wurde, erfolgte unverzüglich die Bissregistrierung in therapeutischer Kieferrelation (Startprotrusionsposition bei 50% des maximalen Vorschubs aus der maximalen Retralposition). Als UPS-Bauart wurde eine Schiene mit seitlichen Protrusionselementen (Somnodent Fusion) ausgewählt, um eine frontale Öffnung bei Zungenstimulation zu gewährleisten. Nach Schieneninsertion und einer vierwöchigen Eingewöhnungsphase erfolgte die erste Kontrolle (Abb. 11).

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Abb. 8: a) Extraoral en face zeigte sich ein müder Gesichtsausdruck mit potenziell kompetentem Lippenschluss. b) Im Profil zeigte sich eine reklinierte Kopfhaltung sowie ein gerades Gesamtprofil.
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Abb. 9 a-e: Intraoral zeigten sich eine Klasse-IVerzahnung rechts und eine Prämolarenbreite Klasse-II-Verzahnung links mit gnathischer Mittellinienverschiebung nach rechts. Der Overjet und Overbite etrugen 2 mm. Es zeigte sich eine transversale Enge in beiden Kiefern mit proklinierter Ober- und Unterkieferfront. Die Patientin weist multiple Rezessionen sowie mit Zahnhalsfüllungen versorgte Zähne 16, 15, 13, 23, 24, 25, 35 und 45 sowie Zungenimpressionen beidseits auf. Die Gingiva wies im ersten und zweiten Quadranten leichte Rötungen und Schwellungen auf. Eine Mundhygieneinstruktion erfolgte. Es lagen gesunde parodontale Verhältnisse mit einem unauffälligem parodontalem Screening-Index (PSI) sowie suffizienter konservierender und prothetischer Versorgung vor.
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Abb. 10: Röntgenbefund mit röntgenopaker Struktur im FRS und OPG gemäß Hypoglossusstimulator. a) Die Auswertung des FRS ergab eine skelettale Klasse II (ANB: 7,1°) bei maxillärer Prognathie (SNA: 89°) und mandibulärer Eugnathie (SNB: 81,9°) bei Vorliegen einer brachyfazialen Gesichtsschädelkonfiguration (Summenwinkel nach Björk: 390,4°) und skelettal tiefen Biss (SpE_GoMe: 21,6°). b) Im OPG zeigte sich ein konservierend und prothetisch suffizient versorgtes permanentes Gebiss. Eine röntgenologische Beurteilung aller Seitenzähne im Unterkiefer war durch die Überlagerungen des Hypoglossusstimulators nicht möglich.
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Abb. 11: Intraorale Aufnahme der Unterkieferprotrusionsschiene in 50%iger Protrusion aus der maximalen Retrusion in situ.

Dabei konnte eine sehr gute UPS-Adhärenz festgestellt werden. Die exzessive Tagesschläfrigkeit (ESS 19) zeigte noch keine Verbesserungen, konnte allerdings vor dem Hintergrund des Nebenwirkungsprofils der Medikation gegen die RLS-Symptomatik nur eingeschränkt zur Beurteilung der subjektiven UPS-Wirkung herangezogen werden. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte nun Rücksprache mit einer Klinik für Neurologie mit Schwerpunkt Parkinson/Bewegungsstörungen. Die medikamentöse Therapie mit dem Wirkstoff Rotigotin wurde aufgrund der Gewichtszunahme ausgeschlichen und ein Opioidanalgetikum (Oxycodon) aufgrund höherer oraler Bioverfügbarkeit verschrieben. Durch Wechsel der Medikation konnte die Patientin innerhalb weniger Wochen ihr Körpergewicht reduzieren. Im Behandlungsverlauf wurde die UPS um weitere 2,5 mm titriert. Eine polygraphische Kontrolle der Kombinationstherapie ergab einen verbleibenden AHI von 15,1/h. Dieser sollte in Absprache mit dem behandelnden Hausarzt durch weitere Gewichtsreduktion verbessert werden. Innerhalb von sechs Monaten konnte die Patientin ihr Körpergewicht um weitere 20 kg durch Bewegungs- und Ernährungstherapie reduzieren. Trotz der persistierenden medikationsbedingten Tagesschläfrigkeit (ESS 16) berichtete sie über ein deutlich verbessertes Wohlbefinden mit wieder guter Lebensqualität (Abb. 12). Die Patientin wird im halbjährlichen Recallintervall zur Kontrolle der UPS einbestellt.

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Abb. 12 a u. b: Extraoral zeigte sich ein deutlich wacherer Gesamteindruck. Die Patientin berichtete eine deutlich verbesserte Lebensqualität.

Fazit

Alle drei ausgewählten Patientenfälle aus dem klinischen Alltag unserer zahnärztlichen Schlafsprechstunde unterstreichen die Bedeutung der Diagnostik sowie die unterschiedlichen, patientenindividuellen Behandlungsansätze im interdisziplinären Behandlungsteam. Dies verdeutlicht die Heterogenität der obstruktiven Schlafapnoe [3].

Viele systemische Erkrankungen manifestieren sich in der Mundhöhle: Der erste Patientenfall veranschaulicht die Bedeutung oraler und funktioneller Aspekte bei Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe. Die Etablierung von anamnestischen Fragen zur Schlafqualität und -quantität sollte daher integraler Bestandteil der zahnärztlichen Anamnese sein. Denn erhöhter, nicht kariös bedingter Zahnhartsubstanzverlust muss nicht immer die Folge von Muskelverspannung sein. Bruxismusschienen bei Patienten mit Schlafapnoe sind daher manchmal sogar kontraproduktiv.

Für den niedergelassenen Hauszahnarzt und im Sinne einer frühzeitigen Detektion wäre die Implementierung folgender drei schlafmedizinischer Fragen in die Eigenanamnese sicherlich sehr sinnvoll:

  • Schnarchen Sie?
  • Leiden Sie unter einem nicht erholsamen Schlaf?
  • Wurden bei Ihnen Atemaussetzer während des Schlafs bemerkt?

Bei mindestens zwei Ja-Antworten sollte der wenig zeitaufwendige und einfach durchführbare Stop-Bang-Fragebogen herangezogen und bei weiterer Auffälligkeit eine Abklärung bei einem Schlafmediziner initiiert werden.

Im zweiten Patientenfall setzt die Therapie auf eine nächtliche Korrektur einer skelettalen kraniofazialen Anomalie in Form einer mandibulären Retrognathie durch eine Ventralpositionierung und konsekutive Aufspannung der pharyngealen Muskulatur mitsamt einer Ventralpositionierung der Zunge.

Der dritte Patientenfall verdeutlicht die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit, insbesondere bei sehr schwergradiger OSA, bei der eine eingleisige Therapie häufig nicht zum Erfolg führt. Auch die Bedeutung begleitender Medikation, welche das allgemeine physische und psychische Wohlbefinden sowie das Körpergewicht beeinflusst, kann den Therapieverlauf der OSA entscheidend beeinflussen.

Die zunehmende Bedeutung der Oralen Medizin zeigt sich insbesondere im Kontext der obstruktiven Schlafapnoe [6]. Da diese Erkrankung häufig erst spät erkannt wird, ist häufig ein multidisziplinärer Therapieansatz mit zusätzlicher Anpassung des Lebensstils von Seiten des Patienten (Schlafhygiene, Alkoholkonsum, Bewegung, Ernährungsumstellung) indiziert und sehr erfolgreich [6].

Aufgrund der dargestellten Komplexität ist eine intensive Beschäftigung mit der Zahnärztlichen Schlafmedizin empfehlenswert. Ein industrieneutrales Curriculum mit anschließender Zertifizierung wird z.B. über die Akademie Praxis und Wissenschaft (APW) angeboten.

Sources

1. Benjafield AV, Ayas NT, Eastwood PR et al (2019) Estimation of the global prevalence and burden of obstructive sleep apnoea: a literature-based analysis. Lancet Respir Med. 2019 Aug;7(8):687-698. doi: 10.1016/S2213-2600(19)30198-5. Epub 2019 Jul 9.

2. Chung F, Abdullah HR, Liao P (2016) STOP-Bang Questionnaire. Chest 149:631–638. https://doi.org/10.1378/chest.15-0903

3. Eckert DJ (2018) Phenotypic approaches to obstructive sleep apnoea – New pathways for targeted therapy. Sleep Medicine Reviews 37:45–59. https://doi.org/10.1016/j.smrv.2016.12.003

4. Johns MW (1991) A New Method for Measuring Daytime Sleepiness: The Epworth Sleepiness Scale. Sleep 14:540–545. https://doi.org/10.1093/sleep/14.6.540

5. Martynowicz H, Gac P, Brzecka A et al (2019) The Relationship between Sleep Bruxism and Obstructive Sleep Apnea Based on Polysomnographic Findings. JCM 8:1653. https://doi.org/10.3390/jcm8101653

6. Peltomaeki T. Dental sleep medicine -What’s new? Sleep Med Rev. 2023 Feb;67:101739. doi: 10.1016/j.smrv.2022.101739. Epub 2022 Dec 24.

7. Pinto A, Vasilyeva D, Cruz MME. Oral and sleep medicine:Two worlds collide, or do they? Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol 2023 Jul;136(1):1-2.

8. Sambale J, Koehler U, Conradt R et al (2024) Is sleep bruxism in obstructive sleep apnea only an oral health related problem? BMC Oral Health 24:565. https://doi.org/10.1186/s12903-024-04351-1

9. Schiffman E, Ohrbach R, Truelove E et al (2014) Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders (DC/TMD) for Clinical and Research Applications: Recommendations of the International RDC/TMD Consortium Network* and Orofacial Pain Special Interest Group†. J Oral Facial Pain Headache 28:6–27. https://doi.org/10.11607/jop.1151

10. Wetselaar P, Lobbezoo F (2016) The tooth wear evaluation system: a modular clinical guideline for the diagnosis and management planning of worn dentitions. J Oral Rehabil 43:69–80. https://doi.org/10.1111/joor.12340

11. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) – Ständige Kommission Leitlinien. S3-Leitlinie (Langfassung, AWMF-Reg.-Nr. 063/001). Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörung Kapitel „Schlafbezogene Atmungsstörungen bei Erwachsenen“. Teilaktualisierung Juli 2020.

12. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) – Ständige Kommission Leitlinien. S1-Leitlinie (Langfassung, AWMF-Reg.-Nr. 083-045). Die Unterkieferprotrusionsschiene (UPS): Anwendung in der zahnärztlichen Schlafmedizin beim Erwachsenen. Stand November 2021; gültig bis November 2026.

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