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Dentalforum

Wiederherstellung der „Envelope of Function“ mit Clear Alignern

Eines der Ziele einer optimalen Okklusion wird als „Envelope of Function“ beschrieben, die am genauesten mit „freier Frontzahnführung“ übersetzt werden kann. Um diese zu gewährleisten, sollte zum einen der Overjet mindestens 2 mm betragen und zum anderen das Vorliegen von statischen Frontzahnkontakten verhindert werden. Nachfolgend wird anhand eines Patientenfalls beschrieben, wie mithilfe einer Clear Aligner-Schienentherapie die Envelope of Function kieferorthopädisch korrigiert bzw. wiederhergestellt werden kann.

Rebecca Komischke
Applikation von ASR und Attachments.
Applikation von ASR und Attachments.
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Fallbeispiel

Der Patient stellte sich mit den folgenden Symptomen vor: Er beschrieb das Gefühl, nicht genug Platz für seinen Unterkiefer in der sagittalen Ebene zu haben und hatte sich angewöhnt, seine Unterkieferfront stetig gegen die Oberkieferfront zu drücken. Dies beschrieb er als „sehr unangenehm und anstrengend”. Bei Palpation war der M. masseter druckdolent, hypertroph und erhärtet.

Die aktive Mundöffnung lag bei 38 mm, passiv ließ sich das auf 42 mm erweitern. Es gab statische Frontzahnkontakte in zentrischer Relation. Die Inklination der Oberkieferinzisivi war größer als 90° im Verhältnis zur Okklusionsebene. Es waren bereits eine deutliche Attrition im Bereich der Schneidekanten der Oberkieferfront sowie eine Protrusion der Unterkieferinzisivi aufgrund von tertiärem Engstand zu verzeichnen.

Klinische Fallplanung

Zunächst wurde der Patient mit dem TRIOS 4 Scanner intraoral gescannt. Es wurden 8 kieferorthopädische Fotos aufgenommen. Diese Daten wurden unter kieferorthopädischen, funktionalen und ästhetischen Aspekten analysiert [1–4] und in das ClearCorrect Portal hochgeladen, wo wenige Tage später eine Fallplanung vorgeschlagen wurde.

Das Hauptziel war es, die Oberkieferfront, die aufgrund des tertiären Engstandes retrudiert war, wieder aufzurichten sowie durch die Retrusion und Intrusion der Unterkieferfront so viel Overjet zu schaffen, dass der Unterkiefer durch Autorotation in eine bequemere Position gelangen kann. Gleichzeitig wurde durch bukkalen Wurzeltorque der oberen Prämolaren der Oberkiefer leicht expandiert, um einen ästhetischen Bukkalkorridor zu erlangen und dem Unterkiefer etwas mehr Platz in der Transversalen zu gewähren [4] (Abb. 1).

Rebecca Komischke
Abb. 1a: Fotostatus vor der Behandlung.
Rebecca Komischke
Abb. 1b: Fotostatus vor der Behandlung.
Rebecca Komischke
Abb. 1c: Fotostatus vor der Behandlung.
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Abb. 1d: Fotostatus vor der Behandlung.
Rebecca Komischke
Abb. 1e: Fotostatus vor der Behandlung.

Kieferorthopädisches Vorgehen

Die ersten Aligner wurden eingesetzt. Es waren insgesamt 19 Aligner-Sets für die erste Phase der Behandlung vorgesehen. ASR wurde in Höhe von 2,4 mm im Unterkiefer appliziert, um genug Overjet durch Retrusion der Unterkieferfront zu gewährleisten und gleichzeitig den Frontzahnengstand zu beheben.

Der Oberkiefer benötigte nicht mehr als 0,5 mm ASR. Es wurden vertikale Attachments auf 14, 13, 21, 24, 25, 33, 31, 32 angebracht, um Rotationen und bukkalen Wurzeltorque der Inzisivi und Prämolaren zu ermöglichen, wodurch der Zahnbogen wieder als Ganzes aufgerichtet werden sollte. Es wurde nur ein horizontales Attachment auf 31 appliziert, um dessen Intrusion zu erleichtern (Abb. 2).

Rebecca Komischke
Abb. 2: Applikation von ASR und Attachments.

Nach 19 Aligner-Stufen wurden alle bisherigen Attachments entfernt und für die Revision gescannt, um etwas mehr Overjet zu schaffen. Weitere 11 Aligner-Sets wurden geplant und vom Patienten getragen. Um Zahn 11 körperlich besser bewegen zu können, wurde ein 3 x 1 mm horizontales Attachment angebracht.

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Weitere 0,9 mm ASR wurden im Unterkiefer durchgeführt, um die Unterkieferfront weiter zu retrudieren. Im Oberkiefer wurde lediglich 0,3 mm ASR zwischen Zahn 11 und 21 appliziert, um das verbleibende schwarze Dreieck zu schließen.

Die Revision sollte nie als Fehlversagen eingeordnet werden, sondern vielmehr als Möglichkeit, ein hundertprozentiges kieferorthopädisches Ergebnis für die Behandler/-innen und Patienten/-innen zu erreichen. Des Weiteren wurde in der Revisionsphase ein Bleaching durchgeführt, um ein ästhetischeres Ergebnis hinsichtlich der Zahnfarbe zu bewirken [5,6].

Ergebnis

Schon während der Initialphase der Behandlung gab der Patient an, dass sich sein Biss viel besser anfühle. Durch das seitliche Anheben des Bisses um 1,52 mm aufgrund der okklusalen Sperrung der Aligner verspürte der Patient sofortige Erleichterung. Nach der Revision hatte der Patient eine perfekte „Envelope of Function“, und die drei goldenen Regeln der Okklusion [8] sind in vollem Umfang umgesetzt worden:

  • gleichmäßige statische Kontakte in zentrischer Relation (aber keine Frontzahnkontakte)
  • sofortiges Disokkludieren der Seitenzähne bei der Protrusion
  • freie Envelope of Function

Dadurch war der Patient funktionell rehabilitiert, was eine Entlastung des Kiefergelenks sowie der Kaumuskulatur zur Folge hatte [9]. Gleichzeitig wurden die inzisalen Schmelzkanten durch die freie Envelope of Function vor übermäßiger Attrition geschützt [7]. Die aktive Mundöffnung stieg auf 42 mm, passiv auf 50mm (Abb. 3–5).

Rebecca Komischke
Abb. 3a: Fotostatus nach der Behandlung.
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Abb. 3b: Fotostatus nach der Behandlung.
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Abb. 3c: Fotostatus nach der Behandlung.
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Abb. 3d: Fotostatus nach der Behandlung.
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Abb. 3e: Fotostatus nach der Behandlung.
Rebecca Komischke
Abb. 3f: Fotostatus nach der Behandlung.
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Abb. 4: Fallplanung hinsichtlich der Envelope of Function (Vorher-nachher-Vergleich).
Rebecca Komischke
Abb. 5: Fallplanung bezüglich der inzisalen Inklination und der daraus resultierenden restriktiven Envelope of Function und dessen Korrektur (Vorher-nachher-Vergleich).

Diskussion und Fazit

Wie Quereshi und Ruiz sehr ausdrücklich beschrieben haben, kann die freie Envelope of Function nicht ignoriert werden [7,8]. Wenn wir als Behandelnde in jedem Aspekt unseres täglichen Tuns diesem Prinzip folgen, können Kiefergelenk, Kaumuskulatur und die inzisalen Schneidekanten dauerhaft geschützt werden.

Das Verständnis hilft uns auch, wenn wir kleine Frontzahnrestaurationen mit Komposit, aber auch große prothetische Maßnahmen durchführen, um diese möglichst langlebig zu gestalten. Eine Aligner-Therapie vor der konservierenden oder prothetischen Wiederherstellung der Frontzahnsubstanz kann helfen, lebenslange ästhetische und funktionelle Ergebnisse zu gewährleisten. Bei jüngeren Patienten/-innen, kann eine rechtzeitige Therapie vor Attrition schützen und somit aufwendige Restaurationen vermeiden, wenn früh genug erkannt wird, dass die freie Envelope of Function nicht gegeben ist.

Autor

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Dr. Rebecca Komischke

Sources

Rufenacht CR. Fundamentals of esthetics. Chicago, Quintessence, 1990.

[1] Tjan AH, Miller GD, The JG. Some esthetic factors in a smile. J Prosthet Dent. 1984; 51 (1): 24-8.

[2] Vig RG, Brundo GC. The kinetics of anterior tooth display. J Prosthet Dent. 1978; 39 (5): 502-4.

[3] Nascimento DC, Santos ER, Machado AW, Bittencourt MAV. Influence of buccal corridor dimension on smile esthetics. Dental Press J Orthod. 2012; 17 (5): 145-50.

[4] Basting RT, Rodrigues AL jr, Serra MC. The effects of seven carbamide peroxide bleaching agents on enamel microhardness over time. J Am Dent Assoc. 2003; 134 (10): 1335-42.

[5] Al-Qunaian TA. The effect of whitening agents on caries susceptibility of human enamel. Oper Dent. 2005; 30 (2): 265-70.

[6] Qureshi T. The concept of Progressive Smile Design. Int J Cos Dent. 2013; 4 (1): 1-10.

[7] Ruiz JL. The three golden rules of occlusion. Dent Today. 2010; 29: 92-93

[8] Williamson EH, Lundquist DO. Anterior guidance: its effect on electromyographic activity of the temporal and masseter muscles. J Prosthet Dent. 1983; 49: 816-823.

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