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Bereits bei Mallorca-Andrea lernte ich, dass es falsch war zu denken, dass ich der Natur auf die Sprünge helfen könnte. Tatsächlich reicht es, wenn ich mein eigenes Chaos beherrsche und nicht auch noch das der Natur. Wobei: Ist das überhaupt Chaos oder doch eine höhere Ordnung, die wir einfach nicht erkennen können? Ich bin ja nicht der liebe Gott und einen Doktortitel in einer medizinischen Disziplin habe ich auch nicht. Ich bin Handwerker und bleibe wie der sprichwörtliche Schuster bei meinem Leisten. Ich schaue dem Volk aufs bzw. ins Maul und ziehe meine Schlussfolgerungen. Diese sind zwar für mich gut, aber ob sie wirklich richtig sind?
Chaos oder Struktur?
Im scheinbaren Chaos eines Waldes nehme ich mir die Zeit, den Duft einzuatmen, die Vögel zu hören, und ich freue mich, wenn ein Wildtier meinen Weg kreuzt. Nehme ich mir auch die Zeit, alle Details aufzunehmen, wenn ich im engen Behandlungszimmer mit zwei Helferinnen, einem Behandler und einer flach liegenden älteren Dame bin? Wage ich ein Gespräch in dieser angespannten Atmosphäre, wenn alles schnell gehen muss? Wohl kaum.
Also versuche ich, nicht zu viel Ablenkung in die gut einstudierten, routinierten Arbeitsschritte zu bringen. Daher kommt mir die Idee, Mama Andrea anschließend auf einen Kaffee einzuladen. French Press mag sie allerdings nicht, sie hat Angst vor Kaffeekrümeln im Mund. So viel weiß ich schon und es verrät mir, dass ihr orales Empfinden äußerst sensibel ist. Da spielen wohl auch schlechte Erfahrungen eine Rolle. Zum Kaffee hat es dann doch nicht gereicht, die Parkuhr läuft ab, schnell noch ein Foto auf der Straße, mehr geht heute nicht mehr.
Bei der Prothetik geht es nicht nur um den Mund, auch die Lippen spielen eine Rolle. Und es ist auch nicht nur der Kopf, es geht um den ganzen Menschen. Welche Eindrücke habe ich bereits von der Kundin? Die freundliche Begrüßung im Sprechzimmer, flach liegend und mit offenem Mund. Selbst der kurze gemeinsame Weg zum Parkplatz reicht nicht aus, um den Menschen und seine Bewegungsabläufe zu verinnerlichen. Ein Bildhauer gewährte mir einmal Einblick in seine Werkstatt. Unzählige Zeichnungen von Bären waren zu sehen und angefangene Skulpturen von Bären, er ging in den Zoo und studierte diese Tiere, um sie später in einer einzigen großen Bronzeskulptur umzusetzen. Sollten wir Zahntechniker auch so arbeiten? Oder reicht es, wenn wir auf einer Bissschablone die Lachlinie eingezeichnet bekommen? In diesem Fall hätte die bloße korrekte Position der Mittellinie nahezu Wunder bewirkt (Abb. 1).

Aber ich wollte nach den Sternen greifen! Die Hälse sollten von der zwanghaften Kieferkammmittenposition befreit werden, zumal dort der dynamische Kraftvektor gar nicht hinzeigt (Abb. 2 und 5). Mein Gedanke war, dass nicht die waagerechte Tischplatte über den geschrumpften Oberkiefer herrschen sollte. Erst einmal muss die Schneidekante wieder in die Umschlagfalte und somit nicht mehr nach vorne zeigen. Dadurch wird sich auch die Oberlippe schöner ausformen (Abb. 6). So wollte ich diese ungleiche Lippendynamik (Abb. 3) bezwingen. Das Wangenbändchen war mir in diesem „Rausch der Perfektionierung“ vollkommen egal (Abb. 4). Im Unterkiefer waren wir durch die Restzähne im Spielraum limitiert. Ästhetik hatte hier aber Vorrang und so wurden auf die Frontzähne verblockte Metallkeramikkronen mit distalen Stabgeschieben gefertigt. Hieran wurden die Seitenzähne über eine Teilprothese verankert (Abb. 7–9).
Wenn Frauen den Kopf verdrehen
Die ältere Dame hält ihren Kopf nur für mich und meinen Fotoapparat parallel zur Bipupillarlinie. Ansonsten hat sie wohl durch viele Stunden vor dem Spiegel gelernt, die Asymmetrie ihres Gesichts mit Charme zu verschleiern (Abb. 10). Dies macht sie nun auch mit ihren neuen Zähnen und die ganze Pracht erscheint mir doch recht fraglich. Was ich damit sagen möchte, ist, dass ich mir auf allen Fotos mit den neuen Zähnen gerne eine bessere Symmetrie gewünscht hätte. Wenn diese allerdings von Natur aus nicht gegeben ist, können und sollten wir Zahntechniker uns auch keine allzu großen Hoffnungen machen, diese herstellen zu können. Dies will ich bei den Abbildungen 11–15 selbstkritisch anmerken.
Abbildung 14 zeigt noch einmal im Vergleich zu Abbildung 2 die Veränderung der oberen Inzisiven, die gut aussieht. Ebenso verläuft nun die Campersche Ebene wieder „parallel“ zur Kauebene, so wie es eigentlich sein soll. Abbildung 15a zeigt im Vergleich zur alten Prothese noch einmal deutlich die Veränderung der Kauebene sowie den Abstand zum Tuber maxillae mit der neuen Zahnprothese. Die Strategie mit den ausgeformten Lippen ging auf (Abb. 15b und c). Die Prothese ist insgesamt harmonischer, die Mittellinie stimmt und die Kauebene ist bei einer mittleren Lachmimik gut. Bei einem starken Lachen zieht die linke Geschichtshälfte zu sehr nach cranial – ähnlich wie bei ihrer Tochter, unserer Mallorca-Andrea aus der vorherigen Ausgabe.
Nochmal Mallorca-Andrea (Artikel „Folge 4: Mallorca-Andrea und die Riesenwelle“ in Ausgabe 4 des Zahntechnik Magazins) Während ihrer Zeit in heimischen Gefilden schreibt die Tochter von Mama Andrea immer noch mit der privaten Zusatzversicherung hin und her bzw. diese beiden Seiten eher aneinander vorbei. Wie schriftlich von der Versicherung verlangt, habe ich meine Laborrechnung entsprechend deren Begründungen angepasst, geändert und Positionen in andere Leistungen integriert. Daraufhin erhielt Mallorca-Andrea pauschal 190 € mehr, was aber nur ein kleiner Anteil war. Nach einer erneuten Nachfrage beim Versicherungsmakler vor Ort kam die Antwort, dass das Labor zu teuer und Desinfektion nicht notwendig sei. Als ob diese Position von 5,10 € ausschlaggebend wäre … Immerhin bat er die Zentrale um eine Rückmeldung. Die Antwort kam per Post und es war die gleiche Antwort wie bei der ersten Anfrage – sogar mit dem gleichen Datum, also dasselbe Schreiben. Dachte die Versicherung vielleicht, wenn sie einmal pauschal 190 € bezahlte, würde Andrea das akzeptieren und damit glücklich sein? Da haben sie die Rechnung ohne mich gemacht. Denn ich bin an der Seite meiner Patienten und wir bleiben am Ball. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass eine Versicherung, die nicht bezahlt und nicht auf Schreiben, geänderte Rechnungen etc. eingeht, zu teuer ist. |
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