Dieser Fall brachte so einige Herausforderungen mit sich. Denn Mallorca-Andrea wollte innerhalb eines Jahres gefühlt 10-mal Urlaub auf ihrer Lieblingsinsel machen. Da war es schwierig, Termine zu planen, zumal sie ihre Versorgung natürlich immer sofort brauchte. Gleichzeitig war sie aber auch sehr unentschlossen und ängstlich, was sich auch in dem häufigen Wechsel der Zahnärzte widerspiegelte. Nun fehlte auch noch die Einsicht eines Behandlers, dass die Arbeit im Labor Zeit beansprucht, viel Zeit sogar. Dabei könnte man meinen, dass jemand mit so vielen Berufsjahren auf dem Buckel es besser wissen sollte. Letztendlich half nur eines, um in diesem Chaos nicht unterzugehen: Ruhe bewahren und erkennen, dass eine asymmetrische Lippendynamik nicht mit harmonischen Linien in Einklang zu bekommen ist. Doch nun zum eigentlichen Fall.
Auf den Mund gefallen
Im Januar 2023 gab es Glatteis und Andrea stürzte. Zwei Zähne purzelten und einer war locker. Es war die Front links: 11, 12, 13. Schon 2014 hatten wir hier einmal geplant: Zumindest von 12–21 wollten wir ihr Lächeln versüßen. Doch lassen Sie uns zunächst ein Stück in der Patientenhistorie zurückgehen:
2006 lernten wir uns über ihre Cousine kennen. Bei Andrea war es damals eine Lücke, die wir schließen wollten. Die Zusammenarbeit mit einem polnischen Zahnarzt war sehr gut und es entstanden ein paar ansehnliche Kronen und Brücken. Die Präparation von 37 war allerdings etwas kurz, konisch und komisch. 34 war auch nicht besser: viel zu scharfkantig und mindestens mesial zu kurz. Wie es in einem solchen Fall häufig vorkommt, dezementierte sich die Brücke (Abb. 1). Der Zahnarzt kehrte jedoch in seine Heimat zurück. Als Grund gab er mir gegenüber die in Deutschland (noch) schlechteren Arbeitsbedingungen an.

Mit dem Praxiskäufer, der viele Assistenzärzte beschäftigte, planten wir Veneers von 12–21. Das Chaos mit den vielen wechselnden Behandlern innerhalb einer Praxis und das insgesamt hektische Verhalten des Chefs führten zwangsläufig zu einem Abbruch der Behandlung durch Andrea.
Es folgte Behandler Nummer 3. Er wurde Andrea von Freunden empfohlen. Gleich beim ersten Besuch rechnete er ein „Tapen“ (Aufkleben von Gummibändern im Gesicht) zur Entspannung der Gesichtsmuskulatur privat ab. Er schlug eine Brücke mit Torsionsgeschiebe vor, um das Lockern der Brücke durch die Verdrehung des Unterkieferknochens zu unterbinden. Das hörte ich natürlich gerne. Ein Torsionsgeschiebe mit einer richtigen Drehachse hatte ich noch nie machen dürfen. Auf jeden Fall flüchtete Andrea auch aus dieser Praxis. Nachdem er eine meiner Zirkoniumdioxid-Seitenzahnbrücken mit TempBond probetragen und brechen ließ, versuchte ich ebenfalls, eine Zusammenarbeit mit ihm zu vermeiden. Dabei hat er sogar eine offizielle Auszeichnung für seine Verdienste an Patienten erhalten. Ich will hier nichts schlechtreden, aber Zahntechniker verkleben nun mal Vollkeramik lieber, vor allem wenn sie recht dünn ist und starke Kaubelastungen aushalten soll.
Zu dieser Zeit ließ gegenüber der Praxis ein anderer Zahnarzt für seine Kinder eine kleine „Klinik“ entstehen. Angelockt von der Aufmachung im Schaufenster wechselte Andrea also einfach nur die Straßenseite – wie praktisch. Es sollte Behandler Nummer 4 sein, die wohl schillerndste Gestalt in dieser Odyssee. Die „Klinik“ umfasste mehrere Gebäude. Andrea nahm mich zur ersten Besprechung mit. Wir wurden in einen zentralen Raum in der Mitte des Gebäudes geführt. Ein großer Flachbildschirm in einem Zimmer, das komplett in Mahagoni ausgestattet war und keine Fenster ins Freie hatte. Wir kamen uns vor wie im Inneren der Titanic. Nach 10 Minuten kam der Chef mit einer Protokollantin und begann zu streiten: Er habe doch schon alles gesagt, alle Zähne müssten durch Implantate ersetzt werden und er habe sich das alles so schön aufgebaut und lasse sich das jetzt nicht kaputt machen. Andrea war geschockt und schwieg – wir gingen und kamen nie wieder zurück.
Dennoch, die geistige Brandstiftung arbeitete in Andrea – Implantate. Es müssen ja nicht gleich 13 Stück sein. Aber vielleicht 2, anstelle der Brückenglieder? In Praxis Nummer 5 mit einem sehr engagierten Assistenzarzt wurden nun die beiden Implantate gesetzt (Abb. 2a und b) und ich durfte 4 Kronen fertigen (Abb. 2c).



Zurück in die Gegenwart
Im Januar 2024 ging es gleich nach den Schulferien hoch her. Alle Fälle, die der Zahnarzt im Dezember nicht mehr beginnen wollte, kamen gefühlt in der ersten verkürzten Arbeitswoche bei mir an und sollten am liebsten sofort und gleichzeitig erledigt werden. Klar, dass hier auch völlig kuriose Fälle dabei waren, die bei gewissenhafter Arbeit einiges an Zeit beanspruchen – aber dazu in einem späteren Beitrag mehr. Andrea hatte seit einem Jahr mit der Berufsgenossenschaft kommuniziert. Doch Sachbearbeiter und ZFA schrieben ständig aneinander vorbei, schließlich kamen noch die Krankenkasse und die Zusatzversicherung dazu und das Chaos war perfekt. Zwölf Monate nach ihrem Unfall resignierte Andrea, denn die Berufsgenossenschaft weigerte sich zu zahlen, obwohl es ein Arbeitsunfall war. Dafür sollte die Krankenkasse aufkommen, denn die Zähne waren ja auch nicht mehr neu. Das lassen wir jetzt einfach mal so stehen.

Andrea quälten noch andere Sorgen. Was ist, wenn unter der alten Krone eine böse Überraschung lauert? Was passiert bei der Präparation? Was, wenn die alte Krone abgenommen wird und der wurzelbehandelte Zweier doch nicht zu retten ist? Sicherheitshalber wollte sie noch eine DVT-Röntgenaufnahme anfertigen lassen, wozu sie allerdings extra zum Kieferchirurgen musste. Was natürlich wieder Zeit kostete. Dabei war darauf auch nicht mehr zu erkennen als auf dem analogen Röntgenbild (Abb. 3). Wir konnten dadurch leider erst mit Verspätung mit unserer Arbeit beginnen und ich musste die Termine aller meiner Patientinnen und Patienten miteinander vermischen. Was natürlich für Chaos sorgte. Aber Andrea will doch nach Mallorca! Warum dauerten die 3 Kronen nur so lange? Im hellen Sonnenlicht braucht sie doch schöne Zähne, sonst sehen die Urlaubsfotos nicht gut aus und sie lacht doch so gerne – und überhaupt. Sie möchte nicht mehr warten. Die anderen sollten Geduld haben und wir deren Termine verschieben. Doch es half alles nichts: Auch Andreas Termin wurde auf die Zeit nach Ostern verschoben, weil die Praxis Urlaub machte. Der ganze Stress umsonst.
Bei der notfallmäßigen Aufnahme nach dem Sturz hatte Behandler Nummer 7 (Behandler Nummer 6 ist mir unbekannt und hatte nur Kontrolluntersuchungen durchgeführt) auf mein Anraten an Zahn 21 die mesiale Flanke mit Komposit verstärkt. So sollte die Zahnachse besser passen (Abb. 4a und b). 11 wäre gerade und gleich breit geworden, was mein ursprüngliches Ansinnen war. Behandler 8 hat das aber wieder entfernt. Egal, wir richten uns jetzt mit Farbe und Form nach den Gegebenheiten (Abb. 5 bis 7).







Obwohl schon 10 Jahre zuvor über Veneers gesprochen wurde und dass es besser sei, die ganze Front auf einmal zu versorgen, wollte Andrea dennoch erst die rechte und später vielleicht noch die linke Seite versorgt bekommen. Auch Behandler Nummer 8 arbeitete psychologisch auf diese zweistufige Behandlung hin.
Terminchaos
Wenn Patiententermine kollidieren, muss der Behandler abwägen, welche Faktoren für die Festlegung der Reihenfolge ausschlaggebend sind. Andererseits bestünde ja auch die Möglichkeit, sich mit dem Labor abzustimmen, bevor man mit der Behandlung beginnt. Auch wenn der Zahnarzt es anders vermutete – alle Fälle gleichzeitig versorgen zu wollen, bringt nicht das schnelle Geld. Die Patientinnen und Patienten erhielten ihre Rechnungen auch erst zu Ostern, was bedeutete, dass dank großzügigem Zahlungsziel an Pfingsten bei mir noch keine Zahlungseingänge zu verzeichnen waren.
In diesem Fall musste ich auch lernen, dass eine ungleiche Dynamik der Gesichtsmuskeln einen großen Einfluss auf das Ergebnis hat. Bei Andrea war die rechte Gesichtshälfte viel stärker. Und wenn die Asymmetrie wie in diesem Fall stark ausgeprägt ist, sollte man nicht versuchen, sie auszugleichen. Ach ja, auch bei Andreas Mutter tritt dieses Phänomen auf. Aber dazu mehr in einem anderen Fall.
Andrea meldete sich im Mai wieder – direkt von der Insel – allerdings nur mit einer kleinen Frage. Doch auch bei ihr sollte es im Oktober nochmal mit einem mesiobukkalen Defekt am Kronenrand von 37 weitergehen. Und bis dahin will sie noch dreimal in den Urlaub.
Apropos: Die Kronen sind übrigens auch auf den Mallorca-Fotos in der prallen Sonne gut anzusehen (Abb. 8 und 9). Der Zahnarzt hat inzwischen die Erstattung an mich weitergeleitet. Die Zahnzusatzversicherung hatte ein paar Beanstandungen und den Vorschlag, dass ich meine Rechnung umschreiben soll. Einige Positionen seien inklusive, andere würde der Zahnarzt machen/abrechnen. Ästhetik sei nicht mitversichert und Desinfektion kenne man nicht.


Danke an die 8 Behandler der vergangenen 14 Jahre.
Abenteuerliche Fälle im Laboralltag |
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