Die navigierte Implantologie bietet enorme Vorteile für Behandler und Patient, gerade auch bei komplizierteren Aufgaben. Durch Angulationen von Implantaten, vor allem im posterioren Bereich, und Verwendung entsprechender ausgleichender Aufbauten lassen sich augmentative Maßnahmen reduzieren oder sogar vermeiden. Bei ausreichend befestigter Gingiva ist eine transgingivale Implantatinsertion möglich, was wiederum Schmerzen und Schwellungen beim Patienten verringert. Um den hohen ästhetischen Ansprüchen gerecht zu werden und zu einer vorhersehbaren implantatprothetischen Versorgung zu kommen, ist eine akribische Vorplanung angesagt.
Vorgeschichte
Die hier vorgestellte Patientin war bei Behandlungsbeginn 58-jährig. Die Ausgangssituation bilden eine totalprothetische Versorgung im Oberkiefer und eine insuffiziente Modellgussprothese im Unterkiefer. Um den Restzahnbestand in der Unterkieferfront herum zeigten sich Entzündungen. Nach der eingehenden Untersuchung, Beratung und Aufklärung durch den Behandler fiel die Entscheidung für die Extraktion der noch vorhandenen Zähne 31, 32, 41 und 42 und die gleichzeitige Insertion von Implantaten mit anschließender Sofortversorgung. Das Ziel war es, durch die Implantation im Unterkiefer eine stabile Abstützung des zukünftigen Zahnersatzes zu erhalten und weiteren Entzündungen die Basis zu entziehen.
Ausgangssituation
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Es kann ratsam sein, Zähne, die extrahiert werden sollen, temporär zu belassen. Dieser Restzahnbestand erleichtert in der folgenden Planung die Überlagerung der unterschiedlichen STL-Datensätze. Sollten zukünftig geplante Implantate mit dem temporären Restzahnbestand kollidieren, können die Zähne virtuell in der Planungssoftware entfernt werden und es wird eine zweite schleimhautgetragene Schablone hergestellt. Die Position der Fixierungshülsen der beiden Schablonen ist identisch.
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Planung der Implantate
Zu Beginn werden die zur Patientin gehörenden DICOM- Verzeichnisse (Digital Imaging and Communications in Medicine) in die Implantat-Planungssoftware importiert. In unserem Labor nutzen wir die Software ICX-Magellan (powerd by 3Diagnosis-3DIEMME). Nachdem ein betreffender Ausschnitt gewählt und die Pano-Ebene zur Korrektur von Fehlstellungen im DVT definiert wurde, kann durch die Erzeugung einer Schnittebene durch die Pano-Kurve der Nervus mandibularis einschließlich dessen Austrittspunkten eingezeichnet werden.
Die Überlagerung von DVT- und STL-Datensätzen des Modells sowie einer vorhandenen Klammerprothese, welche als Set-up dient, wird mithilfe von mehreren Referenzpunkten markanter gleichartiger Bereiche durchgeführt (Abb. 3a–c). Bei einem Restzahnbestand von weniger als drei natürlichen Zähnen ist es ratsam, zur Überlagerung der unterschiedlichen Daten mit einer Röntgenprothese zu arbeiten. Wenn man sich ausschließlich auf die Kontur eines unzureichenden Restzahnbestandes, der Gingiva und Luft-Mukosa-Grenze verlassen will, hat man oftmals sehr zeitaufwendige Arbeitsschritte vor sich. Bußmeier
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Die bestehende prothetische Versorgung kann durch Einbringen von Glas-Kunststoff-Röntgenkugeln oder Guttapercha- Spitzen zur Röntgenprothese umgearbeitet werden, was sich als schnell und kostengünstig erweist. Dabei muss die Versorgung metallfrei sein, da sonst Interferenzen auftreten. Andernfalls lässt sich mit Knetsilikon und röntgentransparentem Kunststoff ein Duplikat herstellen. Dieses Verfahren setzt zwei DVT-Aufnahmen voraus: eine Aufnahme mit Röntgenprothese und gesperrtem Biss im Munde des Patienten und eine zweite, die ausschließlich von der Röntgenprothese erstellt wird. Kunststoffe besitzen die Eigenschaft, die Röntgenstrahlen sehr stark zu absorbieren, wodurch sie auf den Aufnahmen wenig oder gar keinen sichtbaren Kontrast liefern. Mit der Software kann der Grenzwert reguliert werden, der die Oberflächenkontur sichtbar macht. Es wird dann eine STL-Datei erzeugt. Somit ist es möglich, anhand der Röntgengenkugeln in der ersten Aufnahme die Datensätze übereinanderzulegen (Abb. 4). In unserem Patientenfall kommen ICX-Active-Master-Implantate (Medentis Medical, Bad Neuenahr-Ahrweiler) zum Einsatz, mit dem Durchmesser 3,75 mm und den Längen 8 sowie 10 mm. Das Implantat hat durch ein doppelläufiges Kompressionsgewinde knochenverdichtende Eigenschaften und führt somit zu einer hohen Primärstabilität. Das bietet beste Voraussetzungen für eine Insertion unmittelbar nach der Extraktion und die anschließende Sofortbelastung. Die Angulationen der beiden posterioren Implantate in Region 35, 45 werden mit ICX-multi 17° Aufbauten axial ausgeglichen (Abb. 5 a–d). Bußmeier
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In der Planungssoftware kann aus über 50 Implantatsystemen ausgewählt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder Hersteller eine schablonengeführte Implantation unterstützt, gegebenenfalls kann nur eine Pilotierung durchgeführt werden. Die Software bietet eine Menge an unterschiedlichsten Zusatzfunktionen, um die Knochenverhältnisse gut einschätzen und die Implantate exakt positionieren zu können. Die Bedienung ist für einen erfahrenen CAD/CAM-Anwender intuitiv erfassbar. Es lassen sich virtuelle Sicherheitsabstände, verschiedenartige visuelle Anzeigetypen, 3D-Scheibenzuschnitte, Abstands- und Winkelmessungen und vieles mehr nutzen. Ist die Planung weit gediehen, sollte am Ende die Parallelität der Schraubkanäle nochmals kontrolliert werden, da die Sofortversorgung auf Titan-Prothetikaufbauten in einem Stück verklebt wird.
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Die vom Behandler überprüfte und freigegebene Implantatplanung kann nun exportiert werden. Sie wird zur Weiterverarbeitung in die Software importiert (PlastyCAD, 3DIEMME, Cantù/Italien).
An dieser Stelle findet die Konstruktion der Bohrschablone mithilfe von Freiformwerkzeugen statt (Abb. 6).
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Anschließend werden die Bohrschablonen von Medentis Medical in einem 3D-Drucker der Firma 3D Systems im MultiJet-Verfahren gedruckt. Nach dem Druckvorgang ist keine weitere Nachbearbeitung notwendig, es werden lediglich die Führungshülsen aus Titan eingeklebt (Abb. 7).
Konstruktion der Sofortversorgung
Zur Konstruktion der Sofortversorgung wird zunächst im Archiv (Zirkonzahn, Gais, Südtirol/Italien) der Patientenfall angelegt (Abb. 8). Bei dieser neuen Ausgangssituation wählen wir für die Zähne, die der Position der Implantate und somit der Titan-Prothetikaufbauten entsprechen, die Option „Anatomische Krone/Okklusal verschraubt manual“ aus. An diesen Bereichen werden später die Schraubkanäle austreten. Um die Hebelwirkung so gering wie möglich zu halten, jedoch die okklusale Abstützung und Funktionalität nicht übermäßig zu beeinträchtigen, werden zwei Anhängerbrückenglieder in Prämolarengröße gewählt. Die beiden verbleibenden Brückenglieder werden als „Prettau-Brückenelement“ deklariert. Das ermöglicht das Design einer zusammenhängenden Gingiva. Bei allen Zähnen wird die Option „Situ Scan“ gesetzt. Somit besteht die Möglichkeit, die Modellation an das Design und die Ausdehnung der vorhandenen Modellgussprothese anzupassen. Bußmeier
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Nun stellt sich die Frage, wie das digital erstellte Implantatmodell mit dem Set-up-Scan der Modellgussprothese überlagert werden kann, da ja kein Restzahnbestand mehr vorhanden ist. Hierfür wird zunächst in der Scansoftware (Zirkonzahn) das digitale Implantatmodell gescannt und mit dem Situationsmodell (vgl. Abb. 3b) überlagert. Es ist eine ausreichend gleichmäßige Schleimhautdarstellung im Seitenzahnbereich vorhanden. Anschließend dienen die Zähne 31 bis 43 als Referenz, um das Set-up der vorhandenen Modellgussprothese zu überlagern. Der Situations-Scan wird anschließend gelöscht und das Set-up ist lagekorrekt positioniert (Abb. 9a–c).
Im Hinblick auf die relative Länge der Prothetikaufbauten und die Tatsache, dass diese nicht im Labor mit der Sofortversorgung, sondern im Munde des Patienten verklebt werden, sollte der Durchmesser der Schraubkanäle einen gewissen Toleranzabstand zu den Aufbauten bieten (Abb. 10a). Durch Einblenden des Set-up können die Austrittspunkte kontrolliert und gegebenenfalls nach palatinal gekippt werden. Es folgt eine Aufstellung der digitalen Sofortversorgung im Bereich der eingeblendeten türkisfarbenen Set-up-Scans. Die Zähne, die zuvor als „anatomische Kronen“ definiert wurden, werden nun zu Pontics umgewandelt. Somit wird ein Anpassen der Kronenränder für diese Zähne an die Präparationsgrenze der Prothetikaufbauten verhindert. Die Modellation wird nun angepasst (Abb. 10b). Durch eine Reduktion der designten Gingiva um ca. 1 mm wird Platz für die spätere Kompositverblendung geschaffen (Abb. 10c). Die Wurzelanteile der Zähne werden nachträglich wieder etwas aufgebaut. Das hilft bei der Gestaltung und farblichen Absetzung der Alveolarfortsätze. Bußmeier
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Im letzten Schritt werden die Modellationen zusammengefügt und in die Nestingsoftware übertragen (Abb. 10d). Die Konstruktion wird in einer mehrschichtigen PMMA-Ronde (Multistratum Flexible, Zirkonzahn) trocken gefräst.
Das Finale
Schon beim Design ist unbedingt darauf zu achten, dass der Patient später die Möglichkeit hat, mithilfe von Interdentalbürstchen die Basalfläche, vor allem unmittelbar um die Aufbauten herum, mühelos zu pflegen. Hierzu wurden feine Führungsrillen neben den Übergängen zwischen Aufbau und Basalfläche angelegt.
Zur Individualisierung der Versorgung wird die Rot-Weiß-Ästhetik durch Auftragen von Gingiva-Kompositpaste (Zirkonzahn) modelliert. Die interalveolaren Vertiefungen werden durch Auftragen von Tissue Paste 6 farblich abgesetzt. Mit der Tissue Paste 4 lassen sich Alveolarfortsätze hervorheben und Paste 1 formt die marginale Gingiva.
Fazit
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Auf dieser Basis lassen sich hochästhetische und funktionelle prothetische Versorgungen herstellen (Abb. 11a u. b).
Mein besonderer Dank gilt dem Behandler, Zahnarzt Martin Kraß, Coesfeld, für die außerordentliche Zusammenarbeit und ausführlichen Informationen.
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